Blickpunkt:Film

Film

Blickpunkt:Film: Wie war Ihr persönlicher Weg zur Buena Vista? Sie waren im "vorigen Leben" ja zunächst einmal Kinomacher.

Wolfgang Braun: Ich hatte mich schon während meines Jurastudiums mit Kino beschäftigt und im Jahr 1978 mit Freunden in Bochum ein Programmkino aufgemacht. Dabei merkte ich schnell, dass diese Branche langfristig doch interessanter sein könnte als die Juristerei. Bald fing ich an, mich mit der Planung für den Bau von Multiplexen zu beschäftigen, als man das in Deutschland für vollkommen überflüssig hielt. Ein einzelnes Multiplex-Kino hätten wir sicher ohne fremde Hilfe realisieren können, aber es sollte schon eine Kinokette werden. Deshalb war ich auf der Suche nach Partnern: Neben AMC (American Multi Cinema) mit dem legendären Multiplex-Erfinder Stanley Durwood, die ich 1984 ins Boot holte, kamen später auch United Artists Theatre Circuit sowie Paramount und Universal hinzu. Mit den beiden Letzteren gründete ich dann die heutige [UCI](/company/united-cinemas-international-multiplex-gmbh). Während das übrige Kino-Deutschland noch schlief und Desinteresse zeigte, genoss mein Projekt übrigens höchste Priorität bei den Partnern. Alle Presidents, CEOs und höchsten Konzernchefs aus Amerika waren in der Bau- und Planungsphase mehrfach in Deutschland und kümmerten sich persönlich um die Zukunft des Kinos.

BF: Und wann wurde Ihr Multiplex-Traum zur Realität?

WB: Deutschlands erstes Multiplex mit 14 Sälen konnte ich gemeinsam mit [Thomas Menne](/person/thomas-menne) 1989 in Köln-Hürth feierlich eröffnen und kurz darauf das zweite in Bochum mit 18 Kinos. Nebenbei sicherte ich der UCI den [Zoo-Palast](/company/zoo-palast-berlin) in Berlin und plante schon unmittelbar nach der Maueröffnung das erste DDR-Multiplex. Im Leipziger [Saale Park](/company/uci-nova-eventis-saale-park) wurde dann auch 1992 das erste Multiplex-Kino in den neuen Ländern eröffnet. Und kurz davor bin ich zu Buena Vista gekommen.

BF: Wie kam es dazu?

WB: Wie so etwas halt passiert: Da ruft ein Head Hunter an und erzählt, dass es da so ein paar Amerikaner gebe, die einen neuen, großen Verleih in Deutschland und dem Rest der Welt gründen wollen. Und ob ich das nicht übernehmen wolle? Spontan habe ich erst mal "nein" gesagt. Ich hatte damals einen spannenden Job als Multiplex-Pionier und "Kinobauer", was ich zunächst interessanter fand als vorwiegend "Kinderfilme" ins Kino zu bringen. Überzeugt hat mich dann aber der damalige Disney-Distributionschef Bill Mechanic, der mich nach Burbank einlud und mir die Visionen der Disney Company zeigte.

Vom Multiplex-Pionier zum Verleihchef

BF: Wo und wie haben Sie dann angefangen, den Verleihbetrieb aufzuziehen?

WB: Hier in diesem Büro an der Kronstadter Straße in München habe ich ab Mai 1992 ganz allein angefangen. Disney hat mir freie Hand gelassen. Die ersten Überlegungen gingen dahin, ob man das althergebrachte Filial-System in Düsseldorf, München, Frankfurt, Hamburg und Berlin übernimmt oder lediglich von einer Zentrale aus operiert. Zwar hatten wir anfangs noch eine Filiale in Düsseldorf, da dieser Bezirk der größte war, doch das zentrale System war die richtige Option. Meine Mitarbeiter habe ich mir überdies handverlesen ausgewählt. Der erste von ihnen war [Thilo Kuhn](/person/thilo-kuhn), damals für den Verleihbezirk Düsseldorf. Nummer zwei war [Christoph Ott](/person/christoph-ott), der von [Senator Film](/company/senator-entertainment-ag) kam.

BF: Hatten Sie ein Problem damit, die Seiten zu wechseln?

WB: Eigentlich bin ich ja seit den BVI-Anfangstagen der einzige "objektive Verleiher", der genau weiß, wie beide Seite funktionieren, der sowohl kleine als auch große Kinobetriebe selbst gegründet und geleitet hat. Damals war das ideal, denn
es herrschte Anfang der neunziger Jahre wegen des Aufkommens der Multiplexe große Unruhe in der deutschen Kinolandschaft. Sehr viel Überzeugungsarbeit war nötig, was nun gerade auch von der Verleihseite gefördert werden konnte.

