Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sie gelten als Perfektionist, haben auch diesmal wieder Ihr Projekt akribisch vorbereitet. Gab es dennoch Überraschungen?


Dieter Wedel: Das einzige Unvorhergesehene war der Unfall während der Dreharbeiten, bei dem ich mir den Hüftknochen gebrochen habe. Das hat mich körperlich und psychisch sehr belastet, ich habe nächtelang wach gelegen. Wir drehten gerade die Massenszenen im Rathaus und in der Oper: Ich musste 20 Schauspieler und 300 Komparsen lenken, nahm Schmerzmittel, ging auf Krücken und war unausgeschlafen. Ich habe überlegt, abzubrechen. Aber das hätte verheerende Konsequenzen gehabt. Nicht nur wegen des Geldes - das war versichert -, sondern auch weil man diese austarierte Besetzung nicht so schnell wieder zusammen bekommt. Denn ich sehe in der Besetzung des Teams und der Rollen sechzig Prozent der Regie.


BF: Ist der Film teurer geworden als geplant? Es war die Rede von einem Budget von 20 oder 22 Mio. Mark?


DW: Es wäre unmöglich gewesen, die sechs Teile für 20 Mio. Mark zu drehen. Journalisten scheinen manchmal zu denken, es gäbe einen Mengen-Rabatt - den gibt es nicht.


BF: Manchmal hört man allerdings vom "Wedel-Rabatt"...


DW: Den gibt es bei bestimmten Schauspielern, und den bekommt man am dritten Drehtag genauso wie beim 50. Das ist aber schon alles. Ein Film wird nicht billiger. Im Gegenteil, ab dem hundertsten Drehtag kommt Ermüdung dazu - da gibt's auch mal einen Tag, der verloren geht. Ich war sicher, dass wir 30 Mio. Mark für "Die Affäre Semmeling" brauchen. Ich habe aber sehr viel Entgegenkommen gespürt. Manchmal mussten wir nichts oder nur wenig für den Drehort bezahlen, der Standortvorteil Hamburg und die Schauspieler kamen uns sehr entgegen. Ich habe einmal nicht gedreht, weil mir die Dekoration nicht gefiel, da haben die Schauspieler gesagt, das kostet nichts. Das war auf der Werft in Kiel, da hatten sie mir Kuh-Zelte als VIP-Zelte hingestellt. 25 Schauspieler, 300 Komparsen - trotzdem kam sofort auch vom ZDF das OK. Außerdem ist der Mehrteiler im Vergleich gar nicht so teuer: Beispielsweise ein Film, den ich peinlich-mißlungen fand, der Zweiteiler "[Der Verleger](/tvshow/der-verleger-2-teile)" - ich finde, Springer hat ein solches Pilcher-Machwerk nicht verdient - hat 14 Mio. gekostet. Wenn sie das auf unsere Dimensionen umrechnen, hätten wir 42 Mio. gehabt. Ich habe schon bei "[Bellheim](/tvshow/der-grosse-bellheim)" 4,5 Mio. gehabt - damals waren die Schauspielergagen zum Teil ein Drittel niedriger als heute.


BF: Was halten Sie - als Experte für TV-Ereignisse - von dem Trend zum Event?


DW: Wenn die Öffentlich-Rechtlichen überleben wollen, müssen sie Event-Fernsehen machen. Der Wettbewerb mit den Privaten ist härter geworden. In der Information sind sie schon gleich gezogen, aber auch in der "Königsdisziplin" macht [SAT.1](/company/sat1-satellitenfernsehen) mit "[Wambo](/movie/wambo)", "[Vera Brühne](/tvshow/vera-bruehne)" und "[Tanz mit dem Teufel](/tvshow/tanz-mit-dem-teufel-die-entfuehrung-des-richard-oetker)" Produktionen, die auch den Öffentlich-Rechtlichen anstehen würden. Und auch [RTL](/company/rtl-television) will solche Produktionen haben, wie ich weiß (lacht).


BF: Sind Sie etwa in Verhandlungen?


DW: Nein, ich hatte, bevor ich einen Vertrag mit dem ZDF machte, ein sehr spannendes - auch finanziell spannendes - Angebot von RTL. Aber meine persönlichen Verbindungen zu [Dieter Stolte](/person/prof-dr-dieter-stolte_a) und [Hans Janke](/person/hans-janke) haben am Ende den Ausschlag gegeben. Es ist schön, viel Kohle auf dem Konto zu haben, aber letztlich ist doch das Wohlfühlen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit wichtiger.


BF: Würden Sie wieder für die Privatsender arbeiten?


DW: Klar. Man soll nie nie sagen. Im Moment stellt sich das Problem nicht, mein Exklusiv-Vertrag mit dem ZDF geht noch ein Jahr bis nach Stoltes Abgang. Das ZDF müsste mich noch drei weitere Jahre behalten, ich könnte aber nach einem Jahr raus.


BF: Dabei wäre das Gerangel um den Intendanten-Posten ja auch schon fast ein Wedel'sches Thema...


