Blickpunkt:Film

Film

Was fasziniert Sie so an William Turner?


[MIKE LEIGH](/person/mike-leigh): Als Teenager hat er mich nicht interessiert, ­[Picasso](/person/pablo-picasso) oder [Dalì](/person/salvador-dali) fand ich aufregender. Ich ­habe [Turner](/movie/the-best-of-ike-tina-turner)erst in der Art School während der Sechzigerjahren entdeckt. Er ist einer der größten Künstler und Maler Englands. Einer, der die Malerei revolutioniert hat. Mich fas­zinierte seine Beziehung zur Arbeit, diese Schnelligkeit und Besessenheit, mit der er ­unverwechselbare Werke schuf. Trotz seines Ruhms hat er nie seine einfache Herkunft vergessen, sonnte sich nicht im Licht der Öffentlichkeit und kümmerte sich keinen Deut um den Zeitgeschmack. Die ideale Figur für einen Mike-Leigh-Film, eine filmische Figur. Ich will nicht arrogant sein, aber die wenigsten Künstlerporträts tauchen in deren spezifische Welt ein, sondern romantisieren und idealisieren nur. Ich wollte einen anderen Blick auf diese Welt werfen.


Wie lange haben Sie das Projekt mit sich herumgetragen?


Zu lange! Schon um die Jahrtausendwende habe ich mit meinem Produzenten darüber gesprochen. Aber es dauerte und dauerte. 2003 wagte ich einen erneuten Vorstoß, alle winkten ab wegen der Kosten. Dazwischen drehte ich dann ["All or Nothing"](/movie/all-or-nothing), ["Vera Drake"](/movie/vera-drake), ["Happy-Go-Lucky"](/movie/happy-go-lucky) und ["Another Year"](/movie/another-year). Turner behielt ich immer im Hinterkopf. Letztendlich klappte die Finanzierung - für ein Historienepos mit einem Low Budget von mageren 8,8 Mio. Pfund. Ein Wahnsinn! So mussten wir auf die Dreharbeiten in Venedig verzichten, dafür fehlte schlicht das Geld. Allein die Recherchen waren sehr aufwendig. Wir brauchten drei Jahre Vorbereitung und sechs Monate Proben. Da habe ich gemerkt, es geht doch nur um das Geschichtenerzählen. Man kann 1000 Bücher lesen oder 100 Jahre recherchieren, das allein macht die Figuren vor der Kamera nicht lebendig. Am Ende kommt es darauf an, ihnen Leben einzuhauchen, sie wahrhaftig scheinen zu lassen. Das entstand beim Drehen und wie gewohnt ohne festes Manuskript.


Filmemacher und Maler kreieren Bilder, lassen sich von der Imagination leiten. Das ist vielleicht schon alles. Ein Maler führt ein ziemlich einsames Leben, wie ein Schriftsteller. Als Regisseur arbeite ich dagegen in einer Gemeinschaft, teile die Ideen mit dem Team. ­Natürlich fühlte ich mich der Person nahe, als Kreativer verstehe ich, was ihn umtrieb. Aber in ["Mr. Turner"](/movie/mr-turner-meister-des-lichts) steckt nichts Autobiografisches.


Warum die Konzentration auf die letzten 25 Jahre im Leben dieses Mannes?


Ich wollte keines der üblichen Biopics machen und Stationen abhaken, sondern mich auf eine der wichtigsten und vielleicht auch widersprüchlichsten Phasen in Turners Leben konzentrieren, und das waren die späten Jahre. Durch den Tod seines Vaters geriet er in eine Krise, wurde exzentrischer und wütender, aber auch verletzbarer, seine Malerei radikaler und abstrakter. Und dann seine neue Beziehung, diese Spannung zwischen künstlerischer Ausdrucksweise und emotionaler Ambivalenz. Die ist das Herz des Films.


Wie erlebten Sie das erste Mal mit der digitalen Kamera?


Es war kein Kompromiss, sondern für Kameramann Dick Pope und mich eine bewusste und keinesfalls finanziell motivierte Entscheidung. Natürlich tut der Abschied vom 35-Millimeter-Film weh, aber wir dürfen nicht retro sein. Die Kopierwerke schließen eines nach dem anderen, und wir sind jetzt beide von den Vorzügen digitalen Arbeitens überzeugt, auch in der Postproduktion. Turner war auch immer allem Neuen aufgeschlossen, der hätte sicher auch digital gedreht.

Er muss lebendig werden!

Ein "Meister der Lichts", wie im Filmtitel, war nicht nur der Maler William Turner (Timothy Spall), sondern das ist auch der Regisseur des grandiosen Films, Mike Leigh...