Blickpunkt:Film

Festival

Das [Festival des österreichischen Films](/company/diagonale-festival-des-oesterreichischen-films) findet 2020 nicht statt. Das Filmprogramm gibt es dennoch. Die beiden Leiter [Sebastian Höglinger](/person/sebastian-hoeglinger) und [Peter Schernhuber](/person/peter-schernhuber) machen sich Gedanken zur abgesagten Diagonale. Das geplante Programm soll dennoch am Freitag online gestellt werden, angereichert mit dem ein oder anderen Streamingangebot.


"Vergangenen Dienstag betraten wir ein Wiener Fernsehstudio, schalteten die Telefone in den Flugmodus und erzählten vom Programm der kommenden Diagonale, die vom 24. bis 29. März hätte stattfinden sollen. Die Vorahnung, über ein Festival zu sprechen, das nie stattfinden würde, lag zugegeben bereits in der Luft. Und sie sollte sich während diesem Interview bestätigen. Vorerst in Form einer Pressekonferenz des österreichischen Bundeskanzlers und des Gesundheitsministers zu den ersten gröberen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Covid-19-Virus'. Tags darauf folgte schließlich der zugehörige schriftliche behördliche Erlass, der die Absage des Festivals des österreichischen Films unumgänglich machte. Dazwischen: ein halber Tag der Spekulationen, sich überschlagender Nachrichten aus dem In- und Ausland, empathischer Solidaritätsbekundungen - und des mittlerweile gängigen 'Social-Media-Sofortismus', der ob seiner reflexhaften Geschwindigkeit jede tatsächliche Reflexion beinahe verunmöglichte. Oder um es Wienerisch zu sagen: Alles an diesem 10. März lief Gefahr 'überhapps' zu passieren.


Umso mehr pochten wir mit unserem Team auf Abstand in jedwedem Wortsinn. Und plötzlich tauchte auch eine Frage wieder auf, die uns erstmals 2014 bei unserer Nominierung als Intendanten der Diagonale gestellt wurde: Findet das Festival - damals einhergehend mit dem Versprechen, das eine jüngere Generation scheinbar nolens volens stets mit sich bringt - nun online statt?


Eine Frage, die wir damals wie heute zurückweisen möchten. Und zwar nicht aus falscher Nostalgie oder medienkonservativen Ressentiments, sondern aus der tiefen Überzeugung, kulturelle Ausdrucksformen ernstzunehmen. Festivals und Kinovorstellungen sind soziale Ereignisse. Im Kino singulär plural sein, gemeinsam allein und doch nicht allein ... all die Überlegungen und Eigenschaften, die dem Leitmedium des 20. Jahrhunderts eingeschrieben sind und die ihm gerade im Digitalzeitalter die Möglichkeit einräumen, den schnelllebigen zeitgeistigen Medienkonsum gegen den Strich zu bürsten, scheinen mit der einen Frage nach den digitalen Alternativen obsolet. Doch ist die Diagonale nach wie vor ein Kinofestival. Und als solches nimmt es diesen besonderen Ort ernst. Es erstaunt mitunter, wie gerade auch Filmschaffende, die ansonsten beharrlich für die Kulturform Kino plädieren, digitale Entsprechungen einer kurzen Phase der Kontemplation vorziehen. Warum fällt es uns so schwer zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Kulturveranstaltung einfach mal ausfällt? Wie viel falsches ideologisches Bewusstsein steckt in dem Glauben, das eigene Handeln und Tun sei just in einem Moment der kollektiven Krise unverzichtbar und von zentraler Bedeutung? Inwiefern dient dieser Reflex zuvorderst der Vergewisserung des eigenen Daseins? Oder anders und für die Diagonale gefragt: Hat ein Festival, das unmittelbar vor der Eröffnung abgesagt wurde, tatsächlich nie stattgefunden?


Wirft man einen Blick in den bereits veröffentlichen Festivalkatalog, so kann man diese Frage nur verneinen. Die Diagonale'20 ist abgesagt und unvollendet, jedoch vorhanden. Und doch hinterlässt ihre Absage ein Loch: ein finanzielles für Festival, Mitarbeiter/innen und Freiberufler/innen, die dem nicht stattfindenden Festival zuarbeiten (hier laufen die Bemühungen zur Schadensbegrenzung auf Hochtouren), ein inhaltliches, durch nicht persönlich diskutiertes Programm und nicht generierte Sichtbarkeit, vor allem für "kleinere" Filme, die es abseits der Festivalauswertung schwer haben. Freilich ist da auch das emotionale Loch, das angesichts vermeintlich vergeblicher, einjähriger Vorbereitung nach einer solchen kurzfristigen Absage entsteht, nicht wirklich kleinzureden. Auf Festivalseite sowie auf Seite der Filmschaffenden, die einer Präsentation in Graz entgegenfieberten.


