Blickpunkt:Film

Kino

[Roderick Warichs](/person/roderick-warich) „[Funeral Casino Blues](/movie/soi-dogs)“ feiert am 5. September in [Venedig](/company/mostra-internazionale-darte-cinematografica) in Orizzonti Weltpremiere. Wir sprachen mit Produzentin [Viktoria Stolpe](/person/viktoria-stolpe) über die Besonderheiten des Dramas und dessen Entstehung sowie über das Selbstverständnis der gemeinsamen Firma [The Barricades](/company/the-barricades), die bereits zwei mal am Lido vertreten war.


**Wie ist „Funeral Casino Blues“ entstanden? Es wurde wie Roderick Warichs Langspielfilmdebüt „2557“ in Thailand gedreht.**

Die Idee zum Film entwickelte sich organisch aus den Recherchen und Erfahrungen, die Roderick und unser Koproduzent [Dominik Rockenmaier](/person/dominik-rockenmaier) von 2557 Films während der Arbeit an „2557“ sammelten. Aus diesen Eindrücken und vor allem aus Begegnungen mit Menschen vor Ort formte sich nach und nach eine neue filmische Welt mit eigenen Figuren und Erzählungen. Rodericks zentrales Interesse gilt dabei immer den Menschen und ihren Geschichten – er versteht Kino als Fenster, nicht als Spiegel. Stilistisch ist „Funeral Casino Blues" jedoch geprägt vom Hongkong-Kino der 1980er- und 90er-Jahre, vom New Hollywood der 70er, von Anime – und ganz sicher von „[Twin Peaks](/tvshow/twin-peaks-twin-peaks-fire-walk-with-me)“. Gerade in Verbindung mit diesen Vorbildern ist Thailand ein faszinierender Drehort: Bangkoks endlose Lichterfluten bieten die Möglichkeit, auch mit begrenzten Mitteln visuell anspruchsvolle Filme zu realisieren. Gedreht wurde auf der Straße, mitten im Leben, mit available light – so wie viele Hongkong- oder New-Hollywood-Filme entstanden sind. „French Connection“ etwa wurde mit dokumentarischen Mitteln gedreht, ist aber kein Dokumentarfilm. Der einzige Unterschied zur Ästhetik der 80er-Hongkong-Filme: Neon wurde inzwischen fast überall durch LED ersetzt.


**Wie haben Sie vor Ort gedreht?** 

„Funeral Casino Blues“ wurde mit einem dokumentarischen Ansatz realisiert – allerdings nur, was Budget, Teamgröße und technische Mittel betrifft. Es war keineswegs ein improvisierter Handkamera-Dreh. Roderick Warich arbeitete zwar viel mit Laiendarsteller:innen, die ihre eigenen Worte in die Dialoge einbrachten, erzählte aber in einer stark stilisierten Bildsprache und mit großem Bewusstsein für narrative Struktur. Gerade dieser Kontrast – zwischen formaler Strenge und improvisierter Authentizität – macht den Reiz des Films aus. Vieles wurde bewusst „in house“ erledigt. Das Locationscouting wurde zu Fuß unternommen. So entstand nicht nur eine glaubwürdige Nachbarschaftswelt, in der die Figuren leben, sondern auch eine praktische Produktionsweise: Das Techniklager lag direkt beim Hauptmotiv, anstatt wertvolle Zeit im Stau von Bangkok zu verlieren. Das Team war bewusst klein gehalten, um maximale Bewegungsfreiheit zu haben und die Flexibilität, möglichst viele verschiedene Orte, Begegnungen und Stimmungen einzufangen.


**Mit [Roland Stuprich](/person/roland-stuprich) haben Sie einen renommierten Bildgestalter in der Crew.**

Roland Stuprich gehört seit unseren Anfängen an der [Filmakademie Baden-Württemberg](/company/filmakademie-baden-wuerttemberg) zu unserem Kernteam, aus dem später The Barricades hervorging – mit Roderick Warich, [Timm Kröger](/person/timm-kroeger), [Sandra Wollner](/person/sandra-wollner) und mir. Er war bereits als Kameramann bei „2557" dabei und verantwortete später die Bildgestaltung von Timms Filmen „[Zerrumpelt Herz](/movie/zerrumpelt-herz)“ und „[Die Theorie von allem](/movie/die-theorie-von-allem-at)“. Sein Gespür für Atmosphäre und Rhythmus war auch für „Funeral Casino Blues“ eine große Bereicherung.

