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Blickpunkt:Film: Warum die lange Pause nach "[Justiz](/movie/justiz)"?

Hans W. Geißendörfer: "Justiz" war nicht so wahnsinnig erfolgreich, und man sucht sich eine Menge Alibis, warum man nicht gleich wieder zuschlägt. Eines waren die Produktionen in England und vor allem auch in Deutschland. Ich brauchte Zeit, um das Selbstvertrauen wiederzufinden. Dann ging es los mit der Stoffsuche, der ein- bis zweijährigen Arbeit bis zur Drehbuchreife, der Finanzierung - und schon sind zehn Jahre herum.

BF: Ist ein Kinofilm Urlaub von der "Lindenstraße"?

HWG: Urlaub war "Schneeland" sicher nicht. Natürlich ist ein solcher Kinofilm eine andere Welt und eine ganz andere Produktionsform, ein ganz anderes Format. In der "Lindenstraße" zählen Dialoge, werden die meisten Informationen über Sprache vermittelt. Im Kino, wie ich es verstehe, vermittelt sich die Geschichte durch das Bild, Gesten, Bewegung, Licht. Nach der Lektüre des Romans wusste ich, da muss Cinemascope her mit ganz großen und sorgfältig gebauten Bildern. Da darf nichts zufällig sein, wenn man drei Geschichten gleichzeitig erzählt und aufeinander zuführt, von den Zeiten Heute und Gestern am Ende nur noch eine Zeit bleibt, nämlich die Zukunft.

BF: Was ging alles schief beim Dreh in Südlappland?

HWG: Die Arbeit mit den Schauspielern und dem Team klappte wunderbar. Die Probleme lagen am Wetter und an den daraus resultierenden Bedingungen, da kommen die Autos den Berg nicht hoch, kippt der Kran um oder bleibt im Schlamm stecken. Verzweifelt ruft man den Wetterdienst an und wird
als Produzent nervös, weil man nicht ständig noch einen Tag dranhängen kann.

BF: Hätte man die Innenaufnahmen denn nicht bequem im Studio drehen können?

HWG: Es muss wirklich kalt sein, sonst sieht man den Atem nicht. Es fällt dem besten Schauspieler schwer, schwitzend unter dicken Klamotten zu bibbern. Bei Frost wird auch der Mut, sich der Komik des Frierens auszusetzen, größer.

BF: Sie haben lange nach einer extremen Gegend gesucht.

HWG: Die Landschaft ist eine ergänzende Figur, die Einfluss nimmt auf die Menschen dort, das Verhalten der Charaktere noch intensiver erklärt und unterstreicht. Was immer man dem Film antun will, die Bilder kann man ihm nicht wegnehmen.

BF: Muss man Vergewaltigung oder Säuberung von Fäkalien so realistisch zeigen?

HWG: Ich habe spätestens beim Drehbuchschreiben gewusst, dass wir diesmal nicht weggucken, wenn es wehtut, und dass wir auch Zumutungen machen. Ich verstehe die Abwehr des Zuschauers, aber ich wollte ihm nicht schonen und elegant die Tür schließen bei der Vergewaltigung oder die Kotsäuberung nur andeuten, sondern zeigen, was Sache ist. "Schneeland" ist sehr hart, sehr realistisch, fast testamentarisch und archaisch. Nacktheit und Grausamkeit gehören zur Geschichte.

Potenzieller Verleih wünscht sich Schnitt

BF: ...könnten das Publikum, vor allem das internationale, aber verstören.

HWG: Die Herausforderung hieß: Will ich riskieren, nicht wegzuschauen, oder will ich auf Nummer Sicher gehen und ein wunderschönes Bauerndrama erzählen, wo man weiß, da passiert das ein oder andere Unrecht. Ich gehe in die Radikalität und erwarte die Bereitschaft, sich auf die archaisch dichten Emotionen einzulassen. "Schneeland" ist nicht nur für ein deutsches Publikum gedacht.

BF: Gab es schon Vorverkäufe?

HWG: Bisher sehr gute Gespräche. Ich hatte keine Probleme, mit [Bavaria International](/company/bavaria-film-international) einen Weltvertrieb zu finden, die Suche nach einem deutschen Verleih gestaltete sich wesentlich komplizierter. Es wurde Interesse signalisiert, aber nur mit Schnitt. Mit Ausnahme von "[Der Zauberberg](/movie/der-zauberberg)" habe ich meine Filme mit Director's Cut abgeliefert. Ich habe lange hart genug gearbeitet, um mir das zu erlauben. Selbst bei der "Lindenstraße" wird es schwierig, wenn jemand sagt, Geißendörfer schneide. Warum mache ich denn den Job? Um für irgendjemanden was zu schnippeln? Ich muss den Kopf hinhalten, mein Name steht im Abspann, also will ich auch, dass ein Film so ausschaut, wie ich will.

BF: Am 30. Januar läuft die 1000. Folge von "Lindenstraße". Wird Ihnen das nicht mal langweilig?

HWG: Meine Wachsamkeit richtet sich darauf, den Elan zu behalten und nicht müde zu werden. Inzwischen kann ich mich auf fantastische Autoren und ein tolles Team verlassen, läuft der Laden auch mal ohne mich. Meine Leidenschaft für diese Serie ist nach wie vor ungebrochen.

BF: Wann kommt der nächste Kinofilm?

HWG: Ich muss nicht unbedingt Produzent, Autor und Regisseur in Dreieinigkeit sein. Das deutsche Kino gewinnt national und international an Bedeutung, ich habe meinen Produktion im Kinobereich vergrößert, aus Lust, noch ein bisschen mitzumischen, auf jeden Fall als Produzent. Aber auch als Regisseur habe ich wieder Blut geleckt. Da köchelt was.

Hans W. Geißendörfers "Schneeland" läuft in Sundance