Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Wie schätzen Sie die Entwicklung des österreichischen Films in den letzten zehn Jahren ein?


Alexander Horwath: In diesem Zeitraum hat sich etwa eine Produzentengeneration herausgebildet, die sich erstmals umfassend in europäischen bzw. internationalen Netzwerken betätigt. Seit Mitte der 90er Jahre ist es auch deutlich leichter für junge Kreative, selbst Firmen zu gründen, die von allen Seiten akzeptiert werden. Auch durch Novellierungen des Filmförderungsgesetzes ist eine Dynamik in Gang gekommen. Die österreichische Referenzfilmförderung z.B. wertet Erfolg nicht nur im Sinne des Kinokassenerfolgs, sondern auch künstlerischen Erfolg: So erhält man auch Referenzmittel für einen Film, wenn er an wichtigen Festivals teilgenommen und vor allem Preise gewonnen hat. Das ist in den meisten Ländern nicht der Fall. Am radikalsten war sicherlich die künstlerische Entwicklung. 1989 hat [Michael Haneke](/person/michael-haneke) "[Der siebente Kontinent](/movie/der-siebente-kontinent)" vorgestellt und [Ulrich Seidl](/person/ulrich-seidl) 1990 "[Good News](/movie/good-news-von-kolporteuren-toten-hunden-und-anderen-wienern)" - ihre ersten Kinofilme. Und zehn Jahre später sind die beiden die international erfolgreichsten österreichischen Regisseure. Man muß außer den beiden aber auch [Barbara Albert](/person/barbara-albert), [Jessica Hausner](/person/jessica-hausner), [Michael Glawogger](/person/michael-glawogger), [Florian Flicker](/person/florian-flicker), [Nikolaus Geyrhalter](/person/nikolaus-geyrhalter) und [Goran Rebic](/person/goran-rebic) nennen.


BF: Inwiefern hat man internationale Entwicklungen berücksichtigt?


AH: Man hat verstanden, dass das internationale Arthouse-Kino eine Form von Kino ist, die sich auch wirtschaftlich umsetzen läßt. Früher gab es diese relativ stupide Zweiteilung: Entweder wir machen etwas für die Kasse oder für die Kunst. Was die Exportfähigkeit betrifft, merkt man mittlerweile auch in Österreich, dass sich die lokalen Kassenschlager oft nicht besonders gut verkaufen lassen. Es sind vor allem Arthouse-Filme, die regelmäßig über die Grenzen des eigenen Landes hinausgehen - z.B. [Egoyan](/person/atom-egoyan) in Kanada, [von Trier](/person/lars-von-trier) in Dänemark, [Moretti](/person/nanni-moretti) in Italien, [Almodóvar](/person/pedro-almodovar) in Spanien, Haneke in Österreich. Das kann also durchaus ein rentabler Sektor sein - obwohl mir dieser Begriff Arthouse-Kino eigentlich gar nicht gefällt.


BF: Welchen würden Sie vorziehen?


AH: Den scheinbar altmodischen Begriff des Autorenfilms: Filme, in denen eine individuelle Stimme zum Ausdruck kommt, die mit mir als Zuschauer in ein Gespräch tritt - sozusagen "auf gleicher Augenhöhe". Ich finde, dass der Begriff des Autorenfilms heute wieder gut zur Unterscheidung dienen könnte - gegenüber dem, was man in Deutschland einmal "Zutatenfilm" genannt hat. Also "Package-Produkte", die sich aus anderen Kultur- und Wirtschaftszweigen speisen und nicht primär von einer besonderen "filmischen Stimme" ausgehen. Diese Unterscheidung ginge auch über die alten Oppositionen Kunst versus Kommerz oder E- versus U-Kino hinaus.


BF: Wie hat sich in Österreich der Umgang mit Film geändert?


AH: Insgesamt am wichtigsten ist, dass sich seit Anfang der 80er Jahre eine immer umfassendere Filmkultur etabliert hat. Österreich war sehr lange in der speziellen Situation, dasses für eine gewisse Zeit kaum Spielfilme gab, dafür eine spannende, international akklamierte Avantgardefilmtradition und seit Ende der 70er Jahre auch eine sehr spannende Dokumentarfilmproduktion. In den 80er Jahren hat das dazu geführt, dass es filmpolitisch immer darum ging: Wieviel Geld kriegt der Avantgardefilm, was der Dokumentarfilm - oder usurpiert der Spielfilm alles. Ich glaube zum Wohle der Filmkultur hat sich das in den 90er Jahren aufgeweicht, es gibt viel größeres gegenseitiges Verständnis und Dialog. Man weiß inzwischen, dass alle diese Formen zusammen ein sehr spannendes Gemisch ausmachen und dass es überhaupt keinen Sinn macht, das eine auf Kosten des anderen emporzuheben. Für mich ist das eine der Besonderheiten des österreichischen Films heute.