DW: So etwas ähnliches kommt schon in meinem neuen Mehrteiler vor. Aber ich bewundere wie Dieter Stolte, der auf eine sehr erfolgreiche Karriere zurückblickt, auch noch das Ende dieser Karriere grandios inszeniert. Ich habe ihm geschrieben: ich möchte so gut Regie führen, wie du taktierst. Er wird bis zum letzten Tag den Griffel in der Hand behalten. Wer kann das schon von sich sagen? Danach werden ihm alle nachtrauern und es wird auch ein paar Turbulenzen geben, denn er war "Mister ZDF".


BF: Sie sind in der glücklichen Lage, das Ihnen die Stoffentwicklung vom ZDF bezahlt wird, aber viele Produzenten klagen über eine Kosten-Verlagerung zu ihren Ungunsten.


DW: Dadurch ermöglicht man mir - und übrigens auch [Max Färberböck](/person/max-faerberboeck), bei dem das ähnlich ist - eine extrem ruhige Arbeitsmöglichkeit. Wir sind in einer sehr priviligierten Lage. Aber es stimmt, die Etats sind niedrig. Man trägt z.B. der Gagensteigerung keine Rechnung. Das Ergebnis ist, dass immer weniger Zeit zur Verfügung steht, dass man sich wundert, das die Schauspieler nicht gut sind und das ein Regisseur sich nicht richtig entwickeln kann. Gut, es gibt Produktuionen, die kann man schneller drehen. Das wird aber nicht berücksichtigt bei der Planung. Allein schon die Kalkulation in Schnittminuten! Ein großes Problem beim Fernsehen ist der Schneideraum. Der Cutter-Beruf hat sich beim Fernsehen entwickelt zu ein paar Damen, die die Einstellungen aneinander hängen. Es wird alles nacheinander erzählt, während ich eine Szene mit drei Schnitten erzählt habe. Ich hatte ein paar dieser Damen, hatte außerdem einen wunderbaren Filmcutter, aber letztlich habe ich deshalb den ganzen zweiten Teil selbst geschnitten. Ich habe immer von der Produktion gehört, die Bücher sind zu lang. Es wurden mir Stopp-Zeiten gezeigt von 120, 130 Minuten. Ich habe einfach nicht gekürzt, aber das kann ich mir vielleicht erlauben. Und jetzt hat sich die [Bavaria](/company/bavaria-film) entschuldigt für ihre falsche Kalkulation und hat gesagt, diese schnelle Erzählweise ist ganz toll, aber teurer. Wenn nach Schnitt-Minuten kalkuliert wird, müssten wir dafür mehr Geld haben.


BF: Wird die ARD eigentlich jetzt Ihre "alten Semmelings" - in "Einmal im Leben" und "Alle Jahre wieder" spielten vor dreißig Jahren schon Bruno und Trude Semmeling ([Fritz Lichtenhahn](/person/fritz-lichtenhahn) und [Antje Hagen](/person/antje-hagen)) die Hauptrollen - nochmal wiederholen?


DW: Der Rowohlt-Verlag bringt jetzt nicht nur das Buch zu diesem Film heraus, sondern auch das Buch zu "Einmal im Leben". Trotzdem gibt der [NDR](/company/norddeutscher-rundfunk-ndr) nicht die Genehmigung, das ein Foto auf und in dem Roman veröffentlicht wird. Ich verstehe das nicht, denn das Buch würde ja auch den Verkauf der Videokassette - "Einmal im Leben" ist erst vor wenigen Jahren als Video veröffentlicht worden - anregen. Ich weiß nicht, warum eine solche Front-Haltung zwischen den Öffentlich-Rechtlichen besteht. Die ARD plant zudem gegen meinen Sechsteiler einen Dreiteiler zu senden. Warum? Die Öffentlich-Rechtlichen müssen sich doch nicht gegenseitig zerfleischen. Ich könnte mir aber denken, wenn ein Zuschauerbedürfnis da ist, wird die ARD die "alten Semmelings" später wiederholen.


BF: Sie haben viele Ideen für neue Projekte. Welche dieser Ideen wird das Rennen machen?


DW: Ich weiß im Moment noch nicht genau, was ich als nächstes mache. Ich habe jemanden kennengelernt vom Innenministerium, der hat mir erzählt von der Rasterfahndung und Terroristen - irre Geschichten! Dann fängt gleich meine Fantasie an zu arbeiten. Neulich hat jemand aus dem Gesundheitsministerium mir Dinge erzählt, und eine unserer Figuren aus den "Semmelings" wird am Ende beim neuen Kanzler Gesundheitsminister. Man muss abwarten, wie es ankommt, aber ich würde diese Geschichte möglicherweise weitererzählen. Vielleicht nicht als nächstes, aber als übernächstes. Die Wiedervereinigung zu erzählen am letzten Zirkus der DDR, der in die Marktwirtschaft übergeführt wird, das ist eine sehr komische Geschichte. Ich habe schon bei den Recherchen Tränen gelacht. Aber ich denke, etwas mehr zeitlicher Abstand wäre gut. Und die Pharmaindustrie finde ich ein Riesenthema. Das wäre aber eine internationale Geschichte, die müsste in Südamerika, in Asien, in der Schweiz und in Deutschland spielen....

Interview mit Dieter Wedel zu "Die Affäre Semmeling"