BF: Das erste Jahr war für BVI gleich ein erfolgreiches.

WB: Sogar der erste Film war gleich äußerst erfolgreich. "[Sister Act](/movie/sister-act)" sahen in Deutschland über vier Mio. Besucher. Eigentlich gehörte der Film noch zu unserem Vertrag mit [Warner Bros.](/company/warner-bros-pictures-germany). Dort meinte man damals, dass wohl kaum jemand einen Film mit einer schwarzen Nonne sehen wolle. So haben sie den Film dann an uns zurückgegeben. Mit einem riesigen Erfolg - für uns.

BF: Wie wurde BVI damals in der Kinolandschaft aufgenommen? Hat der Erfolg von "Sister Act" nicht auch Türen geöffnet?

WB: Wir wurden auch vorher schon sehr ernst genommen. Denn die Branche hatte ja mitbekommen, dass ich einigen Erfolg durch den Bau von Multiplexen hatte. Viele orakelten ja vorher, dass Deutschland keine Multiplexe brauche und keiner dies finanzieren würde. Als Verleiher konnte ich von diesem guten Leumund profitieren. Abgesehen davon, dass Touchstone- und Disney-Filme nicht erst seit "[Die Schöne und das Biest](/movie/die-schoene-und-das-biest_0)" oder "[Pretty Woman](/movie/pretty-woman)" extrem erfolgreich an den Kinokassen waren.

BF: Wie reagierten die deutschen Verleiher-Kollegen?

WB: Es begann damals ein Generationswechsel. [Jürgen Schau](/person/juergen-schau) etwa hatte kurz vorher bei der [Columbia](/company/columbia-tristar-film) Erich Müller abgelöst. Manch alteingesessene Chefs nahmen uns vielleicht weniger positiv auf als die jüngeren. Letztere waren damals der richtigen Meinung, dass mehr Konkurrenz auf hohem Niveau den Markt beleben und nach vorn bringen könne.

BF: War es schwierig, ein kompetentes Team zusammenzustellen?

WB: Ich wollte neue Impulse setzen und dabei weniger auf Leute zurückgreifen, die sich schon 20 Jahre in der Branche auskannten. Das deutsche BVI-Team rekrutierte sich sowohl aus Mitarbeitern, die Verleiharbeit gemacht haben, als auch aus jenen, die ganz fremd in die Branche hineingekommen sind. Die alle nicht, wie ich das damals ausgedrückt habe, "in verkrusteten Strukturen denken".
BF: Warum haben Sie den Standort München ausgewählt?

WB: Sicherlich hätte ich den Verleih, wie zuvor UCI, auch in Bochum eröffnen können. Für die Münchner Wahl gab es drei Gründe: Zum einen hatte die Firma dort den deutschen Home-Entertainment-Arm gegründet, und zum anderen war München damals schon ein bedeutender Medienstandort. Ferner herrscht in dieser Stadt ein freundliches Klima, das Arbeitsumfeld stimmt und der Freizeitwert für unsere Mitarbeiter ist extrem hoch.

BF: Was waren im Lauf der vergangenen zehn Jahre die größten Erfolge für Buena Vista?

WB: Rund 250 Mio. Besucher in knapp zehn Jahren - ich glaube nicht, dass irgend jemand sonst für ein einzelnes Studio eine solche Erfolgsbilanz präsentieren kann. Es gab wirklich zahllose Top-Titel, aber zum Beispiel auch die Wiederaufführung von "[Das Dschungelbuch](/movie/das-dschungelbuch_4)". Damals ist es uns zum ersten Mal gelungen, die Kinobetreiber davon zu überzeugen, einen höheren Prozentsatz für eine Wiederaufführung zu zahlen, da wir diesen Film wie einen Neustart behandelten und aufwändig herausgebracht haben. Der größte Erfolg eines Zeichentrickfilms war "[Der König der Löwen](/movie/der-koenig-der-loewen)" mit fast zwölf Mio. Besuchern, gestartet mit nur 250 Kopien.

BF: Gab es auch Enttäuschungen?

