Blickpunkt:Film

Film

Herr Lorenz, die neue ORF-Geschäftsführung kündigt an, mutiger zu sein und Risiken nicht zu vermeiden. Das heißt?
Das werden wir ab dem 10. April beweisen müssen. Die Kollegen von [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen) und [ARD](/company/ard-gemeinschaftsprogramm-erstes-deutsches-fernsehen) meinten sogar, ob wir mit so einem großen Sprung nach so kurzer Amtszeit nicht etwas zu mutig wären.

Wo kommt denn dieser Mut eigentlich zum Tragen?
Der ganze Programmduktus ist frischer. Wir haben uns von einer obsoleten Tradition der simplen Geschäftsfortführung befreit, gehen neue Wege weg von der Partei- hin zur Gesellschaftspolitik. Wir wollen Leitmedium in allen gesellschaftlichen Bereichen sein.

Da gibt es auch bei der Filmprogrammierung Aufholbedarf.
Mit dem neuen Schema haben wir Filme thematisch neu verankert: montags ein Art-Film, freitags Werke aus dem europäischen Filmschaffen und am Sonntag endlich ein fixer Platz für den Dokumentarfilm. Das sind bewusst keine marktorientierten, sondern kulturell motivierte Maßnahmen.

Wie stellt sich die österreichische Perspektive dar?
Ich halte den Österreicher für einen Europäer, er sich selbst allerdings oft nicht. Das wird zu ändern sein. Es wäre doch interessant, im ORF auch mal einen serbischen, polnischen oder portugiesischen Film zu zeigen. Die Frage ist: Welche Geschichten erzählt Europa und wie kommunizieren wir über diese? In dieser Vielfalt wird auch der österreichische Film gut wahrgenommen sein.

Worin bestünde der Nutzen?
Für den ORF als öffentlich-rechtlichen Sender geht es immer auch um kulturpolitische Maßnahmen. Wenn der österreichische Film in den Kinos bei zwei Prozent Marktanteil herumdümpelt, dann ist der ORF doch als größte Spielfläche anzusehen. Die Zeiten, wo das Fernsehen die Filmemacher belächelt hat und umgekehrt, sind vorbei. Ziel kann doch nur sein, für sein Produkt ein Publikum zu finden.

Sie bezeichneten das Gros der Förderanträge unlängst als "Speisekarte der Mittelmäßigkeit".
Ja, es ist oft schon deprimierend, wenn man die Anträge sieht und sich fragt, wo eigentlich der Film zu finden ist, von dem wir reden.

Was vermissen Sie dabei?
Frische, junge, gut gearbeitete Filme. Auch einen Film wie "Borat" - das ist sicherlich kein guter Film, aber die Unverschämtheit, mit der er auftritt, der Mut zur politischen Unkorrektheit, ist der Erfolg eines kleinen schmutzigen Films. Ein Film muss Bilder und Töne erzeugen, wie es das Fernsehen nicht kann.
"Wir sind sicherlich nicht fehlerfrei"
Was könnte aus Sicht des größten Auftraggebers des Landes dorthin führen?
Indem man mit den Förderern andere Joint Ventures trifft und eine neue Kultur anlegt. Der ORF bietet an, dass wir die Kriterien, wie wir mit Film umgehen, aber auch wie Produzenten und Kreative mit uns umgehen, gemeinsam überdenken. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir uns selbst konstitutionell infrage stellen.

Wie haben sich die Gespräche mit den Filmschaffenden entwickelt?
Sehr gut, es gibt kein klimatisches Problem. Aber wie können wir die nächsten Generationen beispielhaft ermuntern, wie ihnen ersparen, Konsensprodukte im Sinn von Juryfähigkeit abzuliefern? Wir brauchen keine gremial verträgliche Kultur, das ist das Ende von allem.

Das [ÖFI](/company/oesterreichisches-filminstitut) registrierte beim jüngsten Einreichtermin weit mehr förderungswürdige Projekte als budgetmäßig bewilligt werden konnte. Bei Ihnen klingt es so, als ob der ORF Mühe hätte, die Budgets auszuschöpfen.
Das ist richtig, es gibt seit Jahren kein einziges wichtiges Projekt, das aus Gründen unserer Finanzmechanik abgelehnt hätte werden müssen.

Im Fall von "[Spiele Leben](/movie/spiele-leben)" der Produktonsfirma [Coop99](/company/coop99-film) brachte erst Schweizer Geld die Produktion auf den Weg.
Wir sind sicherlich nicht fehlerfrei, so wie auch die Coop99 nicht, die etwa vergessen hat, uns [Weingartners](/person/hans-weingartner) "[Die fetten Jahre sind vorbei](/movie/die-fetten-jahre-sind-vorbei)" überhaupt zur Förderung vorzuschlagen. Ich bin aber glücklich, dass wir bei dessen nächsten Film "[Free Rainer](/movie/free-rainer-dein-fernseher-luegt)" dabei sind.

ORF und ÖFI entscheiden in der gemeinsamen Kommission über Förderanträge, allerdings wählt das ÖFI zuvor die Projekte aus. Sind Sie damit unzufrieden?
Nein, die Regelung halte ich für seltsam. Ich denke, wir haben generell zu viele Prüfungen à la "Zauberflöte" eingebaut. Unser Geschäft ist es, den Leuten zu helfen, frisch und unabhängig zu sein. Ein Vorschlag wäre deshalb, über den Tag hinaus Mittel zu binden, um diese am Ende für das Unberechenbare einsetzen zu können.

Junge Produktionsfirmen, die sich bereits im Film-/Fernsehabkommen bewiesen haben, würden gern auch im Auftragsbereich ihr unverbrauchtes Talent unter Beweis stellen. Das scheint aber nur wenigen vergönnt.
Einspruch: Wir arbeiten im Zuge der Programmreform mit vielen Jungen. Aber: Die wunderbare Produzentenvermehrung ist nicht unbedingt ein erfreulicher Zustand. Jeder neue Produzent kommt logo mit aufgesperrtem Maul und fordert: Füttere mich.

Kritisiert wird aber der Vergabemodus: Einige wenige Firmen erhalten den Löwenanteil, eine große Mehrheit teilt sich den Rest.
Sie haben recht, die Vergabepolitik funktioniert nicht fehlerlos. Das ist in der Geschäftsführung zu prüfen. Der Vorwurf, der ORF teile sich als alter Monopolist mit anderen Produktionsmonopolisten den Markt, ist aber Unsinn.

ORF-Programmchef Wolfgang Lorenz stellt sich vor

Wolfgang Lorenz||Wolfgang Lorenz, 1944 in Graz geboren, Studium der Publizistik und Kunstgeschichte. 1971 persönlicher Referent von ORF-Generalintendant Gerd Bacher, in der Folge Leiter verschiedenster ORF-Ressorts, u. a. der Hauptabteilung Planung und Koordination. Von 1998 bis 2003 war Lorenz Intendant der Kulturhauptstadt Graz.