Blickpunkt:Film

Kino

Vom 6. bis 16. November findet wieder das [Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg ](/company/iffmh-filmfestival-mannheim-ggmbh)statt. Im Interview spricht Festivalleiter [Sascha Keilholz](/person/sascha-keilholz) darüber, warum Nachwuchs so wichtig für das Festival ist, welche Themen ihm dieses Jahr besonders aufgefallen sind, und wieso auch wieder ein stärkerer Fokus auf dem Dokumentarfilm liegen soll.

**Sie zeigen im Wettbewerb Erst- oder Zweitfilme und vergeben auch den Young Actors Award – wieso ist Ihnen dieser Fokus auf Nachwuchstalente so wichtig?**

**Sascha Keilholz:** Werke von jungen Talenten hat das IFFMH schon von Beginn an gezeigt, beispielsweise war [François Truffaut](/person/francois-truffaut) mit seinem zweiten Kurzfilm bei uns. Auch [Wim Wenders](/person/wim-wenders), [Rainer Werner Fassbinder](/person/rainer-werner-fassbinder), [Klaus Lemke](/person/klaus-lemke), [Frederick Wiseman](/person/frederick-wiseman) oder [Jim Jarmusch](/person/jim-jarmusch) waren mit ihren ganz frühen Filmen in Mannheim. Natürlich sind Talente durch die veränderte Film- und Festivallandschaft heute sichtbarer. Gleichzeitig ist die Anzahl der Produktionen gestiegen, womit dem kuratorischen Moment eine ganz besondere Rolle zukommt. Wir sichten weit über 1000 Titel und treffen dann eine Auswahl. Wobei wir insbesondere schauen, welche bislang unbekannten individuellen Stimmen auftauchen, wo es neue Ideen und Visionen gibt, audiovisuell zu erzählen. Dann bringen wir diese Stimmen in einen Dialog und das Gesamtprogramm in einen Einklang. Wir geben den so unterschiedlichen Filmemachern, die etwas über unsere Gegenwart zu sagen haben und gleichzeitig filmästhetisch Wege in die Zukunft weisen, eine Plattform.     

**Und andererseits zeigen Sie auch Werke von renommierten Filmemachern.**

**Sascha Keilholz:** Genau, wir stehen in diesem Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Talenten, was eine tolle Dynamik entwickelt. Wenn man sich nur auf Tradition fokussiert, würde man Gefahr laufen, sich nicht weiterzubewegen. Aber dadurch, dass wir immer nach etwas Neuem suchen, bleiben wir progressiv.

**Welche Trends oder Themen haben Sie dieses Jahr bei der Auswahl der Filme festgestellt?**

**Sascha Keilholz:** Das sind die Themen, die uns auch gesamtgesellschaftlich beschäftigen, insbesondere Migration und das Leben in einer postmigrantischen Welt. Wir haben dieses Jahr erstaunlich viele Filme, die entweder auf historischen oder persönlichen Geschichten basieren. Dadurch sind die Filme sehr intim und individuell. Ganz häufig geht es um die Erfahrungen der jungen Filmemacher, die teils mit totalitären Regimen zu tun haben, oder sich etwa mit dem Ankommen in einer neuen Heimat auseinandersetzen.

**Das spiegelt sich auch im Eröffnungsfilm „Inside Amir“ wider, oder?**

**Sascha Keilholz:** Genau, das ist ein sehr spannendes Beispiel. Darin erkundet man Teheran auf dem Rad, was sehr ungewöhnlich ist. Es geht im Film nicht vordergründig um die Repressalien eines solchen Regimes, das wird eher subkutan verhandelt. Vielmehr ist auch dies eine sehr persönliche Geschichte. Die Partnerin des Protagonisten wartet in Italien auf ihn, aber gleichzeitig hat er einen sehr engen Freundeskreis in seiner Heimat. Da geht es um die Frage, was es heißt, sich so zu entwurzeln. Das finde ich sehr spannend und das ist für mich filmisch ein Thema des Jahres.

