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» "Wahre Lügen" ist Ihre dritte Literaturadaption. Wie gehen Sie mit Romanvorlagen um?


[ATOM EGOYAN](/person/atom-egoyan): Bei "[Wahre Lügen](/movie/wahre-luegen)" habe ich einiges an der Vorlage von [Rupert Holmes](/person/rupert-holmes) geändert, unter anderem habe ich ein stärkeres Gewicht auf das Verhältnis zu Celebrities gelegt. Den ersten Entwurf schickte ich Rupert zu, und ihm gefiel der neue Ansatz. Ich folge immer meinem Instinkt, aber die Zustimmung des Autors ist wichtig.


» Warum musste die Figur des Vince Collins, die im Film von Colin Firth verkörpert wird, ein Engländer sein?


Mich reizte die Gegensätzlichkeit: Der distanzierte und lässige englische Gentleman, der den amerikanischen Buddy und dessen vulgäre Ausfälle unter Kontrolle hat. Das entspricht der klassischen Konfiguration wie bei [Laurel](/person/stan-laurel) und [Hardy](/person/oliver-hardy). Ich wollte nicht, dass der Zuschauer sofort auf [Dean Martin](/person/dean-martin) und [Jerry Lewis](/person/jerry-lewis) tippt. Mir war es wichtig, eigene fiktive Figuren zu schaffen. Alles andere hätte mich nur eingeschränkt.


» "Wahre Lügen" wirkt wie Ihr kommerziellster Film.


Ich denke nie über die kommerzielle Seite nach, bevor der Film fertig ist und die Marketingstrategen ihre Kampagne entwerfen. Das ist nicht mein Job, ich bin in diesem Bereich ziemlich untalentiert.


1994 habe ich die [Weinstein](/person/harvey-weinstein)-[Brüder](/person/bob-weinstein) angefleht, "[Exotica](/movie/exotica)" nicht als geheimnisvollen Sexthriller zu vermarkten. Natürlich hörten sie nicht auf mich. Sie hatten Recht, der Film funktionierte unter dem Label bestens an der Kinokasse. Meine Vorliebe für das Stilistische und Analytische kann ein Massenpublikum auch abschrecken. Da ist es gut, wenn jemand meine Ideen vereinfacht.




» Sie schockieren das prüde Amerika in "Wahre Lügen" mit Sexszenen.


Ich verstehe nicht, wie sich jemand dadurch provoziert fühlen kann. Sexszenen sind immer eine delikate Angelegenheit und erfordern beim Drehen Fingerspitzengefühl. Ich sage genau, was ich möchte, spreche die Situation mit den Schauspielern durch, zeige ihnen Zeichnungen und Polaroids. Solche Szenen müssen in den Kontext passen, sonst geht die Sache schief.


» Was schweißt Sie und Produzent Robert Lantos zusammen?


Nach der Vorführung von "[Traumrollen](/movie/traumrollen)" 1989 bei den Filmfestspielen in Cannes meinte [Robert](/person/robert-lantos) nur: "Wenn du einen Film für eine Million Dollar machen kannst, ruf mich an, gib mir den Titel durch und liefere mir den fertigen Film". Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Lantos vertraut mir, und ich nutze meine Privilegien nicht aus. Ohne seine Großzügigkeit wären "Exotica", "[Das süße Jenseits](/movie/das-suesse-jenseits)", "[Felicia, mein Engel](/movie/felicia-mein-engel)" oder "[Ararat](/movie/ararat)" nicht entstanden.


Als ich ihm das Drehbuch zu "Wahre Lügen" in die Hand drückte und auf die Kosten hinwies, verzog er keine Miene und brachte das Projekt durch. Obgleich die Handlung in Amerika spielt und wir große Teile dort gedreht haben, ist der Film eine britisch-kanadische Koproduktion.


» Ihnen stand erstmals ein größeres Budget zur Verfügung.


Oh ja, das war ein ganz neues Gefühl. Ich konnte den Film nach meinen Vorstellungen realisieren, den Glamour der fünfziger Jahre wieder auferstehen lassen, ohne auf den Cent zu schauen.


» Gibt es einen Bezug zur Gegenwart?


Auf jeden Fall. Ohne die Celebrity-Kultur wären heute ganze Berufszweige arbeitslos. In den fünfziger Jahren entwickelte sich das Entertainment-Business zum größten Exportschlager Amerikas. Der Bedarf nach einem Star-System wurde geschürt mit publikumswirksamen Geschichten von Leidenschaft und Hass, privatem Erfolg und Misserfolg, hinter denen das Individuum verschwand. Inzwischen boomt da eine riesige Industrie.

"Sexszenen erfordern Fingerspitzengefühl"