Blickpunkt:Film

Am kommenden Sonntag, den 11. Mai, sind die [Bremer](/company/radio-bremen) Kommissarinnen Selb & Moormann, also [Luise Wolfram](/person/luise-wolfram) und [Jasna Fritzi Bauer](/person/jasna-fritzi-bauer) auf dem „Tatort“-Sendeplatz im Einsatz. Die Folge „Solange du atmest“, ist der erste „Tatort“ von Regisseurin [Franziska Margarete Hoenisch](/person/franziska-m-hoenisch), die mit Blickpunkt:Film über den Film sprach und Einblicke gewährt, dass die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Regiearbeit noch immer ein sensibles Branchenthema ist.

**Hat der „Tatort“ für junge Filmemacher:innen noch immer einen besonderen Stellenwert?**

Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich sehr über die Möglichkeit gefreut, weil sich das Format „Tatort“ dadurch auszeichnet, dass die Filme sehr unterschiedlich sein können. Formal, aber auch in Bezug auf die jeweiligen Teams und Schauplätze gibt es starke Unterschiede. Ich schaue selbst gerne „Tatort“. Wenn Kolleg:innen einen gemacht haben, bin ich total neugierig und versuche herauszufinden, was sie probiert haben und wie sie es angegangen sind. Das ist handwerklich total interessant.

**Wie war es bei Ihnen, wie wurden Sie „Tatort“-Regisseurin?**

Das ging über Produzentin [Katharina Wagner](/person/katharina-wagner_e) von der [Bremedia](/company/bremedia-produktion), die sich bei mir gemeldet hat. Ich fand das Drehbuch spannend. Das Themenfeld, eine alleinerziehende Mutter ist ja praktisch die Hauptfigur, hat mich sehr gereizt.

**Die von [Via Jikeli](/person/via-jikeli) so toll gespielt wird. Es ist auffällig, dass bei dem Film viele zentrale Positionen von Frauen ausgeübt wurden - Regie, Drehbuch, Produktion, Redaktion. Die zentralen Figuren des Films sind ebenfalls Frauen. Vermutlich ist das kein Zufall. Ich würde auch sagen, dass sich dass in der Themensetzung und darin wie die Rollen angelegt sind, bemerkbar macht.**

Auf jeden Fall waren das bewusste Entscheidungen. Ich bin selbst Mutter. Man macht die unterschiedlichsten Erfahrungen, wie das in der Branche wahrgenommen wird. Deshalb frage ich mich bei jeder Anfrage, ob ich es erzähle oder nicht, weil ich mir nicht sicher sein kann, ob Mutterschaft als Problem wahrgenommen wird. Ich weiß auch von unserer Produzentin, dass sie wert darauf legte, Menschen zu besetzen, denen die Thematik wichtig ist. Mit einem „Tatort“ erreicht man ein Millionenpublikum, ich finde, da ist es eine große Verantwortung, wie man Themen platziert. Bei einer Vorpremiere in Berlin gab es sehr positives Feedback aus dem Publikum, besonders zum Thema Alleinerziehende und zur Darstellung von alleinerziehenden Müttern. Es wird im Film durch die von Via gespielte Rolle einmal sehr explizit ausgesprochen, wie  sich die Figur als Alleinerziehende vom Staat vernachlässigt fühlt. Tatsächlich haben [Judith Westermann](/person/judith-westermann), die Autorin und ich, sehr viel Wert auf diesen Monolog gelegt, weil er unsere Haltung widerspiegelt.

![](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/40338ad9-ce39-4cb9-8740-32030a1177c6.jpg) Via Jikeli spielt eine tatverdächtige alleinerziehende Mutter; Foto: Radio Bremen / Claudia Konerding

**Ist es immer noch so, dass es als Problem empfunden wird, mit einer Regisseurin zu arbeiten, die auch Mutter ist? Hat sich das nicht gewandelt?**

Das wäre schön. Es wird gerne so dargestellt, und die Thematik hat eine gewisse Präsenz bekommen. Man kann darüber reden. Ich traue mich jetzt darüber mit Ihnen zu sprechen, ohne das Gefühl zu haben, ich bekomme nie wieder einen Job. Das ist eine bewusste Entscheidung von mir, weil ich glaube, dass es wichtig ist, darüber zu sprechen. Genauso, wie es wichtig war, dass ich, als ich im siebten Monat schwanger war, einen ganzen Block [„Soko Stuttgart“](/tvshow/soko-stuttgart) gedreht und das ganz bewusst bei Instagram gepostet habe. Es gibt bei der Thematik vielerlei Unsicherheiten. Und natürlich ist das Thema Kinderbetreuung und Drehen immer eine Frage der Verteilung des Budgets. Gerade in der momentan wirtschaftlich angespannten Gesamtsituation ist das ein schwieriges Thema. Doch wenn wir wollen, dass Geschichten von Regisseur:innen erzählt werden können, die selbst Familie leben, müssen wir schauen wie wir Wege und Lösungen zusammen finden. Das gilt ja genauso für Väter, wie für Mütter. Es gibt da viele gute kreative Ansätze. 