![„Inside Amir“ eröffnet am 6. November das 74. Internationale Film Festival Mannheim-Heidelberg (Credit: Mohsen Shahmardi, Fog Films)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/f3ebf3ee-4e97-4d91-a999-84a442f16c34.jpg)

**Der Eröffnungsfilm ist also eigentlich eine perfekte Repräsentation des Programms und der aktuellen Diskurse.**

**Sascha Keilholz:** Ja, und diese Themen finden sich auch in vielen anderen Filmen, etwa in „Waking Hours”, wo die Filmemacher Flüchtlinge auf ihrem Weg begleiten. Oder in „Militantropos“, der die Folgen des Krieges in der Ukraine zeigt, nicht nur bezogen auf die Menschen, sondern auch auf die Landschaft und Tiere. Ich habe das Gefühl, in den letzten Jahren laufen die politischen Verschiebungen immer schneller ab und immer extremere Positionen treffen aufeinander. Auf der einen Seite schlägt sich Donald Trump etwa selbst für den Friedensnobelpreis vor, andererseits protestieren Millionen Menschen gegen ihn. Dieses Bewusstsein, dass unser Leben tagtäglich von globalen politischen Prozessen durchdrungen ist und es uns alle betrifft, was im Gazastreifen, in den USA oder der Ukraine passiert, schlägt sich auch im Kino nieder und findet dort eine bestimmte ästhetische Form.

**Sie zeigen dieses Jahr auch Dokumentarfilme und vergeben den Deutschen Dokumentarfilmpreis im Rahmen des Festivals. Wie kam das zustande?**

**Sascha Keilholz:** Anfangs war das IFFMH auf Dokumentarfilme spezialisiert, inzwischen liegt bei uns der Fokus klar auf dem internationalen fiktionalen Kinofilm. Man muss einfach einen Schwerpunkt setzen, sonst präsentiert man einen Gemischtwarenladen. Aber in einer Zeit, wo sich politisch und gesellschaftlich so viel tut, ist bei manchen Themen der Dokumentarfilm genau die adäquate Repräsentationsform. 2025 ist einfach ein besonders starkes Jahr für Dokumentarfilme, das ist schon bei der Berlinale und in Venedig offensichtlich geworden. Der Deutsche Dokumentarfilmpreis war tatsächlich schon in den 90ern kurz bei uns zu Gast, jetzt ist es unserem neuen Team gelungen, ihn zurückzuholen, was in diesem Jahr umso besser passt.

**Die diesjährige Festival-Ausgabe soll außerdem besonders für Offenheit und Dialog stehen – hängt auch das mit den Themen zusammen, die Sie bereits angesprochen haben?**

**Sascha Keilholz:** Definitiv. Man bewegt sich ja oft in bestimmten Bubbles, sei es im Privaten oder im Beruflichen und ich nehme das schon so wahr, dass es bei vielen Themen kaum noch möglich ist, eine Dialogebene zu finden. Es gibt immer mehr Menschen, die für das eine oder für das andere Extrem argumentieren, oft dogmatisch und ideologisch. Eigentlich geht es aber darum, zum Dialog zurückzufinden. Und zu einer im Kern humanistischen Haltung.

**Inwiefern öffnen Sie als Festival hierbei Dialogräume?**

**Sascha Keilholz:** Wir verstehen uns als Kulturvermittler. Auch insofern, als dass wir zwischen Publikum und Künstlern vermitteln. Die Filmschaffenden wiederum stellen ihre persönlichen Geschichten, ihre Stoffe und letztlich sich selbst zur Verfügung, sie machen dem Publikum ein Gesprächsangebot. Wir haben Formate, wo wir die Regisseure mit dem Publikum zusammenbringen, bei anderen Veranstaltungen bringen wir die Jury oder die Programmer mit dem Publikum zusammen, bei wieder anderen Branche und Filmemacher, und so weiter. Wir würden das nicht tun, wenn wir nicht überzeugt davon wären, dass Kultur ein Motor sein kann für verschiedene Prozesse.

![Lola 2025 Tim Fehlbaum (Credit: Eventpress Fuhr)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/10e9fc48-bb54-4a13-a1a3-cfd318eafd4e.jpg)

**Der Ehrenpreis geht in diesem Jahr an [Tim Fehlbaum](/person/tim-fehlbaum) – welche Verbindung hat er zum IFFMH und was macht ihn für Sie als Filmemacher aus?**

**Sascha Keilholz:** Tatsächlich gibt es zu ihm zwei persönliche Verbindungen: Einer unserer Programm-Manager hat mit ihm zusammen in München studiert und auch Filme mit ihm gedreht; er hat ihn also seit seinen Anfängen begleitet. Ich selbst habe 2011, als [„Hell“](/movie/hell_7) herauskam, noch ein Festival in Regensburg geleitet und fand diesen Film so extraordinär für eine deutsche Produktion, dass ich ihn damals eingeladen habe. Ich war schwer beeindruckt, dass jemand in Deutschland einen solchen Endzeitfilm realisiert und habe gemerkt, dass Tim in seiner Filmsprache sehr eloquent ist. Man entwickelt natürlich ein gewisses Gespür und ahnt dann schon, wenn einem Filmemacher eine internationale Karriere bevorsteht. Von [„September 5“](/movie/september-5) wussten wir schon lange und ich fand den Film, der ebenfalls hochaktuell ist, sensationell. Allein medienhistorisch ist er faszinierend, außerdem wahnsinnig gut produziert und gespielt. Zu beobachten, dass er weltweit so reüssiert, war toll.