![„Funeral Casino Blues“ feiert in Venedig Weltpremiere. Foto: The Barricades/2557
](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/55ceef6e-f3b2-4821-abd7-11156ff08b2e.jpg)

**[Wason Dokkathum](/person/wason-dokkathum), der bereits in „2557“ zu sehen war, gehört zum Cast. Wie stellten Sie ihn zusammen, fanden die weiteren Mitwirkenden?**

Beim Casting verfolgten wir ein ähnliches Prinzip wie beim Locationscouting: Wir suchten nach Clustern von Menschen, die sich bereits kannten. So entstand vor der Kamera eine natürliche Intimität und Vertrautheit – ein fruchtbarer Boden für echte, ungekünstelte Momente. Wason ist ein Freund und seine erneute Mitwirkung ergab sich ganz von selbst. Darüber hinaus suchten wir auf sehr unterschiedliche Weise nach passenden Darsteller:innen: vieles lief über Instagram oder Street-Casting, wobei Dominiks Lebenspartnerin Ampei eine große Hilfe war. Große Unterstützung kam auch von unseren Freund:innen der Serviceproduktion Tamone, die selbst Filme machen und uns in Bangkok wie auch auf dem Land intensiv begleiteten. Schließlich standen auch einige Crewmitglieder vor der Kamera – ganz organisch aus der gemeinsamen Arbeit am Set heraus.

**Sie haben in zwei Blöcken gedreht.**

Ja. Der Dreh fand in zwei Phasen statt: Anfang 2023 arbeiteten wir in Bangkok, gegen Ende des Jahres dann vor allem in der ländlichen Provinz Buriram nahe der kambodschanischen Grenze. Zum einen wollten wir gezielt die Regenzeit einfangen, um bestimmte Stimmungen und Atmosphären visuell zu nutzen – was aufgrund des Klimawandels allerdings nicht mehr in dem Maße möglich war. Zum anderen gab uns die Pause die Möglichkeit, bereits gedrehtes Material zu sichten und erste Schnittfassungen zu erstellen. Das half uns, den zweiten Teil des Drehs noch gezielter vorzubereiten.


**Wo haben Sie die Postproduktion umgesetzt?**

Wir arbeiten auch in der Postproduktion sehr unabhängig und hands-on – vieles setzen wir innerhalb unseres Netzwerks selbst um. Timm Kröger, der darin besonders erfahren ist, übernahm dabei gewissermaßen die Rolle des Head of Postproduction. Unser Sounddesigner [Dominik Leube](/person/dominik-leube) begleitet uns schon seit vielen Jahren; gemeinsam mit Mareschka betreibt er ein eigenes Tonstudio. Für die visuellen Effekte konnten wir erneut auf Felix Knoche aus Wien zurückgreifen, der bereits bei „Die Theorie von Allem„ dabei war. Und auch Roland Stuprich, unser Bildgestalter, war in den finalen Schritten eng eingebunden.


**Was bedeutet Ihnen die Einladung nach Venedig?**

Wir haben uns sehr über die erneute Einladung nach Venedig gefreut. Unser erster Besuch beim Festival war 2014 mit „Zerrumpelt Herz“, dem Abschlussfilm von Timm und mir, in der Settimana della Critica. 2023 waren wir mit „Die Theorie von Allem“ im Hauptwettbewerb vertreten – und nun sind wir mit „Funeral Casino Blues“ in der Sektion Orizzonti eingeladen. Für uns ist das eine große Bestätigung unserer Arbeit und ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind und international wahrgenommen werden. Das Qualitätssiegel von Venedig war schon bei „Die Theorie von Allem“ extrem wertvoll – es hat dem Film viel Sichtbarkeit verschafft und seine Auswertung enorm unterstützt.



**Wie sieht es mit dem weiteren Weg von „Funeral Casino Blues“ aus? Mit welchem Verleih und Weltvertrieb arbeiten Sie?**

In Deutschland arbeiten wir mit [Jakob Kijas](/person/jakob-kijas) und seinem [Eksystent Filmverleih](/company/eksystent-distribution-filmverleih) zusammen – wie schon bei Sandra Wollners „[The Trouble with Being Born](/movie/the-trouble-with-being-born)“. Kürzlich konnten wir zudem [Pluto Film](/company/pluto-film-distribution-network) als Weltvertrieb gewinnen. Die Einladung nach Venedig kam relativ spät und wir werden den Film tatsächlich erst in letzter Minute fertigstellen. (lacht) Aktuell arbeiten wir noch an den finalen VFX-Shots – aber wir sind zuversichtlich, dass alles rechtzeitig fertig wird.