**Ein Thema für eine eigene Geschichte in Blickpunkt:Film.**

Aber ich schätze es sehr, dass wir das ansprechen können. Der Film erzählt ja von diesem Spannungsfeld. Bei uns geht es um eine alleinerziehende Frau, die immer mehr in eine Abwärtsspirale gerät, obwohl sie gute Entscheidungen trifft. Ich finde es bemerkenswert, was für eine Eigendynamik so eine Spirale entwickeln kann. Ich glaube, dass das oft passiert, und von außen wird gedacht, die- oder derjenige bekommt es nicht besser hin, stellt sich nicht schlau an, um Unterstützung zu bekommen. Aber so lange es keine gesamtgesellschaftliche Vereinbarung gibt, dass Verantwortung für Kinder nicht nur in kleinen, heteronormativen Familien stattfindet, ist es schwierig für Alleinerziehende entsprechende Unterstützung zu bekommen.

**Das sind essenzielle Punkte. Trotzdem zurück zum Film, in dem sich die Hinweise darauf, wer Täter und wer Opfer ist, mit zunehmender Dauer verdichten sich. Dadurch verliert er zwar ein wenig seinen Whodunnit-Charakter, baut aber enorm an psychologischer Spannung auf. Trifft es das?**

Es geht schon auch um Whodunnit, und Tests haben auch gezeigt, dass die meisten Zuschauer:innen erst in der großen Reveal-Szene gemerkt haben, wer dahinter steckt. Aber ab dem Zeitpunkt geht es um das Wie und Warum und nicht um das Wer. Das hat mich gereizt, und ich finde es schön, wenn es gelingt, dass man einen Film oder eine Serie vor allem gucken will, um die Figuren zu verstehen. Das hat auch in der Arbeit total Spaß gemacht. Der Film bekommt dadurch einen Thriller-Charakter.

**Sie erzählen aber auch eine Geschichte über Anschlusssuchen, Dazugehören, Allein- oder Ausgeschlossensein. So entsteht Empathie. Kann man die großartige Schlussszene mit den Kommissarinnen als Spiegelung oder zumindest Anspielung auf den Kern des Falls betrachten?**

Das freut mich total, weil wir versucht haben, es so zu bauen, dass man diese Parallele herauslesen kann. Es gibt zwischen den Kommissarinnen diesen Streit im Krankenhausflur, sie gehen in zwei verschiedene Richtungen und entfernen sich ab dem Moment voneinander. Erst am Ende begegnen sie sich im Krankenhaus, am Krankenbett wieder. Dadurch, dass sie die Schwester von Liv Moormann zu ihr ins Krankenzimmer einlädt, macht Linda Selb dann etwas für ihren Charakter sehr Ungewöhnliches. Das ist schon eine große Entwicklung, einerseits in dem Konflikt, den die beiden in dieser Folge austragen, aber auch in ihren jeweiligen Rollen, weil sie nicht so einfach jemanden an sich ranlassen. Ich finde wichtig, dass man innerhalb des „Tatort“ keinen Film macht, der nur für sich steht, aber nichts mit den Kommissar:innen und der Stadt, in der er spielt, zu tun hat.

**Ganz schwierig, wenn die Biographien der fixen Figuren unterlaufen werden.**

Die Herausforderung besteht darin, eine Verbindung zwischen der Geschichte und der Welt der Kommissar:innen, des gesamten Teams hinzubekommen. Ich mag auch unseren „Späti“ ([Alexander Swoboda](/person/alexander-swoboda)), der im Kommissariat die Stellung hält und die Gerichtsmedizinerin Edda ([Helen Schneider](/person/helen-schneider)) als „Weise“ im Hintergrund. Und unser Thema passt sehr gut nach Bremen. Mir war nicht bewusst, dass Bremen eins der ärmsten Bundesländer ist. Ich fand es total wichtig, eine Resonanz mit der Stadt zu spüren. Die Herausforderungen für die Leute, die dort leben, spiegeln sich im prekären Verhältnis unserer beiden Hauptfiguren wider.

