Blickpunkt:Film

Festival

Am 10. September startet die 32. Ausgabe des auf Independents fokussierten [Internationalen Filmfest Oldenburg](/company/internationales-filmfest-oldenburg). Wir sprachen mit dem Leiter [Torsten Neumann](/person/torsten-neumann_e), der auf „starke Stimmen am Rande des Systems“ setzt.

**Sie beschreiben Oldenburg als ein Festival der Entdeckungen. Wo finden Sie diese, die neuen Talente?**

Es ist wohl inzwischen so, dass diese neuen Talente uns finden. Es gibt immer weniger Filmfestivals auf dem internationalen Festival-Circuit, die sich noch mit den Filmen und Filmemachern auseinandersetzen, die sich außerhalb der Branche bewegen und ihre Filme fertigstellen, ohne bereits durch Filmförderungen, Weltvertriebe oder andere Branchenvernetzung den Zugang zum „Inner Circle“ finden. Unser Ruf, dieses Kino ganz spezifisch zu fördern, hat sich in der Welt herumgesprochen. Wir haben in den letzten Jahren gerade da die spannendsten und vielleicht auch talentiertesten Filmemacher gefunden. Wenn man sich fragt, warum das so ist, liegt es eigentlich auf der Hand: das Maß an Leidenschaft und Wille, etwas zu erzählen ist größer als anderswo. Widerstände zu überwinden kann hier und da zu einer Dichte und Leidenschaft führen, die sich auf die Leinwand überträgt.

##### „das Maß an Leidenschaft und Wille, etwas zu erzählen ist größer als anderswo“
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**Was hält der 32. Jahrgang bereit?** 

Von no-budget über low-budget bis hin zu großen Independent Produktionen haben wir einiges zu entdecken. Und selbst bei den größeren Independent Produktionen wie etwa Vincent Grashaws grandiosem „Keep Quiet“ oder auch der deutsch-schweizer Produktion „Ghost Bastard“, die sich mit ihrer Story direkt in den Vergleich mit großen Studioproduktionen stellt und mit Leichtigkeit neue Nuancen und erfrischende Blickwinkel findet, fehlen die direkten Zugänge zu Vertriebskanälen und sind die Budgets immer noch weit unter den Studiostandards. Unter den teilweise atemberaubenden Entdeckungen im Programm sehe ich etwa Filme wie „Harakiri, I miss You“, „Under the Burning Sun“ oder „The Silent Sinner“. Einer der für mich spannendsten „jungen Wilden“ des europäischen Kinos, der Belgier Jerome Vandewattyne, bringt seinen neuesten Film „Summer Hit Machine“ zu uns, erneut ohne jegliche Förderung auf die Beine gestellt. Da ist auch im europäischen Fördersystem einiges im Argen, wenn man die unangepassten Talente nicht erkennt, oder nicht erkennen will.

![„Ghost Bastard“ von Erkan Arcar. Foto: Filmfest Oldenburg](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/7982ab63-3011-4a7f-bdcd-91aa8253ec65.jpg)

**Lassen sich bestimmte Themen bzw. Formen, die sich im aktuellen unabhängigen Filmschaffen durchziehen, ausmachen?**

 In der Tat eine interessante Frage, die man oft nur mühsam beantworten kann. In diesem Jahr fällt es wirklich auf, dass es im unabhängigen Kino sehr oft um Einsamkeit, Entfremdung von der Gesellschaft und um ein grundlegendes Misstrauen gegenüber dem System gibt. Das sieht nun wirklich nach Zeitgeist aus und erinnert mich schon ein bisschen an die Filme der vielen „Neuen Wellen“ der späten 60er und 70er Jahre. Die gesellschaftliche Moral scheint endlich hinterfragt zu werden, denn das hat uns ja schon Stanley Kubrick mit seinem „Clockwork Orange“ erklärt – es kann so lange keine Moral geben, wie sich der Mensch nicht bewusst gegen sie entscheiden kann.



**Das irische Filmschaffen bildet einen kleinen Schwerpunkt. Warum ist es aktuell besonders interessant?**

Ja, es scheint, als wenn sich in Irland eine „new wave“ des irischen Kinos entwickelt – im vergangenen Jahr hat „Kneecap“ international für Aufsehen gesorgt und wir haben das auch direkt in Oldenburg erlebt, als vor drei Jahren der irische Film „The Black Guelph“ großer Gewinner des Festivals wurde. Das war ein Film, der sich direkt auf die Straßen der irischen Suburbs begeben hat und es war ein Film, der nicht vom irischen Fördersystem erkannt und gefördert wurde. Jetzt haben wir drei wunderbare irische Filme im Programm, Screen Ireland steht dahinter und fördert die Präsentation dieser Filme, die irische Botschafterin in Deutschland wird nach Oldenburg reisen und dieses kleine Spotlight mit ihrer Präsenz unterstützen – Irland scheint sich schneller als andere auf die starken Kinostimmen vom Rande des Systems einzulassen. Das ist ein gutes Signal und ich hoffe, das wird auch anderswo gesehen, denn es gibt eine ganz wichtige Aufgabe zu erkennen: neue Stimmen, ungewöhnliche und manchmal auch unbequeme Blickwinkel dürfen nicht verdrängt werden, im Gegenteil!