##### „Unser Anspruch ist: gute Filme machen. Das Label gibt uns am Ende jemand anderes.“
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**Welche Art von Filmen haben Sie sich auf die Fahne geschrieben bei The Barricades? Was ist das verbindende Element?**

Unsere Arbeiten zeichnen sich durch eine stark durchkomponierte Bildsprache, stilbewusste Formgestaltung und einen besonderen Einsatz von Musik aus. Wir verstehen uns dabei nicht als Vertreter eines „reinen Arthouse-Kinos“ – zumal dieser Begriff heute oft nur bedeutet, dass ein Film nicht mit planetaren CGI-Bedrohungen endet. Nach dieser Logik wären „[Der Pate](/movie/der-pate)“ oder „Alien 1“ Arthouse. Unser Anspruch ist einfacher: gute Filme machen. Das Label gibt uns am Ende jemand anderes. Viele unserer Entscheidungen entstehen aus konkreten Produktionsbedingungen und limitierenden Faktoren – und genau daraus erwachsen oft kreative Lösungen. So entstehen Werke, die ästhetisch wie erzählerisch eigenständig sind, nicht auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten, aber dennoch zugänglich bleiben.


**Könnten Sie das an Ihren Projekten konkreter ausführen?**

 Ein gutes Beispiel ist „Funeral Casino Blues“, das mit stark limitierten Mitteln entstand, aber Elemente von Thriller, Horror, Liebesfilm und Geistergeschichte verbindet. Der Film ist visuell poppig, greift digitale Kommunikationsformen auf und verhandelt zugleich vielschichtige Themen. Dem gegenüber steht „Die Theorie von Allem“: ein ganz anderer Film – schwarz-weiß, philosophisch, größer angelegt –, der aber denselben Kernanspruch verfolgt: maximale Wirkung mit minimalen Mitteln. Oder anders gesagt „Theorie" war ein Dampfschiff, „Funeral Casino Blues“ ein Motorboot – aber beide mit demselben Ziel: filmischer Impact.
 Mit „Theorie“ konnten wir zeigen, dass sich künstlerische Vision und Publikumsansprache verbinden lassen – nicht nur durch die Venedig-Premiere, sondern auch durch den Kinoerfolg und den Deutschen Filmpreis. Auch Sandra Wollners neuer Film „Everytime“ folgt diesem Weg. Unser gemeinsamer Ansatz bei The Barricades ist es, mit den verfügbaren Ressourcen Filme zu produzieren, die formal innovativ, inhaltlich relevant und stilistisch eigenständig sind – Werke, die Regeln infrage stellen und unsere Leidenschaft für Kino sichtbar machen.


**Zum Selbstverständnis von The Barricades gehört auch, dass sich die Regisseur:innen gegenseitig bei ihren Projekten unterstützen, nicht nur Timm Kröger bei der Postproduktion von „Funeral Casino Blues“?**

Absolut. Die enge Zusammenarbeit ist zentral für unser Selbstverständnis. Wir unterstützen uns gegenseitig nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich und kreativ – oft in unterschiedlichen Rollen. Roderick war etwa Co-Autor bei Sandra Wollners „The Trouble with Being Born“ und bei Timms „Die Theorie von Allem“. Sandra wiederum war künstlerische Beraterin bei „Theorie“ und jetzt auch bei „Funeral Casino Blues“. Diese Form der Kollaboration ist für uns selbstverständlich – und vielleicht auch ein Grund, warum unsere Filme trotz ihrer Unterschiede eine gemeinsame Handschrift tragen. Es geht nicht nur um gegenseitige Hilfe, sondern um ein geteiltes filmisches Verständnis.


**Wie ist der Status des neuen Projekts von Sandra Wollner?**

Sandras neuer Film „Everytime“ befindet sich derzeit im Schnitt und soll im kommenden Jahr ausgewertet werden. Es handelt sich um eine gleichberechtigte Koproduktion zwischen unserer Firma The Barricades und Panama Film aus Wien – mit der wir bereits „The Trouble with Being Born“ realisiert haben. Als Senderpartner ist erneut das ZDF – Kleines Fernsehspiel beteiligt. Gedreht wurde an verschiedenen Orten: in Berlin, Wien und auf Teneriffa. In der Hauptrolle spielt Birgit Minichmayr eine Mutter, die um ihre jugendliche Tochter trauert – aber natürlich, wie auch schon bei „The Trouble with Being Born“, mit einigen Überraschungen und einer geisterhaften Eigenartigkeit. Für den Schnitt zeichnet Hannes Bruun verantwortlich, der bereits den Schnitt von „Funeral Casino Blues" übernommen hat. Erstmals gearbeitet haben wir bei „Everytime“ mit dem in Berlin lebenden britischen Kameramann Gregory Oak, der unter anderem für seine Arbeit an Charlotte Wells’ Debütfilm „Aftersun“ bekannt ist.

