Blickpunkt:Film

Kino

Vom 28.11. bis zum 06.12. läuft wieder das Festival [Around the World in 14 Films](/company/around-the-world-in-14-films) in Berlin. Anschließend werden ausgewählte Filme außerdem auch in München, Köln und Nürnberg gezeigt. Wir sprachen mit den Festivalleiter:innen [Bernhard Karl](/person/bernhard-karl_e) und [Susanne Bieger](/person/susanne-bieger).   

**In diesem Jahr feiert das Festival sein 20. Jubiläum. Haben Sie zu diesem Anlass etwas Besonderes geplant?**

**Susanne Bieger:** Zum 20. haben wir wieder ein ganz fantastisches Line-up mit herausragenden Filmen. Für mich ist an der 20. Ausgabe das Besondere, dass wir uns so lange halten konnten, und dass das Publikum und die Filmemacher:innen uns schon so lange die Treue halten. Das ist in diesen Zeiten für Festivals nicht selbstverständlich.

**Bernhard Karl:** Und es gibt viele Regisseure und Regisseurinnen, die schon in den vergangenen Jahren bei uns repräsentiert waren und jetzt wieder hier sind. Insofern sind wir auch glücklich, dass wir mit [„Sentimental Value“](/movie/sentimental-value) von [Joachim Trier](/person/joachim-trier) das Festival eröffnen. Wir hatten schon [„Oslo, 31. August“](/movie/oslo-31-august) bei uns, als Trier noch relativ unbekannt war. Und auch von [Jafar Panahi](/person/jafar-panahi) oder [Park Chan-wook](/person/park-chan-wook) haben wir über Jahre hinweg immer wieder Filme gezeigt. Wir leben davon, dass wir sehr früh große Talente entdecken und halten diesen über Jahre die Treue.

![„Sentimental Value“ von Joachim Trier mit Stellan Skarsgård und Elle Fanning (Credit: Christian Belgaux, Plaion Pictures)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/e482214a-de4a-4f09-a0a3-416cf5353614.jpg)

**Inwiefern hat sich das Festival im Verlauf der letzten 20 Jahre verändert?**

**Susanne Bieger:** Wir sind von Jahr zu Jahr gewachsen. Anfangs haben wir wirklich nur 14 Filme gezeigt, inzwischen zeigen wir 24 – zehn der Werke werden in speziellen Sektionen präsentiert, etwa Hommagen. Wir haben 2015 das Kino gewechselt und spielen jetzt auch zum Teil in Kinos der [Yorck](/company/yorck-kino)-Gruppe. Außerdem vergeben wir inzwischen und zum bereits fünften Mal den BASIS Berlin Postproduction Award für die beste Regie, der mit 5.000 Euro dotiert ist.

**Bernhard Karl:** Ich möchte auf zwei Veränderungen hinweisen. Die Ursprungsidee ist natürlich die, dass man Filme zeigt, die sonst nicht ins Kino kommen. 2006 war das tatsächlich so, denn damals haben auch viele Filme aus Cannes keinen Verleih in Deutschland gefunden. Das hat sich inzwischen geändert. Jetzt ist es durch die Digitalität viel einfacher, die Filme zu vermitteln. Auf der anderen Seite kommen wir auch an größere Filme: Wir zeigen [„No Other Choice“](/movie/eojjeolsuga-eobsda) von [Park Chan-wook](/person/park-chan-wook) als Deutschlandpremiere, genauso wie [„Resurrection“](/movie/kuang-ye-shi-dai) von [Bi Gan](/person/gan-bi) oder [„Calle Málaga – Ein Zuhause in Tanger“](/movie/calle-malaga) von [Maryam Touzani](/person/maryam-touzani). Vor zehn Jahren wäre nicht daran zu denken gewesen, dass uns ein Verleih solche Filme als Premiere anvertraut und uns auch teils anderen Festivals in großen Städten vorzieht.

**Susanne Bieger:** Wir zeigen also Filme, die bereits einen Verleih haben und kleine Entdeckungen. Die Mischung macht’s in dem Fall, denn man braucht die großen Aushängeschilder, die das Publikum anziehen, das so auch die kleinen Entdeckungen bei uns finden kann.

**Bernhard Karl:** Und die Entdeckungen sind in diesen 14 Films, die wir zeigen, konzentriert. Außerhalb davon laufen dann große Filme von Joachim Trier oder Richard Linklater.