Nicht hierarchisch, sondern variantenreich

An der jüngeren Generation von Filmemacherinnen, wie z.B. Barbara Albert, Jessica Hausner oder Kathrin Resetarits kann man auch sehen, dass der Übergang zwischen experimentellen, dokumentarischen und Fiction-Formen viel offener geworden ist. Das gilt auch für die Dokumentaristin Sabine Derflinger und das Avantgarde-Duo [Hiebler](/person/sabine-hiebler)/[Ertl](/person/gerhard-ertl), die demnächst ihre Spielfilmdebüts "Vollgas" und "[Nogo](/movie/nogo)" vorstellen. Und das gilt für Ulrich Seidl und Michael Glawogger, die zwischen Dokumentar- und Spielfilm pendeln. Auch eine neue Generation der Filmkritik und Festivalarbeit, Verleiher wie [Sixpack Film](/company/sixpack-film) und eine starke Filmtheorieszene in Österreich spielen eine Rolle. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren trägt dieses Gefühl eines nicht hierarchischen, sehr variantenreichen österreichischen Films.


BF: Welche Rolle kommt dabei der Viennale zu?


AH: Die Viennale hat als Hauptfokus nicht unbedingt den österreichischen Film, weder hatte sie das früher, noch jetzt und das ist auch ganz logisch. Die Viennale hat eine relativ klare Aufgabe, nämlich die "Top of the Pops" des internationalen Filmschaffens zu präsentieren. Allerdings gab es natürlich immer das Interesse, neue Filme aus Österreich in einen internationalen Zusammenhang zu stellen. Ich war immer froh während meiner eigenen Viennale-Zeit, wenn es solche Vergleichsmöglichkeiten gab, wenn man neue österreichische Filmautoren präsentieren und in Kontakt mit internationalen Gästen bringen konnte. Dieses Angebot an jemanden, der nicht in Österreich lebt und nicht detailliert über die Situation im Lande Bescheid weiß, das ist auch ein Teil der Viennale.


BF: Wie sehen Ihre Pläne zum Filmmuseum aus?


AH: Das Filmmuseum hat eine lange Tradition und eine hohe Reputation. Gleichzeitig hat es jedoch in den letzten zehn Jahren durch eine immer stärkere Unterdotierung von Seiten der öffentlichen Hand seine Möglichkeiten nicht im mindesten ausschöpfen können. Ich bin als Direktor bestellt worden, um einerseits die Existenz der Institution zu sichern, um die Budgets deutlich auszubauen und auch, um öffentlich klarzumachen, welch wichtige Rolle Institutionen wie das Filmmuseum für eine Filmkultur spielen - als eine Schule des Sehens und als ein Ort, an dem die Geschichte wie die Gegenwart des Films präsent gehalten werden. Das Filmmuseum sollte auch ein Ort sein, an dem Debatten stattfinden: Wohin mutiert das Kino, welche Verbindungen geht es mit anderen Kunstsparten ein, wie kann Filmgeschichte so aktualisiert werden, daß sie wieder "elektrisch" wird? In China hat man für das Kino, als es erfunden wurde, die Bezeichnung "elektrische Schatten" gewählt: Das ist ein sehr schöner Begriff, weil sich in dieser Elektrizität die Lebendigkeit des Kinos ausdrückt, dieser Funken, den Film immer auslösen konnte. Ich habe Filme stets auf alle möglichen Arten gesehen, und es war von Anfang an zugleich Hollywood, radikalster Autorenfilm, experimenteller Film, Dokumentarfilm. Ich denke, das Filmmuseum kann ein Ort sein, an dem so ein entflammbares Gemisch entsteht. Und wo jeder Zuschauer selbst entflammen kann für eine Form, für eine Haltung zur Welt, die das Kino darstellt. Je nach den Mitteln, die man dafür kriegt oder die man sich selber erarbeitet, wird das früher oder später der Fall sein können. Für das Filmmuseum muß das wahrscheinlich eine mehrjährige Perspektive sein.


BF: Wann genau wird Ihre Tätigkeit als Filmmuseumsdirektor beginnen?


AH: Ich stecke jetzt schon mitten in den Vorbereitungen, aber offiziell beginnt meine Arbeit am 1. Januar. Ich habe schon scherzhaft gesagt: Wenn der Donauwalzer zu Silvester verklungen ist, mach' ich mich auf in mein neues Büro.

Der neue Leiter des Österreichischen Filmmuseums Alexander Horwath über Perspektiven des österreichischen Films