##### „Im unabhängigen Kino geht es sehr oft um Einsamkeit, Entfremdung von der Gesellschaft und um ein grundlegendes Misstrauen gegenüber dem System.“
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**Gibt es Neuerungen beim Festival?**

Wir sind irgendwie jedes Jahr gezwungen, Neuerungen zu erfinden, mit denen wir als Indie unter den Festivals auch neue Wege ausprobieren und die Sichtbarkeit und Wahrnehmung unseres Programms erhöhen. Es bleibt aber im Kern und in unserem Herzen immer das Festival, das wir vor über 30 Jahren ins Leben gerufen haben: ein Festival, das es nicht auf Gefälligkeit anlegt, dass auch als Festival nicht die einfache, nette Zugänglichkeit sucht und das immer die Leidenschaft seiner Filme und Filmemacher direkt aufs Publikum übertragen will. Die Zeiten haben sich halt geändert, also muss man immer neue Wege finden.
Welche Filme, Programmpunkte legen Sie dem Publikum besonders ans Herz?
Wir legen neben dem jungen, unabhängigen Kino, das voller grandioser Entdeckungen steckt, auch viel Wert auf den Blick auf die Kinogeschichte. Wir haben Tributes und Retros für Filmemacher im Programm, die ebenso entdeckenswert sind wie das junge Kino. [James William Guercio](/person/james-william-guercio) mit seinem einzigen Film „Electra Glide in Blue“ etwa und der wirklich unglaublich spannende Autor und Schauspieler [Don Keith Opper](/person/don-opper), der in all seinen Facetten und seiner großartigen Poesie des Erzählens sowohl als Schauspieler als auch als Autor nie wirklich gesehen wurde. Ich wünsche mir sehr, dass es die Wertschätzung der Filmgeschichte, insbesondere auch deren Randbereiche weiterhin geben wird.  Immer weniger Festivals machen sich die Mühe, solche Programmreihen aufzubauen und durch die Streaming-Kultur wird unser Gedächtnis, also das, was unsere eigenen Erfahrungen als Prägung in uns hinterlegt haben, verkümmern.

![„Android“ des Tribute-Gast Don Keith Opper. Foto: Filmfest Oldenburg](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/17fe1aab-1da6-4494-a20e-390ebfbe8de6.jpg)

**Auf welchen Film bzw. welchen Gast sind Sie persönlich besonders stolz?**

Das kann ich ganz einfach beantworten: auf alle! Alle Gäste, die hier nach Oldenburg kommen, tun es aus Leidenschaft für ihre Arbeit, für unser Festival und diese Kunstform. Das ist eine Energie, wir alle dringend am Leben halten müssen.


**Die Situation des Independentfilms ist schwierig, hierzulande ganz besonders. Spiegelt sich das auch in der Zahl der Einreichungen?**

Nein, es gibt bei uns aus besagten Gründen viele Einreichungen, die sich quasi aus dem bestehenden „gesellschaftlichen Filmgefüge“ gelöst haben. Die Einreichungen sind weltweit, die besonderen Filme, die wir entdecken, sind immer zahlreicher. Deutschland ist in diesen Bereichen nie Speerspitze neuer Bewegungen gewesen, aber es ist gut zu sehen, dass es aufregende neue Stimmen auch in unserer Sprache gibt. Um sich da weiter nach vorne zu spielen und Talente anders zu fördern oder zumindest zu sehen, müssten sich Strukturen ändern, das können wir als kleines Festival nicht alleine stemmen.

##### „Wir legen viel Wert auf den Blick auf die Kinogeschichte."
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**Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des unabhängigen Filmschaffens ein?**

Ich habe mir Zukunftsprognosen abgewöhnt. Meine Weltsicht ist eher pessimistisch, obwohl ich mit aller Leidenschaft gegen diese pessimistische Weltsicht ankämpfe. Es braucht halt ab und zu mal einen kleinen, anderen und zunächst mal ganz und gar nicht in das System passenden Film, der entdeckt wird und dem dann ein Weg in die große Wahrnehmung geöffnet wird. Dann kann sich etwas ändern – das braucht aber eine Kette an mutigen Stimmen, die sich gegen Erwartungen stellen. Wir stehen da an zweiter Stelle hinter den Machern, danach würden Medien, Vertriebe und Förderungen kommen. Schauen wir mal, ob so ein Wunder noch möglich ist!


**Einige, kleinere Festivals in Deutschland kämpfen ums Überleben. Wie geht es Ihrem? Mussten Sie Abstriche machen?**

Ja, das müssen wir. Es gibt so viele Dinge, die einfacher und leichter „verkäuflich“ sind, das Problem unserer heutigen Gesellschaft. Wir müssen Förderer finden, die sich trauen, an uns und an unser Profil zu glauben. Die sich hinter Dinge stellen, die nicht zum ganz schnellen Erfolg führen, die also den Independent Gedanken auch bei sich erkennen. Das ist in den letzten Jahren auch durch die Pandemie ganz und gar nicht einfacher geworden.

*Die Fragen stellte Heike Angermaier*



Torsten Neumann zu Oldenburg: „Ein Festival, das es nicht auf Gefälligkeit anlegt“