![„No Other Choice“ von Park Chan-wook (Credit: CJ ENM Co., Plaion Pictures)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/f81d1350-b96a-463e-9495-feefa806d0ef.jpg)

**Sie sprachen bereits „Sentimental Value“ an. Warum haben Sie diesen als Eröffnungsfilm ausgewählt?**

**Susanne Bieger:** Der Film ist eines der absoluten Highlights: Nicht nur die Regie ist hier hervorragend, sondern auch der gesamte Cast. Mit diesem Film ein Festival zu eröffnen, setzt ein Zeichen, wie großartig Kino sein kann.

**Bernhard Karl:** Tatsächlich ist „Sentimental Value“ auch repräsentativ für unsere Zeit. Im Weltkino ist aktuell insbesondere das Thema Familie ein ganz großes Thema, gerade seit der Pandemie.

**Susanne Bieger:** Andererseits hat der Film nicht nur mit Familie zu tun, sondern ist wirklich als großes Kino inszeniert. Die Filme rund um Familienthemen sind oft sehr im Sozialdrama verankert, was hier überhaupt nicht der Fall ist. Die Dynamik dieser Familie, der Cast und auch die Rolle, die dieses Haus spielt, ist Kino auf ganz hohem Niveau und hat uns sehr beeindruckt.

**Sie sprechen bereits das Thema der Familie an, was sich durch viele Filme zieht. „Around the World in 14 Films“ soll ja auch ein cineastischer Jahresrückblick sein. Was war für Sie denn außerdem prägend für das Filmjahr 2025?**

**Bernhard Karl:** Für mich war das Thema Identität sehr auffällig. Damit hängen Fragen wie „Wer bin ich? Wo lebe ich? Was macht mich aus? Wo will ich hin?“ zusammen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass viele Filme sich mit Systemen auseinandersetzen, zu denen man sich nicht zugehörig fühlt, oder mit denen man nicht zurechtkommt. Da gibt es viele Beispiele, wie etwa den portugiesischen Entwicklungshelfer in Guinea-Bissau in „I Only Rest in the Storm“, den wir zeigen. Verlorener bzw. mehr fehl am Platz kann man nicht sein. Dieser Film zeigt diese Identitätskrise und legt den Finger in die Wunde. Dann gibt es wiederum Werke wie [„The Chronology of Water“](/movie/the-chronology-of-water), der sich mit einem Missbrauchsfall in der Familie beschäftigt. Diese Systeme, in denen die Figuren nicht zurechtkommen, können also eine Nation sein, aber auch eine Familie. In [„Un Poeta“](/movie/un-poeta) wiederum geht es um einen Dichter, der überhaupt nicht mehr weiß, wo sein Platz in der Gesellschaft ist.

Susanne Bieger: Bei „The Chronology of Water“ von [Kristen Stewart](/person/kristen-stewart) ist bemerkenswert, dass der Film nicht nur das System Familie hinterfragt, sondern auch Themen rund um Identität anspricht. Das ist für uns ein sehr starkes Regiedebüt, das mit wahnsinnig viel Kraft erzählt wird. Dieser Film spricht ein jüngeres Publikum an. Im Gegensatz zu „Calle Málaga – Ein Zuhause in Tanger“ mit der Kinolegende [Carmen Maura](/person/carmen-maura), in dem es darum geht, wie wir uns um die älteren Menschen in der Gesellschaft kümmern, oder eben auch nicht kümmern. Das ist kein politischer Film in dem Sinne, aber auf dieser privaten Ebene wird er dann eben doch politisch. Insgesamt finde ich es beeindruckend, dass es dieses Jahr sehr unterschiedliche Frauenrollen zu sehen gab, wie eben Carmen Maura, [Renate Reinsve](/person/renate-reinsve) in „Sentimental Value“ oder [Vicky Krieps](/person/vicky-krieps) in „Yakushima‘s Illusion“, der sehr poetisch und toll inszeniert ist.

**Bernhard Karl:** Teils wird das Ausgestoßen-Sein direkt ins Politische übertragen, etwa in „Orphan“ von [László Nemes](/person/laszlo-nemes). Der ist bekannt für sein frühmeisterliches Werk [„Son of Saul“](/movie/son-of-saul) und beschäftigt sich jetzt mit jüdischer Identität, die auch nach dem zweiten Weltkrieg in der ungarischen Gesellschaft nicht gewollt wurde. Dieser Junge hält verzweifelt an seiner jüdischen Identität fest, und der ganze Film verengt sich in der Narration nur auf diesen einen Punkt.

