Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sind Ihre Albträume ansteckend ?


David Lynch: Ich weiß, es gibt Leute, die behaupten, nach meinen Filmen Albträume zu bekommen. Ich glaube das nicht. Aber es ist gut, wenn Dinge haften bleiben und in den Zuschauern nachwirken. Wir alle haben Filme, die uns im Gedächtnis bleiben. "Sunset Boulevard" ist so ein Film für mich.


BF: Wie entscheidend sind persönliche Erfahrungen bei der Entstehung Ihrer Filme?


DL: Entscheidend sind für mich Ideen, und die scheinen bei mir von außen, nicht aus eigenen Erfahrungen zu kommen. Es gibt Zeiten, da habe ich keine einzige Idee, und im nächsten Moment ist eine da. Und wenn ich mich in sie verliebe, scheint sie magnetisch weitere Ideen anzuziehen. Ich vergleiche das immer mit einem Schwarm von Fischen - als ob die Idee draußen in einem Ozean von Ideen existiert. Wir haben den Wunsch, diese Fische zu fangen - und dieser Wunsch wird zum Köder. Wenn wir es am wenigsten erwarten, beißt der Fisch an.


BF: Wie lange mussten Sie nach den Ideen für "Mulholland Drive" fischen?


DL: Das lässt sich so genau nicht messen, weil ich die Ideen ja auch sammle unter dem Gesichtspunkt, dass ich die eine oder andere eines Tages für eine Story verwenden kann. Das Fischen hatte ich also schon erledigt, als ich mit "Mulholland Drive" begann. Ich musste die richtigen Darsteller für die Rollen finden. Ich schaue mir zuerst Fotos an und versuche, ein Gefühl für die Besetzung zu bekommen. Danach treffe ich mich mit ausgewählten Darstellern, lasse sie aber keine Szenen spielen, sondern rede nur mit ihnen. Dabei stellt sich am besten heraus, wer für die Rolle passt.


BF: Sie haben den Film als Pilot für eine TV-Serie begonnen. Wann fiel die Entscheidung für den Kinofilm?


DL: Die Version, die wir gedreht und geschnitten hatten, gefiel ABC überhaupt nicht, sie ließen das Projekt sterben. Als Retter kamen dann Studio Canal und der Produzent Alain Sarde, sie investierten noch einmal sieben Mio. Dollar in das Unternehmen, und wir drehten nach, änderten sehr vieles, machten eine neue Montage. Denn vorher war der Film als Pilot konzipiert, also mit einem offenen Ende. Ich hatte zunächst doch große Zweifel,wie und welche Änderungen ich machen sollte. Bis eines Abends der Fisch hereinschwamm, eine ganze Schule von Fischen - und ich sah klar, wie ich den Film neu strukturieren musste.


BF: Was empfinden Sie amerikanischen TV-Gesellschaften gegenüber?


DL: Ich war nach dieser Erfahrung mit ABC nicht verletzt. Manchmal passieren Dinge, die wie eine Niederlage aussehen, doch dann erkennt man, dass damit nur eine andere Richtung angezeigt wird. Ich bin dankbar, dass sie diesen Film hassten. Ich habe viel gelernt dadurch. Aber meine Zusammenarbeit mit dem Fernsehen ist fürs Erste vorbei.


BF: Fühlen Sie sich in Europa mehr verstanden als in den USA?


DL: Ich werde auch in Amerika verstanden, in den Colleges, aber die Arthouse-Kinos verschwinden. In Europa gibt es mehr Verständnis, mehr Achtung vor dem Film, vor allem in Frankreich. Trotzdem werde ich nicht nach Europa umsiedeln, denn ich liebe Los Angeles. Für mich ist das genau der Ort, an dem ich leben möchte. Ich gehe ja nicht jeden Tag zu den Studio Executives - ich bleibe zu Hause und mache meine Sachen. Ich habe ein Musik-Aufnahmestudio in meinem Haus, einen Platz zum Malen, Fotokameras, Geräte zum Tischlern. Am Computer mache ich zurzeit Cartoons für Shockwave, drei bis vier Minuten lang.


BF: Gibt es schon Pläne für einen neuen Kinofilm?


DL: Nein, ich habe keine Ideen, keine Fische.


BF: Was halten Sie vom Medium DVD?


DL: DVD ist besser als Video, aber nicht so gut wie Film. Nichts ist so gut wie Film. Es endet ja immer auf dem kleinen Format des Fernsehers, auf dem meistens die Lautsprecher und der gesamte Ton furchtbar ist. Und der größte Mumpitz auf den DVDs ist das zusätzliche Material. Ich will niemanden über seine Filme reden hören - der fertige Film, das ist es! Zusätzliche Szenen könnten interessant sein, wenn sie weit weg sind vom Ganzen. Vieles, was man auf DVDs an Zusätzlichem erfährt, verdirbt einem nur den Blick für den Film, den man nie wieder so sehen kann wie vorher. Einmal habe ich diesen Fehler gemacht: Ich war zu Billy Wilder eingeladen, meinem Idol! Und ich fragte ihn nach dem Haus in "Sunset Boulevard". Ich hätte es besser nicht getan, denn er sagte, das Haus wäre gar nicht auf dem Sunset Boulevard. Damit ist mein Gefühl für diesen Film ein für allemal ein anderes geworden.

David Lynch zu "Mulholland Drive'