Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: "Moulin Rouge" spielt um die Wende zum 20. Jahrhundert. Sehen Sie Parallelen zu unserer Zeit?


Baz Luhrmann: Wir haben natürlich alle Perioden der Menschheitsgeschichte betrachtet. Wir brauchten aber eine Periode, in der sich unsere Welt vor fünf Jahren reflektieren ließ. Damals begannen wir mit dem Drehbuch. Das war eine Zeit der technischen Weiterentwicklung. Das Internet setzte sich durch und nahm Einfluss auf die Kultur. Ähnliches geschah auch zum Ende des 19. Jahrhunderts. Auch damals ebnete die Technologie einen Weg ins neue Jahrhundert, aber viele waren nicht bereit, ihn zu gehen. So gesehen, gibt es Parallelen zwischen damals und heute.


BF: Man spricht heutzutage von einer Spaßgesellschaft. Sehen Sie darin auch eine Parallele?


BL: "Moulin Rouge" basiert in erster Linie auf dem klassischen Orpheus-Mythos. Deshalb ist dies auch mein dritter - wie ich es nenne - "Roter-Vorhang-Film". Ich setze den Leuten eine bekannte Geschichte vor. Sobald sich der Vorhang hebt, realisieren sie, worum es geht und wie alles enden wird. Der von [Ewan McGregor](/person/ewan-mcgregor) gespielte Christian begibt sich auch in eine Art von Unterwelt, in der eine Spaßgesellschaft existiert. Es scheint eine freie Welt zu sein, in der die alten Moralvorstellungen, etwa die seiner Eltern, keine Rolle mehr spielen. Er geht mit einer kindlichen Freude durch diese Welt, nimmt sie wie eine Droge wahr.


BF: Sie benutzen viele Klischees - vom armen Poeten bis hin zur heiligen Hure.


BL: Ja, denn Klischees funktionieren wie ein Code. Wenn man eine Oper oder Musical inszeniert, muss man mit Klischees arbeiten, denn es fehlt einfach die Zeit, einen komplizierten Plot zu erzählen. Die Story wird also immer kleiner zu Gunsten der Umsetzung.


BF: Was halten Sie von [Jean Renoirs](/person/jean-renoir) Verfilmung "[French Can Can](/movie/french-can-can)"?


BL: Ein großartiger Film. Aber darin geht es nur um das Moulin Rouge. Mein Film handelt von Wahrheit, Freiheit, Schönheit und Liebe. Die Aussage lautet, dass es besser ist, zu lieben und zu verlieren als überhaupt nie geliebt zu haben. Eine Geschichte größer als das Leben.


BF: Ist das nicht ein bisschen kitschig für heutige Zuschauer?


BL: Ich kenne sehr viele kluge und reiche Leute auf dieser Welt, verkehre mit Prinzessinnen und Genies. Alles, was sie vom Leben wollen, ist zu lieben und geliebt zu werden. Manchmal kommt uns das banal vor, besonders wenn dumme Songs darüber geschrieben werden. Aber ich sehe darin nichts Falsches. Auch in der Literatur wiederholt sich dieses endlose Thema über die emotionale Reise eines Menschen. Selbst in Actionfilmen gibt es immer eine Lovestory.


BF: Wie schwierig war die Finanzierung?


BL: Normalerweise wäre es sehr schwierig gewesen, die 50 Mio. Dollar aufzutreiben, die der Film gekostet hat. Ich hatte das Glück, vorab zwei Filme gedreht zu haben, die sehr viel Geld einge-spielt und viele Preise gewonnen haben. Als sich das dritte Luhrmann-Projekt ankündigte, gab das Studio sofort grünes Licht. Ich konnte also sorglos ans Werk gehen.


BF: Hatten Sie jemals das Gefühl, die Kontrolle über ein so aufwändiges Projekt zu verlieren?


BL: Jeden Morgen überkam mich diese Angst. Aber ab 7.30 Uhr blieb mir nichts anderes übrig, als der Kapitän eines Schiffes zu sein. Dein Schiff kann mit einem Eisberg zusammenprallen, aber dein Job ist es, alles zusammenzuhalten.

Baz Luhrmann zu "Moulin Rouge"