Blickpunkt:Film

Kino

Während des Wahlkampfs begleitete [Lars Jessen](/person/lars-jessen) den Grünen-Politiker Robert Habeck als Berater und hielt das Erlebte mit seiner Kamera fest. Am 5. Dezember feierte die daraus entstandene Doku [„Jetzt. Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“](/movie/jetzt-wohin-meine-reise-mit-robert-habeck) Deutschlandpremiere und landete zum Startwochenende mit über 10.000 verkauften Tickets auf Platz zwölf der Kinocharts. Wir sprachen mit Jessen über die Aktualität des Films und die Relevanz von hoffnungsvollen Werken.

**Der Wahlkampf von Robert Habeck ist bereits einige Zeit her, uns beschäftigen inzwischen ganz neue Themen – wie aktuell ist der Film noch bzw. was macht ihn so interessant für die Zuschauer?**

**Lars Jessen:** Es geht ja um mehr als den Wahlkampf, es geht um die größere Fragen: Wie kommunizieren wir die Realität? Wie lassen wir die Realität, die krisenhafter nicht sein könnte, zu, und flüchten uns nicht in die Richtung, wo uns einfache Lösungen angeboten werden, von denen wir wissen, dass sie Quatsch sind? Darum geht es in dem Film. Wir schauen uns an, wie man die Fragen der Zukunft gemeinschaftlich lösen kann und wir aus der Polarisierung herauskommen. Insofern ist der Film aktueller denn je – der Wahlkampf und Robert Habeck sind da nur ein Symbol, für das, was falsch läuft.

**Wie kam es dazu, dass Sie im Wahlkampf als Berater von Habeck dabei waren?**

**Lars Jessen:** Ich habe Robert Habeck vor ein paar Jahren kennengelernt und gemerkt, dass wir viele Ähnlichkeiten haben: Wir sind etwa gleich alt, kommen aus der gleichen Stadt, sind ähnlich aufgewachsen und vom Westdeutschland der 80er geprägt. Und wir haben ähnliche Berufe, er war Schriftsteller, ich Filmemacher. Letztendlich hatte ich ein schlechtes Gewissen, über all die Jahre immer nur auf dem Sofa zu sitzen, und zu schimpfen, aber nichts zu tun. Als er mich gefragt hat, ob ich beim Wahlkampf helfen könnte, war ich ehrlich gesagt erleichtert, weil ich dachte, dass ich so einen Beitrag leisten kann. Relativ bald hatte ich das Gefühl, dass ich eine Kamera mitnehmen sollte, weil ich die Einblicke in das, was ich da erlebt habe, als neu und festhaltenswert empfand. Ein Stück weit ist dieser Film also immer weiter auf mich zugekommen und hat sich meiner ermächtigt.

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**Dokumentarfilme kann man natürlich nicht planen wie einen Spielfilm. Wie viel hatten Sie im Voraus geplant bzw. ab wann gab es ein Drehbuch?**

**Lars Jessen:** Man schreibt ja immer erstmal eine These auf, und schaut, ob sie sich in der Realität erhärtet. Natürlich waren uns dabei einige Kapitel wichtig. Zum Beispiel wollte ich noch mal neu auf das Heizungsgesetz schauen. Solche Themen waren ja nicht nur für den Wahlkampf, sondern für unsere gesamte Zukunft relevant, insofern gab es ein paar Punkte, die vorher schon klar waren. Und natürlich war klar, dass der Wahltag, wo wir Backstage ganz nah dran waren, ebenfalls ein Kapitel sein würde. Genauso wichtig war mir im Vorhinein, dass wir nicht nur zurückblicken wollen. Der Film ist ein bisschen wie mein Film [„Mittagstunde“](/movie/mittagsstunde): Man geht rückwärts vorwärts, also man schaut nach hinten, geht aber nach vorne. Mir ging es darum, dass wir den Kopf aufmachen und analysieren, was wir in Zukunft besser machen könnten und Lösungen für das finden, was aktuell brennt.