![Hauptsächlich bei Nacht gedreht: „Funeral Casino Blues“. Foto: The Barricades/2557](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/588ddce2-91cc-4d44-b940-ec978a0eb21c.jpg)

**Vielleicht ist Gregory Oak eine Ergänzung der Crew auch für kommende Projekte?**

Ja, auf jeden Fall. Wir agieren zwar innerhalb unseres vertrauten Netzwerks, sind aber immer offen für neue kreative Partner und Mitstreiter – sei es für unsere eigenen Projekte oder für Filme anderer Regisseur:innen mit einer besonderen, spannenden Handschrift.


**Sie haben erst vor ein paar Jahren eine GmbH gegründet und bereits etwa ein Projekt im Jahr realisiert.**

Ja, das ist nach wie vor unser Ziel. Aktuell arbeiten wir am nächsten Projekt von Timm: „Das letzte Radio“, dem Abschluss seiner losen Trilogie nach „Zerrumpelt Herz“ - in den 20ern spielend -  und „Die Theorie von Allem“ - in den 60ern spielend. „Das letzte Radio“ ist in den 90ern angesiedelt, könnte vielleicht als sehr eigenwilliges Riff auf einen Spielbergschen Familien-Sci-Fi-Abenteuerfilm beschrieben werden und hat bereits eine Treatmentförderung der FFA erhalten. Ähnlich wie „Theorie“ wird es wieder ein größeres Projekt – ein „Dampfschiff“ –, das mehr Zeit und Budget für eine sorgfältige Entwicklung benötigt. Wir sind überzeugt, dass diese Investition gut angelegt ist. Parallel entwickeln wir ein weiteres Projekt im Bereich Science-Fiction/Horror sowie die Adaption eines in Berlin spielenden Comicbuchs, für das wir gerade die Rechte optionieren.


**So wollen Sie in der Zukunft noch weiter aus der Arthouseecke heraus?**

Timms nächster Film könnte tatsächlich einen stärkeren Mainstream-Bezug haben. Der Reiz unserer Arbeit liegt für uns jedoch gerade in der spannenden Mischung aus Independent-Anspruch und Elementen aus dem Mainstream. Wir befinden uns gerade in der Phase der Etablierung – unsere Förderer kennen uns mittlerweile und schenken uns großes Vertrauen. Dadurch sind wir in der glücklichen Position, Projekte realisieren zu können, auf die wir wirklich Lust haben und die wir selbst gern sehen würden.


**Sie erwähnten die große Bedeutung der Entwicklung. Inzwischen wird in Deutschland von den Förderungen mehr in Treatment und Entwicklung investiert. Finden Sie, der recht kleine Umfang reicht?**

Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann natürlich viel mehr Mittel und überhaupt einen viel größeren Fokus auf die Entwicklung. Die Entwicklungsphase ist das Finden des Films, des Kerns, und das bedeutet, dass sie nicht schon nach drei Runden für beendet erklärt werden darf, sondern dass es so viele Runden geben muss, bis alles perfekt ist: der Cast, die Locations, das Team stimmt. Wenn alle Mitwirkenden die Vision teilen, kann passieren, was will am Set – man kriegt es hin.


*Das Gespräch führte Heike Angermaier*


##### ZUR PERSON: Viktoria Stolpe

studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg und gab mit Timm Krögers „Zerrumpelt Herz“ ihr Langspielfilmdebüt. Sie (ko-)produzierte Sandra Wollners „The Trouble of Being Born“, „Die Theorie von allem“ und „Funeral Casino Blues“. Aktuell arbeitet sie an „Everytime“ und „Das letzte Radio“. Mit den Filmemacher:innen und Kommilitoninnen Kröger, Sandra Wollner und Roderick Warich gründete sie die Produktionsfirma The Barricades.












Viktoria Stolpe zur Venedig-Premiere „Funeral Casino Blues“ und The Barricades