Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt: Film: Warum gibt es neben dem offiziellen Wettbewerb mit dem Goldenen Löwen dieses Jahr noch den Wettbewerb Cinema del Presente mit einem extra Löwen?


Alberto Barbera: Wir entschieden uns für eine zweite Wettbewerbssektion, um all den eingeladenen Filmen eine werbewirksame Öffentlichkeit zu ermöglichen. In den vergangenen Jahren mussten viele der Filme außer Wettbewerb - und das nicht nur in Venedig - um Anerkennung kämpfen, oft mit wenig Erfolg. Es geht nicht um einen besseren A- oder minderen B-Wettbewerb, sondern um zwei sich ergänzen-de Sektionen. Die Grenzen sind fließend, grob könnte man unterscheiden zwischen großen Namen und klassischem Filmstil im traditionellen Wettbewerb und risikoreicheren und verstörenderen Werken jüngerer, vielleicht noch nicht so bekannter Regisseure in der neuen Sektion.


BF: Haben Sie alle Filme bekommen, die Sie haben wollten?


AB: Im Großen und Ganzen ja. Aber wie immer wurden manche Filme nicht rechtzeitig fertig wie die von [Neil LaBute](/person/neil-labute), [John Woo](/person/john-woo), [Phillip Noyce](/person/phillip-noyce). Auch bei den Italienern mussten wir deshalb auf [Marco Bellocchio](/person/marco-bellocchio), [Silvio Soldini](/person/silvio-soldini) und [Paolo Virzi](/person/paolo-virzi) verzichten.


BF: Gibt es einen bestimmten Trend oder Fokus?


AB: Bei so vielen Filmen aus verschiedenen Ländern ist es schwierig, von einem Trend oder thematischen Fokus zu sprechen. Allgemein kann man aber sagen, dass nach Jahren des Rückzugs ins Private das Interesse an sozialen und Gegenwartsproblemen wächst. Auffallend auch der umfangreiche Anteil außergewöhnlicher weiblicher Porträts.


BF: Wer entscheidet über die Beiträge in den Wettbewerbssektionen?


AB: Ich treffe die Entscheidungen in Einverständnis mit der Auswahlkommission.


BF: Wie viele Filme haben Sie gesichtet?


AB: In diesem Jahr gab es 2400 Einreichungen, davon rund 900 Spielfilme, 800 Kurzfilme und 700 Dokumentarfilme und Videos.


BF: Wo entdeckt man die meis-ten innovativen Talente, welches Land zählt zu den interessantesten Filmländern?


AB: Zurzeit Korea mit einer großen Anzahl guter Filme und aufstrebender Talente, gefolgt von China, Japan und dem Iran. Neu ist die Rückkehr des lateinamerikanischen Kinos mit zwei brasilianischen und drei argentinischen Filmen sowie jeweils einem Beitrag aus Chile und Mexiko. Es hätte noch mehr gegeben, aber dann wäre es für die anderen Filmländer eng geworden.


BF: Im offiziellen Wettbewerb dominiert Europa, ist Venedig eine Plattform des europäischen Kinos?


AB: Das sollte Venedig nicht sein. Ein großes Filmfestival muss sich öffnen für die Strömungen des Weltkinos, darf nicht nur ein Segment bevorzugen. Zur Zeit boomt das europäische Kino.

"Qualitätsproblem beim deutschen Film"


BF: Warum ist das US-Kino so stark außer Wettbewerb vertreten?


AB: Mindestens seitdem Guglielmo Biraghi die Midnight Section einführte, also seit 15 Jahren, gehört eine starke Präsenz der Hollywoodfilme zu Venedig. Ich würde gern mehr dieser Filme im Wettbewerb zeigen, aber die Studios gehen nur ungern dieses Risiko ein.


BF: [Steven Spielberg](/person/steven-spielberg) kommt nicht zur Präsentation von "[A.I. Künstliche Intelligenz](/movie/ai-kuenstliche-intelligenz)". Enttäuscht Sie das?


AB: Natürlich. Alles wartete auf Spielberg. Aber ich verstehe ihn, er ist sehr beschäftigt mit dem neuen [DiCaprio](/person/leonardo-dicaprio)-Film. Jeder setzt seine Prioritäten.


BF: Filmfestivals widmen sich der Kunst und dem guten Film. Auf der anderen Seite brauchen sie Glamour und Stars. Fühlen Sie sich unter Event-Druck?


AB: Ein Festival ist schon an sich ein Event. Deshalb müssen wir die richtige Balance finden zwischen guten Filmen, Stars, Kunst und Glamour. Im Moment ist das nicht so schwierig, es ist eine Frage von guten Filmen mit toller Besetzung. Und natürlich muss man Glück haben, im richtigen Moment die richtigen Filme zu finden.


BF: Zum dritten Mal in Folge läuft kein deutscher Film im offiziellen Wettbewerb.


AB: Wir haben alle deutschen Filme gesehen, die rechtzeitig fertig und verfügbar für uns waren. Nur der neue Tom Tykwer wurde nicht eingereicht, ich nehme an, er soll in Berlin laufen. Natürlich kann ich nicht sagen, welche Filme ich gesehen und zurückgewiesen habe, das wäre unfair, aber da gibt es ein Qualitätsproblem beim deutschen Gegenwartskino, das noch nicht gelöst ist, trotz aller Anstrengungen von Filmemachern und Produzenten.


BF: Wie ist Ihre Beziehung zu den Festival-Direktoren [Thierry Frémaux](/person/thierry-fremaux) und [Dieter Kosslick](/person/prof-dieter-kosslick)?


AB: Sie ist zu beiden exzellent. Ich sehe keinen Grund, einen Wettbewerb zwischen den Festivals zu starten. Es gibt genug Filme für jeden von uns. Eine irgendwie geartete Konkurrenz hat etwas Gutes, sie hilft uns, lebendig und aufmerksam zu bleiben.


BF: Was erhoffen Sie sich von der 58. Mostra?


AB: Mein größter Wunsch wäre, dass die zwei Wettbewerbssektionen die Presse dazu bringen, mehr über Filme statt über Stars zu schreiben, und dass die Filme, die sonst in einer Nebensektion gelaufen wären, mehr Öffentlichkeit bekommen.

Interview mit Festivalleiter Alberto Barbera