WB: Enttäuscht bin ich in unserer Branche eigentlich nur darüber, dass es uns einfach nicht gelingen will, einen engeren Zusammenhalt zu entwickeln, um gegen die anderen Anbieter im Kampf um die Freizeit und die entsprechenden Budgets der Bevölkerung bestehen zu können. In anderen Ländern ist das anders, da machen sich Verleiher und Kino-Betreiber viel mehr Gedanken darüber, wie man im Entertainment-Markt weiterhin die Nummer eins bleiben kann. Selbst das Mobiltelefon ist doch mittlerweile eine harte Konkurrenz für das Kino geworden, denn die Budgets der Kids reichen vielfach nicht mehr aus, um sich auch andere Dinge leisten zu können. Statt sich also darüber Gedanken zu machen, werden von der Branche immer wieder irgendwelche kleinen Problemchen ganz groß gemacht.

BF: Wie bewerten Sie in der Rückschau die Entwicklung der deutschen Filmproduktion bei BVI?

WB: Wir haben uns relativ früh überlegt, dass wir mit unserem auf dem deutschen Kinomarkt tätigen Unternehmen nicht die Augen vor dem deutschen Filmangebot verschließen können. Dieser Bereich ist ein wichtiger Seitenzweig unserer Arbeit geworden. Die ersten deutschen Titel waren "[Pumuckl und der blaue Klabauter](/movie/pumuckl-und-der-blaue-klabauter)" und der [Doris Dörrie](/person/doris-doerrie) -Film "[Keiner liebt mich](/movie/keiner-liebt-mich)". Unser erfolgreichstes Projekt war bisher "[Knockin' on Heaven's Door](/movie/knockin-on-heavens-door)". Unser Engagement als Koproduzenten werden wir auch weiterführen und jedes Jahr zwei bis vier deutsche Filme im Programm haben.

BF: Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit den Kinobetreibern?

WB: Die Zusammenarbeit ist stetig professioneller geworden. Früher fand ein modernes Kinomarketing kaum statt. Marketing verstand sich damals als Showmanship einzelner Kinobetreiber, die qua eigener Persönlichkeit tolle Aktionen generieren konnten. Andere indes haben nur das Verleihplakat aufgehängt. Nur eine der vielen Veränderungen, die wir von Buena Vista realisiert haben, war, mit den Kinobesitzern gemeinsam zu überlegen, wie man vor Ort mehr für die Filme tun kann. In diesem Zusammenhang haben wir viele neue Tools entwickelt: Kleinigkeiten wie Musik-CDs, wo Ausschnitte aus kommenden Filmen integriert sind, einen Info-Rundbrief und zu guter Letzt auch einen eigenen BVI-Bereich, zunächst unter der Bezeichnung "Cinema Events", jetzt richtiger "Trade Marketing". Diese Maßnahmen sind sehr positiv angelaufen und ich denke, dass ausnahmslos alle davon profitiert haben. Auch die anderen Verleiher haben unsere Ideen so nach und nach übernommen und gemeinsam entwickeln wir den Markt stetig weiter. Im Moment konstatiere ich in Teilen der Branche aber wieder eine gewisse Lethargie, die sich schleichend bei den Betreibern der großen Kinoketten und Multiplexe breit macht. Im lokalen Marketing tun diese Häuser weniger und begnügen sich - wenn überhaupt - zumeist damit, im Kino ein Plakat aufzuhängen: Willkommen in der Vergangenheit! Dies war auch der Grund, warum wir zusammen mit Blickpunkt:Film den KinoManagerAward ins Leben gerufen haben.

Engerer Zusammenhalt im Kampf um die Freizeit

BF: Kann man den deutschen Kinopark mittlerweile als perfekt bezeichnen?

WB: Nein, überhaupt nicht. Da braucht man sich nur einmal das Drama in München anzuschauen. In vielen Städten könnte man sicherlich durch eine andere Art der Programmierung das Angebot interessanter gestalten, denn im Kino schräg um die Ecke muss man nicht unbedingt den gleichen Film einsetzen. Tatsächlich gibt es auch noch wei-ße Flecken auf der Landkarte, wo es zu wenige Leinwände gibt. Auch viele Multiplex-Betreiber glauben ja derzeit wohl, dass sie zu wenige Leinwände haben, wenn sie einzelne Filme in sieben Häusern spielen und andere dafür gar nicht. In manchen Wochen laufen 8000 Kopien auf rund 4500 Leinwänden. Da gibt es also noch kein Gleichgewicht. Viele der von mir seinerzeit angeregten 1000 neuen Leinwände sind inzwischen entstanden, aber es gibt vielerorts noch Bedarf an guten Kinos.

BF: Sind Kinoneubauten wirklich die einzige Möglichkeit, um mehr Zuschauer zu generieren?