![„The Chronology of Water“ (Credit: Festival de Cannes)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/a96b920c-b41d-440d-a545-f09a10ab406a.jpg)

**Sie sprechen bereits ganz viele unterschiedliche Filme an. Wie schwierig ist es für Sie, die wenigen Filme, die Sie beim Festival zeigen, auszuwählen? Gibt es bestimmte Kriterien, auf die Sie achten?**

**Susanne Bieger:** Das Grundkonzept, das von Anfang an bestand, war ja diese Weltreise. Deshalb gibt es immer nur einen Film pro Region. Natürlich könnten wir immer noch mehr tolle Filme zeigen, andererseits gibt es diese Standouts, die einem einfach im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel ist [„Nouvelle Vague“](/movie/nouvelle-vague_a) von [Richard Linklater](/person/richard-linklater), mit dem wir das Festival beenden, eine wunderbare Liebeserklärung an das Kino, und er hat ein herausragendes Production Design und Kostümbild. Bei manchen Werken ist für uns also offensichtlich, dass wir die zeigen möchten.

**Bernhard Karl:** Wir möchten die Besonderheiten verschiedenster Weltkulturen zeigen. Die japanische Produktion „Two Seasons, Two Strangers“, die den Goldenen Leopard in [Locarno](/company/locarno-film-festival) gewonnen hat, ist auf den ersten Blick ein ganz kleiner Film, der vielleicht erst einmal nicht auffallen würde, wenn man ihm jetzt nicht diesen Status gäbe, dass er unter den wenigen Filmen, die wir zeigen, in der Auswahl ist. Er repräsentiert eine völlig andere, uns konträre Kultur – auch in der Erzählkultur. Uns ist es wichtig, dass wir auch verhältnismäßig kleinen Filmen diesen besonderen Rahmen geben. Ich glaube, dass die Reduktion des Programms auf eine Essenz die Antwort auf diese überbordende Kultur ist, in der wir leben. Sich statt auf eine Reizüberflutung auf dieses Essenzielle zu konzentrieren, das ist uns wichtig. Es sind die einzelnen Instrumente, die ein Orchester ergeben, und wir haben 24 Instrumente. Natürlich zeigen wir hierbei viele Preisträger, darauf liegt aber nicht speziell unser Fokus. Wenn es kleinere Filme gäbe, die uns begeistern, würden wir diese genauso zeigen, aber letztendlich ist es schon so, dass die Highlights sich dann doch auf Cannes, Venedig, Locarno, Sundance und San Sebastián konzentrieren. Die Berlinale kann ja bei unserem Festival nicht vorkommen, da wir nur Berlin- und Deutschlandpremieren zeigen. Auch auf anderen Festivals werden natürlich gute Filme gezeigt, aber nicht auf dem Niveau der genannten Festivals.

![„Two Seasons, Two Strangers“ (Credit: Locarno/ Two Seasons Two Strangers Production Commitee)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/ecde0930-41c2-4ddf-8593-5d528a38175c.jpg)

**In den letzten Jahren sind neben Berlin als Hauptaustragungsort auch Köln, München und Nürnberg hinzugekommen. Wie zufrieden sind Sie mit der Ausweitung in diese Städte?**

**Susanne Bieger:** Wir sind sehr zufrieden, weil sowohl die Kinos großes Interesse an uns und unserer Auswahl haben als auch das Publikum. Natürlich sind wir in diesen drei Städten noch nicht so etabliert wie in Berlin, aber trotzdem ist das Festival dort bisher sehr gut angenommen worden. 

**Ist eine Ausweitung in weitere Städte geplant? Oder gibt es noch andere Pläne für die Zukunft des Festivals?**

**Bernhard Karl:** Es ist nicht ausgeschlossen, das Festival noch zu expandieren, wenn jemand auf uns zukäme. Aber die Partnerschaft mit diesen drei Kinos erscheint uns erst einmal als ausreichend. Es wird nicht einfacher, Festivals zu gestalten, weshalb wir froh sind, in dieser extrem schwierigen Zeit für Kultur und Filmfestivals die Qualität der Filme zu erhöhen und unser Programm zu erweitern. Die Erhaltung und der Ausbau des Programms sind uns wichtiger als eine Expansion in andere Städte.

**Susanne Bieger:** Natürlich würden wir gerne auch mehr Events außerhalb der Filmvorführungen anbieten, z.B. auch Panels. Dazu braucht man aber mehr Kapazitäten, was aktuell sehr schwierig ist. Die Förderung in die Kultur wird nicht aufgestockt, sondern reduziert – und zwar drastisch. Ideen hätten wir genügend, aber es fehlt an finanziellen Ressourcen. Man kann nur hoffen, dass die Zeiten sich ändern und wieder mehr Geld in die Kultur fließt.

*Das Gespräch führte Lea Morgenstern.*

Bernhard Karl und Susanne Bieger: „Wir möchten die Besonderheiten verschiedenster Weltkulturen zeigen“