Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt: Film: In Mangas, den japanischen Comics, und Animes, den japanischen Zeichentrickfilmen, sind Frauenfiguren stärker dargestellt, als sie in der japanischen Gesellschaft selbst sind. Warum?


Hayao Miyazaki: Selbst in Japan ist mittlerweile vergessen worden, dass Frauen eine starke gesellschaftliche Stellung innehatten und sehr viel freier waren. Erst mit der Modernisierung der japanischen Gesellschaft vor 130 Jahren verschlechterte sich die gesellschaftliche Stellung der japanischen Frau. "Prinzessin Mononoke" spielt im 15. Jahrhundert. Historische Stoffe geben Gelegenheit, Frauen in anderen gesellschaftlichen Positionen zu zeigen als jene, in denen sie heute in Japan leben. Meine Erfahrung ist, dass Frauen sehr stark sind. In der Produktionsendphase von Zeichentrickfilmen sind sie es, die durchhalten. In meiner Firma sind Frauen gleichberechtigt und werden wie ihre männlichen Kollegen bezahlt. Insofern entspricht meine Darstellung von Frauen meiner Wirklichkeit.


BF: Wieso hatte "Prinzessin Mononoke" eine so starke Anziehungskraft auf die Japaner, dass er zum erfolgreichsten japanischen Film wurde?


HM: Boxoffice ist für mich kein Maßstab. Mir reicht es, dass meine Filme ihr Geld wieder einspielen. Der Erfolg des Films ist nicht genau zu bestimmen, es gibt mehrere Theorien dazu. Ich für meinen Teil wollte diesen Film unbedingt machen. Offensichtlich habe ich damit einen Nerv beim Zuschauer getroffen. Das war nicht vorhersehbar. Von den bislang 13 Mio. Zuschauern haben viele den Film mehrmals gesehen, weil sie sich angesprochen fühlten. Trotz des Erfolgs möchte ich als nächsten Film gern einen heiteren Film machen, der Kindern mehr Spaß macht.


BF: Sie machen seit den sechziger Jahren Filme. War dieser eine neue Herausforderung?


HM: Die drei Jahre, in denen ich den Film gemacht habe, waren sehr anstrengend und eine große Herausforderung. Und weil er so anstrengend war, denke ich, dass ich nun auch einen leichten Film machen darf. Nur wer diese Mühsal durchgestanden hat, darf auch leichte Filme machen.


BF: Sie machen primär Filme für Kinder, dennoch ist "Prinzessin Momonoke" sehr explizit. Überhaupt wechseln sich Gewalt und Poesie in Animes stark ab. Woher kommt diese Darstellungsart?


HM: Es ist nicht meine Absicht, primär Gewalt darzustellen. "Prinzessin Mononoke" ist ein Film für Kinder über Kinder. Diese Kinder erleben Gewalt, und die Kinder im Publikum kennen Gewalt. Die Protagonisten werden mit Verzweiflung konfrontiert, sie haben kein Vertrauen in Werte oder Erwachsene, sie haben Angst. Das trifft auch auf die Kinder in der heutigen japanischen Gesellschaft zu. Mir geht es darum, diese Wahrnehmungen, die allgegenwärtig sind, zu thematisieren, denn Kinder verlangen darauf eine Antwort. Auch wenn ich keine konkrete Antwort geben kann, so helfe ich durch meinen Film, eine zu finden. Deshalb war die Produktion auch so anstrengend, da ich mich bei jedem Produktionsschritt weiter in die Problematik getastet habe. Ich glaube, was Kinder bewegt, ist: Was bedeutet Leben, warum lebt man, und was veranlasst einen, weiterzuleben? Gewalt ist dabei eben ein notwendiges Element.


BF: Animes unterscheiden sich in ihrer Machart von westlichen Zeichentrickfilmen. Warum?


HM: Es handelt sich um einen kulturellen Unterschied, den zu erläutern den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. Aber lassen Sie mich die Frage doch einmal umdrehen: Warum werden in Europa zwar so viele amerikanische Zeichentrickfilme konsumiert, während japanische so gut wie gar nicht in den Kinos gezeigt werden? Letztendlich ist das natürlich auch eine Geschmackssache. Als ich in die Oberstufe ging, spielten Mangas und Animes noch keine große Rolle in meiner Heimat. Sie wurden sogar eher verachtet und galten nicht als Kulturgut. Heute ist es genau umgekehrt.

Hayao Miyazaki zu "Prinzessin Mononoke'