**Und diese Mischung aus deutschem Filmemacher mit internationalem Anspruch hat ihn dann zum perfekten Preisträger gemacht.**

**Sascha Keilholz:** Genau, wir sind ein Publikumsfestival vor Ort, wollen aber auch eine überregionale Perspektive bieten. Tim Fehlbaum, der als Schweizer in München studiert und hier Filme gedreht hat, wird bald noch sehr spannende internationale Projekte umsetzen. Deshalb ist er ein toller Preisträger und Ansprechpartner für unser Publikum, weil die Zuschauer natürlich auch interessiert daran sind, was für Produktionen auf internationalem Niveau bei uns entstehen. Das, was er macht, ist in dieser Form in Deutschland aktuell singulär. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch mit ihm und seinem Autor [Moritz Binder](/person/moritz-binder) über das Thema Koproduktionen, weil mittlerweile ja fast jeder Festivalfilm aus Europa als Koproduktion entsteht.

**Sie sagten bereits, das IFFMH ist ein Publikumsfestival – passend dazu haben Sie seit letztem Jahr ein solidarisches Preismodell. Wieso ist Ihnen das so wichtig?**

**Sascha Keilholz:** Ich habe eben gesagt, wir verstehen uns als Kulturvermittler, und die besondere Chance beim Film besteht darin, dass das Medium Bewegtbild erstmal sehr niedrigschwellig ist. Es geht darum, allen Bürgern in der Region einen einfachen Zugang zum Festival zu verschaffen. So können Menschen, denen es gerade nicht so gut geht, trotzdem kommen und diejenigen, denen es besonders gut geht, können sie und uns dabei unterstützen. In unserer aktuellen Gesellschaft, die in der Mitte auseinanderreißen zu droht, glaube ich, dass wir nur mit solidarischen Ideen und Angeboten eine Perspektive haben.

**Wie gut wird dieses Angebot angenommen bzw. wie heterogen ist das Publikum?**

**Sascha Keilholz:** Vor einiger Zeit hatten wir ein sehr homogenes, eher älteres Publikum. Inzwischen haben wir es auch geschafft, ein jüngeres und diverseres Publikum an uns zu binden. Beim Preissystem sehen wir, dass das grundsätzlich in seiner Vielfalt angenommen wird. Ich glaube, es ist ein Prozess. Die Wahrheit ist natürlich, dass unser Angebot sehr stark subventioniert ist, was viele Zuschauer nicht realisieren. Ihnen ist nicht immer bewusst, was ein Festival leistet, hinter dem wahnsinnig viele Mitarbeiter stecken, das aufwändig ein Programm kuratiert, Filmrechte leiht, Kinos anmietet, Gäste einlädt, Untertitel erstellen lässt, Dolmetscher engagiert, etc. Wenn wir die Filme auf dem Festival nicht subventioniert zeigen würden, wären sie preislich in einem ähnlichen Bereich wie ein Konzert- oder Theaterbesuch. Also ist der höchste Preis im solidarischen System – wenn man ihn sich grundsätzlich leisten kann – eigentlich immer noch ein Schnäppchen.

**Welche Pläne oder Wünsche haben Sie für die Zukunft des Festivals?**

**Sascha Keilholz:** Nächstes Jahr feiern wir unser 75. Jubiläum. Die Kulturschaffenden und -vermittler arbeiten in der Region hier sehr eng zusammen und wir haben eine Gruppe von knapp 50 Partnern, mit denen wir im nächsten Jahr unter einer Art Dachmarke ein Zusatzprogramm anbieten werden. Das soll nicht nur während des Festivals stattfinden, sondern schon in den Monaten vorher. Es wird dabei ein Zukunftsmotto geben und wir werden uns über zukünftige Gesellschaften und Perspektiven austauschen. Wir hoffen, dass das ganz weit leuchten und eine Signalwirkung geben kann. 

*Das Gespräch führte Lea Morgenstern.*

IFFMH-Leiter Sascha Keilholz: „Wir verstehen uns als Kulturvermittler“