WB: Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten. Es lohnt der Blick über den eigenen nationalen Tellerrand. So helfen auch gemeinsame Promotion-Aktionen, wie jüngst geschehen mit den Cinestar-Kinos für den Film "[Snow Dogs](/movie/snow-dogs-8-helden-auf-4-pfoten)". Und siehe da, dieses Unternehmen hatte bei diesem Film die meisten Besucher. Das Modell für diese Aktion stammt übrigens aus Australien. Dem Kinozuschauer muss wieder der Film als Hauptsache präsentiert werden. Danach darf erst das "Up-Selling" mit Popcorn & Co. und die Vermarktung von Nebenflächen kommen. Da machen fast alle Kinounternehmen aus meiner Sicht kapitale Fehler.

BF: Wichtig wäre auch, die Besucherschicht jenseits der 40 verstärkt anzusprechen.

Stets innovativ und extrem engagiert

WB: Sicher, doch diese Altersgruppe tut sich z.B. schwer damit, bis zu 40 Minuten Werbung vor dem Hauptfilm zu ertragen. Wäre es nicht sinnvoller, die Werbung im Kino drastisch zu reduzieren, um so zum Beispiel eine Vorstellung mehr zu generieren? Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich für ein Kinocenter rechnen würde, den Hauptfilm ohne Fremdwerbung direkt nach einer Hand voll Trailer zu starten, damit nach außen zu werben und dafür den Eintrittspreis vielleicht sogar etwas höher als der Konkurrent mit nervender Werbewartezeit anzusetzen. Gerade in Deutschland verändert sich die Altersspirale immer weiter nach oben, aber ein Problembewusstsein in der Branche nimmt kaum zu. In den USA wurde das Problem besser angegangen, z.B. durch die "Golden Age"-Tickets, mit denen AMC die 17/18-Uhr-Vorstellung sehr erfolgreich reanimiert hat.

BF: Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Eintrittspreisstruktur im Kino?

WB: Das ist schon wie bei den neuen Bahntarifen. Da weiß man auch nicht mehr, wie viel man für eine bestimmte Strecke zahlen muss. Auch im Kino sind die Preise verwirrend - auf der einen Seite die Super-Billig-Tage mit Eintritten für vier Euro, und am Wochenende gleich das Doppelte. Das ist nur schwer nachzuvollziehen für den Besucher. Ich glaube nicht, dass man langfristig mehr Zuschauer generiert, wenn sich das Kino in ein Billig-Unterhaltungsmedium verwandelt. In vielen Ländern ist der durchschnittliche Eintrittspreis deutlich höher als bei uns, sogar in unseren Nachbarländern Österreich und der Schweiz. Trotzdem gehen dort mehr Leute im Durchschnitt ins Kino als bei unseren Kino-Discountern.
BF: Gerade in diesem Jahr gab es wieder Krach um die Verleih-Mietsätze. Zudem hört man von zivilrechtlichen Klagen einzelner Multiplex-Betreiber, die in Kleinstädten einen geringeren Mietsatz einklagen wollen. Sehen Sie hier Diskussionsbedarf?

WB: Früher, als Filme noch mit 200 Kopien gestartet wurden, hat es sicher Sinn ergeben, später einsetzenden Kinos mit gebrauchten Kopien einen geringeren Leihsatz einzuräumen. Heute wäre ein System am gerechtesten, bei dem alle, die mit einer Startkopie einen Film eröffnen, das Gleiche bezahlen. Allerdings wird durch hohe Kopienzahlen der Verleih gezwungen, dafür deutlich mehr Geld auszugeben und auch sein Marketingbudget zu erhöhen, um rentabel zu bleiben. Und am Einspiel wollen Lizenzgeber und Produzenten auch ihren Anteil haben. Das führt logisch eher zu einem hohen als zu einem niedrigen Prozentsatz.

BF: Wie sind die Prognosen für die nächsten zehn Jahre BVI?

WB: Das ist ein langer Zeitraum und ich habe leider keinen allwissenden Spiegel, wie es ihn in Disneys erstem Film "[Schneewittchen und die sieben Zwerge](/movie/schneewittchen-und-die-sieben-zwerge)" gibt. Aber unser Studio war und ist stets besonders innovativ, extrem engagiert und hat viele Verträge mit Top-Talents abgeschlossen. Sowohl von Touchstone Pictures, Walt Disney Pictures, Miramax und anderen Produktionslinien können wir weiterhin sowohl viele Blockbuster-Filme erwarten wie engagiertes Kino in allen Kategorien. Wenn die Branche in Deutschland ihre Schwerpunkte endlich zurechtrückt, wird das Kino die nächsten zehn Jahre nicht nur locker überdauern, sondern den Entertainment-Sektor wieder in herausragen-der Weise dominieren.

BVI-Chef Wolfgang Braun zu Geschichte und Zukunft