Das Festival als 'proposal to project'


'A Proposal to project' heißt eine experimentelle Filmserie der Künstlerin und Filmemacherin Viktoria Schmid, deren neueste Variation 2020 im Wettbewerb in Graz zu sehen gewesen wäre. Schmid positioniert leere Leinwände inmitten naturbelassener Landschaft und wartet darauf, dass ihnen das natürliche Spiel von Licht und Schatten Bilder zufallen lässt. Schmids Film ist eine Versuchsanordnung und ein Experiment, das wie viele Arbeiten der Diagonale-Sektion "Innovatives Kino" Grundsatzfragen zum Dispositiv Kino und der Kunstform Film ausloten und diese augenzwinkernd be- und hinterfragen. Wir wollten (Vergangenheit) den Filmtitel heuer dem Programm des gesamten Festivals voranstellen. Nun, nach geänderten Vorzeichen, eignet er sich anders, vielleicht sogar besser denn je: Die Filme des Festivals des österreichischen Films sind auch nach Absage 'proposals to project', Vorschläge zur Projektion in mehrfacher Wortbedeutung. Sie waren 'proposals to watch in theatres'.


Nun ist der Faktor Soziales und Kino weggebrochen. Kann die Vereinzelung der Filme vor behördlich-veranlasstem 'vereinzelten' Streamingpublikum das Format Festival ersetzen? Mitnichten. Aufgabe eines Festivals muss es immer sein, nicht bloß einzelne Filme hervorzuheben, sondern Resonanzen zwischen den Arbeiten zu erzeugen, unsichtbare Verbindungslinien aufzuzeigen oder zumindest anzubieten - im gegebenen Fall zwischen den Genres und unterschiedlichen Spielarten von "österreichischem" Film. Es braucht Gegenrede, Fantum und "Umarmungen", die in Zeiten von Covid-19 nicht mehr zeitgemäß scheinen. Erst in dieser Ballung und Form - diesem sozialen Geflecht Festival - lassen sich dann auch film- und kulturpolitische Befunde ableiten. Aufgabe des positiven Ausnahmezustands Festival muss es schließlich sein, Filmvorführungen (nicht zuletzt technisch) zu ermöglichen, die im Regelkinobetrieb nicht funktionieren - und es somit auch im digitalen Streamingwust schwer haben werden. Hinzu kommen Produktionen - auch das gilt es selbstkritisch anzusprechen -, die unentschlossen zwischen Festival- und Kinoauswertung verpuffen. Machen wir uns nichts vor, auch das Festival des österreichischen Films befeuert mitunter diese Entwicklung. Und doch sind es diese Filme, die es als Erfahrungen durchwegs braucht, um sich anhand von Versuchen, Experimenten und mitunter auch Scheitern qualitativ hochzuarbeiten. Bestenfalls zu einer Filmkultur, die in ihren unterschiedlichen Spielarten mehrfach beglückt. Auf Festivals, im Kino, digital ausgeliefert und - allen voran - darüber hinaus.


Weshalb eine digitale Diagonale partiell dennoch zu begrüßen ist


Tatsächlich werden einzelne Programmpunkte des heurigen Festivals des österreichischen Films nun online stattfinden: auf Flimmit, im KINO VOD CLUB und andernorts. Das ist erfreulich, weil diese Formate erst gar nicht versuchen, die Diagonale digital zu ersetzen, sondern auf jene Berührungspunkte fokussieren, die auch das analoge Festival des österreichischen Films ohnedies mit der Welt des Digitalen hätte: Filme, die das Publikum privat nochmals nachsehen möchte, Literaturlisten mit Büchern und Texten, die den Filmen der Diagonale einen Resonanzraum geben.


Dabei lässt die Lücke, die sich durch die diversen Absagen von haptischen, realen Festivals, von Kultur- und Sportveranstaltungen allerorts auftut, möglicherweise Platz für Reflexion über deren gesellschaftliche Funktion. In den letzten Tagen wurde nämlich einmal mehr auf schmerzhafte Weise augenscheinlich, auf welchen fragilen und prekären Strukturen der hiesige Kulturbetrieb aufbaut, obwohl erwartet wird, permanent auf hohem Niveau abzuliefern. Daraus ergibt sich zum einen die dringende Notwendigkeit massiver finanzieller Zuwendungen, um zuvorderst die desaströse soziale Lage vieler Kunst- und Kulturschaffender abzufangen. Zum anderen braucht es auch ein Umdenken innerhalb unserer mitunter sehr egobezogenen Branche: Solidarität vor Sendebewusstsein! Als am letzten Dienstag nach der Pressekonferenz Drastik und Ausmaß der derzeitigen Ereignisse in ihrer Tragweite noch nicht abschätzbar waren, standen vielerorts nicht Fragen zur Gesundheit, der politischen Dimension der aktuellen Ereignisse und der sozialen Absicherung (nicht zuletzt für alle prekär Beschäftigten und Künstler/innen)...

Höglinger/Schernhuber: "Diagonale'20 - a proposal to project"