**An wen richtet sich der Film? Schließlich werden vermutlich vor allem Unterstützer von Habeck reingehen…**

**Lars Jessen:** Der Film richtet sich an Leute, die sich für die dringenden Themen unserer Zeit interessieren, und dabei auf demokratischen Füßen stehen. Ich glaube nicht, dass ich mit dem Film jemanden überzeugen kann, der sich entschieden hat, eine rechtsradikale Partei zu wählen. Aber es ist ein Angebot an alle Menschen, die sich vorstellen können, eine demokratische Partei zu wählen. Letztendlich geht es in diesem ganzen Diskurs darum, was eine Demokratie überhaupt ist. Das ist ein sehr schwer greifbarer Meta-Begriff, ein Hyper-Objekt; ein Wahlkampf ist ein Teil unserer Demokratie, durch den man interessante, emotionale Einblicke erhalten kann. Ich fand es ehrlich gesagt ein bisschen spooky dabei zu sein, weil das für mich ganz ungewohnt war. Das läuft natürlich ganz anders ab als eine Filmproduktion, die von einer großen Transparenz geprägt ist. Politik hat da andere Gesetze.

**Ein wichtiger Punkt im Film ist der Wahlabend, an dem die Grünen schließlich nur 11,6 Prozent erreichten. Hatten Sie sich im Vorhinein schon verschiedene Szenarien ausgemalt, was passieren könnte, und wie der Film dann weitergehen würde?**

**Lars Jessen:** Es ist ein bisschen, wie bei einem Unfall, in den man verwickelt ist und den man dann direkt aber wieder verdrängt. So ging mir das beim Sichten des Materials. Das haben wir ein paar Monate lang erst einmal nicht angeschaut, um Abstand zu gewinnen, und haben es dann im Schneideraum als sehr emotional empfunden. Sie hatten gefragt, wann man das Drehbuch schreibt: Das entsteht eigentlich erst im Schnitt, wenn man alle Bausteine hat.

![Lars Jessen und Robert Habeck in „Jetzt. Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“ (Credit: Fritz Butze/ Florida Film/ Pandora Film)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/2e83b52e-8ca5-4499-8852-455ebb755239.jpg)

**Zu sehen sind im Film nicht nur Sie und Habeck, sondern auch Personen wie Luisa Neubauer oder [Markus Lanz](/person/markus-lanz_1). Wonach haben Sie die Gesprächspartner ausgewählt?**

**Lars Jessen:** Das war rein subjektiv. Ich engagiere mich schon seit einigen Jahren zivilgesellschaftlich und habe Leute ausgewählt, die ich bereits kannte und interessant für die Analyse fand. Mit Maja Göpel habe ich zum Beispiel schon eine Dokuserie umgesetzt, [Charly Hübner](/person/charly-huebner) ist ein schlauer Typ, mit dem ich schon viele Spielfilme gemacht habe, Markus Lanz finde ich eine extrem interessante Figur, die sehr ambivalent ist. Auch mit Daniel Günther habe ich gesprochen, das ist ein CDU-Politiker aus Schleswig-Holstein, den ich sehr schätze. Dort scheint Politik ganz anders abzulaufen, Kompromisse werden als etwas Positives gesehen. Natürlich habe ich nicht wie ein Journalist versucht, möglichst unterschiedliche Stimmen zu suchen, sondern ich habe die Leute befragt, die ich persönlich spannend fand. Das ist meine ganz individuelle, persönliche Reise.

**Also hatten Sie nie in Erwägung gezogen, starke Gegner von Habeck anzufragen?**

**Lars Jessen:** Das gibt es ja alles schon. Es gibt extrem viele sachliche und unsachliche journalistische Herangehensweisen in Form von Filmen, Interviews etc. Was es noch nicht gab, war ein Film von jemanden, der so nah dran war und sich selbst ins Zentrum der Erzählung stellt. Ich halte mich ja bewusst nicht raus, sondern es ist ein radikal subjektiver Film. Ich hatte das Gefühl, dass es diese Art von Film noch nicht gab.

![Luisa Neubauer und Lars Jessen in „Jetzt. Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“ (Credit: Fritz Butze/ Florida Film/ Pandora Film)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/dc705372-5b83-431a-b861-1583916cf887.jpg)

**Bei Dokus wird häufig darüber diskutiert, welchen Einfluss die Anwesenheit eines Kamerateams hat und wie subjektiv oder objektiv diese sind. Hier fällt diese Frage aufgrund ihrer Herangehensweise quasi weg…**

**Lars Jessen:** Ja, es war nie die Idee, eine Distanz zum Protagonisten zu haben. Am Anfang dachte ich, ich drehe einen Film über den Wahlkampf, und merkte dann Stück für Stück, dass ich Teil des Ganzen bin. Einer der beiden Kameraleute, mein Sohn Rasmus Jessen, hat dann irgendwann die Kamera auf mich gerichtet und mir Fragen gestellt. Als zweiter Regisseur des Films macht er eine eigenen Perspektive auf. Ihm habe ich Dinge erzählt, die ich einer fremden Person nicht erzählen würde, weil ich zu ihm natürlich ein großes Vertrauensverhältnis habe. Insofern ist dieser Film ein emotionales, unterhaltsames Essay von verschiedenen Perspektiven, aber nie eine Behauptung von Objektivität.

