Blickpunkt:Film

Kino

**Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino, Frau [Roesler](/person/julia-roesler)! Sie erzählen mit „[Luisa](/movie/luisa_2b)“ über ein tabuisiertes und in der Öffentlichkeit wenig besprochenes Thema. Wie sind Sie zum Stoff gekommen?**

Eine Bekannte, die in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung arbeitet, hat mir von einem Fall von sexuellem Missbrauch in ihrer Einrichtung erzählt und von den Umständen, die diesen Missbrauch ermöglicht haben. Ich war sehr bewegt, auch weil ich vorher nicht wusste, dass es solche Fälle gibt. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen der werkgruppe2 filmproduktion habe ich angefangen zu diesem Thema zu recherchieren und dabei gelernt, dass Frauen mit Behinderung dreimal so häufig von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Diese Zahlen und die Dramatik der Fälle waren der Grund, unseren Debüt Spielfilm zu diesem Thema zu entwickeln.

![Celina Scharff in Julia Roeslers „Luisa“ (Credit: Daniel Pilar)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/2c4dcd1d-ffb5-4ab3-8a76-61cf20ff92aa.jpg)

**Immer wieder kommt an die Öffentlichkeit, wie Institutionen, die eigentlich für Sicherheit und Gemeinschaft sorgen sollten, Orte des Missbrauchs werden. Wie ist ihr Blick auf solche Einrichtungen?**

Nach den Erfahrungen durch unsere Recherchen in verschiedenen Einrichtungen, braucht es unbedingt eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Orten und mit den Strukturen, die den Missbrauch ermöglichen. Es gibt viele praktische Dinge, die sich präventiv verändern ließen, wenn die Dringlichkeit der Thematik in den Einrichtungsleitungen stärker präsent wäre bzw. mehr Zeit und Geld für die Auseinandersetzung mit dem Thema zur Verfügung ständen. Wenn Bewohner:innen zum Beispiel angeleitet würden, sich selbst zu waschen, statt, dass sie täglich von anderen Menschen auch im Intimbereich gewaschen werden, wäre es einfacher für sie, die Verletzung ihrer körperlichen Grenzen zu erkennen und sich dagegen zu wehren. Die Praxis lässt das häufig nicht zu, auch weil die Institutionen viel zu häufig mit wenig qualifiziertem Personal unterbesetzt den Alltag managen. Und damit wird das ganze dann politisch. Deutschland steht wirklich nicht gut da, wenn es um die Umsetzung der EU Behindertenrechtskonvention geht und wird vor allem für seine exkludierenden Sonderstrukturen kritisiert. 

**Sie haben sich dazu entschieden, mit einem inklusive Cast zu arbeiten. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?**

Wir waren von Anfang an sehr klar, dass wir uns keine Form des Cripping up, also die Besetzung von Figuren mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung, vorstellen können. Wir konnten das professionelle inklusive Theaterensemble MEINE DAMEN UND HERREN für eine Zusammenarbeit gewinnen. Bei der Entwicklung passender Strukturen für den Dreh haben wir sehr von der Expertise der Kolleg:innen aus dem Ensemble profitiert und vor allem gelernt, dass und wie es möglich ist, Strukturen für einen inklusiven Filmdreh zu schaffen. Das war sehr ermutigend. 

**Sie sind im Bereich des dokumentarischen Theater groß geworden. Sehen sie sich zukünftig eher im Spielfilm- oder im Dokumentarfilmbereich?**

Wir schätzen die Chancen, die sich durch intensive Recherchen ergeben. All die Dinge, die wir in den ausführlichen Interviews oder durch lange Hospitationen erfahren, könnten wir uns nie so ausdenken. Die Recherche schützt uns auch vor stereotyper Darstellung. Gleichzeitig arbeiten wir wirklich gerne mit Schauspieler:innen zusammen und lieben die Möglichkeiten der künstlerischen Verdichtung. Unsere Projekte werden als auch zukünftig hybrid bleiben. 

**Gibt es schon Pläne für ein neues Projekt?**

Wir möchten auf jeden Fall gerne weiter inklusiv arbeiten, wenn die Geschichte es zulässt. Im Moment entwickeln wir ein Musical-Drama, indem es um einen Fall von unterlassener Hilfeleistung in einem Mietshaus geht. 



Julia Roesler: „Wir wollten Strukturen für einen wirklich inklusiven Filmdreh schaffen“