![](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/e83c4e67-cb09-4327-91a0-8dc46b1af1f3.jpg)Großes Finale am Krankenbett: Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und Luisa Böse; Foto: Radio Bremen / Claudia Konerding

**Inzwischen haben Sie schon wieder einen „Tatort“ gedreht, für den [SWR](/company/suedwestrundfunk-swr). Was können Sie darüber erzählen?**

Der wird ganz anders. Es war sehr schön, gleich noch einen zweiten machen zu können. Wir sind gerade im Schnitt. Der Bremer „Tatort“ ist ein psychologischer Thriller. Der Ludwigshafener ist rasanter und spielt im Fahrradkuriermilieu. Es gibt Verfolgungsjagden auf der Straße. Auch formal ist das ein ganz anderer Film. Das knüpft an den Beginn unseres Gesprächs an, dass man sich im „Tatort“ so unterschiedlich ausdrücken kann.

**Anderes Team, andere Redaktion bedeuten eine grundlegend andere Erfahrung?**

Es ist wieder eine eigene Welt, in die man eintaucht. Als Regisseurin muss ich darauf achten, wie ich eine bereits bestehende Wiese bespiele, wie ich es schaffe, aus dem vorgegebenen Rahmen einen Film zu machen, der mir richtig gut gefällt.

**Sie haben ab 2020 viel fürs Fernsehen gearbeitet, „Soko Stuttgart“ haben Sie schon erwähnt. Es heißt oft, dass diese Formate ein gute Schule sind. Können Sie das bestätigen?**

Für mich war das so. Es war total gut, in kurzer Zeit viele verschiedene Folgen zu machen, unterschiedliche Geschichten, die in sich eine eigene Stringenz haben müssen, die man casten muss, die man mit Locations versorgen muss, die man auflösen muss. Man hat wenig Zeit und ist handwerklich ziemlich gefordert. Man wird dadurch auf jeden Fall besser. Ich liebe meinen Beruf, ich liebe filmisches Erzählen, und natürlich liebe ich vor allem auch das Kino und tolle Serien. Das sind unterschiedliche Arten, das Handwerk auszuüben. Aber am Ende bin ich immer Regisseurin und kann etwas für mich mitnehmen. Ich bin froh, dass ich mich weiterentwickeln und wachsen konnte und auch neue Möglichkeiten bekomme, Dinge zu gestalten und eine eigene Handschrift einzubringen. Und es ist immer etwas Beglückendes, zusammen an einem Film, einer Serie zu arbeiten. Ein großes Privileg. Der Traum ist natürlich, die eigenen Arbeiten auf die große Leinwand zu bringen.

**Wie steht es denn um Ihr Kinoprojekt „Babette“?**

Das Drehbuch habe ich zusammen mit [Stefanie Ren](/person/stefanie-ren) geschrieben, und wir waren damit 2023 für den Thomas Strittmatter Preis nominiert. Wir konnten das Projekt im vergangenen Winter beim Co-Production Market des Filmfestivals in Les Arcs vorstellen. Das war eine tolle Plattform, um sich international zu orientieren. Wir konnten da neue Partner:innen finden und sind weiter fleißig in der Finanzierung. „Babette“ ist ein Horrorfilm, in dem es um die Themenbereiche Mutterschaft und Tochterschaft geht.

**Was steht sonst noch für Sie an?**

Ich arbeite an einem Kleinen Fernsehspiel mit dem [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen), nachdem bereits mein Abschlussfilm [„Club Europa“](/movie/club-europa) als DKF entstand. Ich arbeite hier wieder mit dem selben Autor, [John-Hendrik Karsten](/person/john-hendrik-karsten) zusammen, der auch die Serie [„Everyone is fucking crazy“](/tvshow/everyone-ist-fcking-crazy), in der auch Via Jikeli die Hauptrolle spielt, geschrieben hat. Produktionsfirma ist [Studio Zentral](/company/studio-zentral), die ja dieses Jahr in Cannes mit „In die Sonne schauen“ ihren großen Auftritt haben. Der Film heisst „Risse“ und wird ein politischer Thriller, der sich mit einer rechten Community auf dem Land beschäftigt. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Schwestern.

Das Interview führte Frank Heine

Franziska Margarete Hoenisch: „Es gibt bei der Thematik vielerlei Unsicherheiten“