**Worauf haben Sie dabei bei der Inszenierung besonders geachtet?**

**Lars Jessen:** Inszenieren kann man in dem Sinne beim Dokumentarfilm nur über Kamera, Schnitt und Musik. Aber klar wollten wir einen Film erzählen, der dramaturgisch spannend und abwechslungsreich ist, und einen in Atem hält. Diese Ambition hatten wir als Leute, die vom Spielfilm kommen, definitiv.

**Außerdem wirkt der Film durchaus hoffnungsvoll – Sie sagten schon in Bezug auf [„Micha denkt groß“](/movie/micha-denkt-gross) im Interview mit der Zeit :„Wollen wir uns nicht lieber mal davon erzählen, was wir hinkriegen?“ Wieso ist Ihnen dieser hoffnungsvolle Ansatz so wichtig?**

**Lars Jessen:** Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass, wenn wir immer nur erzählen, wie schlimm die Sachen sind, die Sachen auch wirklich schlecht werden. Es gibt ein interessantes Buch namens „Triggerpunkte“ des Soziologen Steffen Mau, wo es darum geht, dass wir Opfer einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden können, indem wir immer über die Spaltung der Gesellschaft sprechen, und diese Spaltung dann auch tatsächlich eintritt. Dem Film kommt die Aufgabe zu, Geschichten so zu erzählen, dass wir uns Möglichkeitsfenster in der Zukunft eröffnen, die es vielleicht in der Form noch gar nicht gibt. Gleichzeitig müssen wir die Realität abbilden, die positiver ist, als es sich für uns manchmal anfühlt. Die amerikanische Menschenrechtlerin bell hooks hat mal gesagt „What we can not imagine, can not come into being“. Insofern haben wir fiktionalen Erzähler in meinen Augen auch die Verpflichtung, dahin zu gucken, wo Dinge gelingen, und wir den Menschen erzählen können, wie wir gemeinsam Sachen hinbekommen. Das ist mein Ziel.

![Robert Habeck und Lars Jessen in „Jetzt. Wohin. – Meine Reise mit Robert Habeck“ (Credit: Fritz Butze/ Florida Film / Pandora Film)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/652d4a47-7f65-4e2f-b2f4-6c1a4aebb297.jpg)

**Also sehen Sie Film auch als hoffnungsstiftendes Medium?**

**Lars Jessen:** Ja, aber nicht im Sinne von einer passiven Hoffnung. Man unterscheidet ja zwischen aktiver und passiver Hoffnung und die aktive Hoffnung erzählt davon, was auch realistisch ist und in meiner Hand liegt. Darum geht es mir, nicht um irgendwelche Wolkenkuckucksheime. Es gibt gesamtgesellschaftlich so viele positive Entwicklungen: Der Ausbau erneuerbarer Energien geht voran, wir leben gesünder, der Planet heizt sich nicht so stark auf… Das sind extrem gute Entwicklungen, deshalb sollten wir lieber über das reden, was klappt. Und wenn man mal scheitert, dann muss man eben schauen, woran das lag, und wieder aufstehen.

**Sie sagten, Sie wollten irgendwann von der Krimisparte weg – „Micha denkt groß“ war Ihr erster politischer Film seit 20 Jahren, jetzt folgte die Doku. Wird Ihr Fokus auch in Zukunft auf aktuellen Themen liegen oder können Sie sich vorstellen auch wieder eher eskapistische Filme zu drehen?**

**Lars Jessen:** Ich glaube, Eskapismus können wir uns gerade nicht leisten. Es gibt so viele krisenhafte Situationen – da darf man sich jetzt nicht heraushalten. Schweigen ist auch politisch. Ich habe nichts gegen Formate wie den „Tatort“, auch in diesen Formaten kann man sehr viel Positives erzählen, aber ich möchte jetzt gerne Filme erzählen, wo die Menschen sich nicht gegenseitig umbringen.

*Das Gespräch führte Lea Morgenstern.*

Lars Jessen zu „Jetzt. Wohin. Meine Reise mit Robert Habeck“: „Ein radikal subjektiver Film“