Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Zunächst hatten Sie die Regie von "Staatsfeind Nr. 1" abgelehnt. Warum?

Tony Scott: Das ursprüngliche Drehbuch war mir zu eventorientiert, hatte zuviel Action. Die zweite Fassung legte dann mehr Wert auf die Figuren. Bei Jerry Bruckheimer ist das eigentlich immer so, da haben wir immer eine lange Entwicklungsphase. Ich recherchierte viel und brachte die Überwachungsprofis mit ins Spiel. Die dienten als Vorbild für die Figur, die von Gene Hackman dargestellt wird.

BF: Der war 1973 der Hauptdarsteller von Coppolas "Der Dialog", der eine ähnliche Thematik hatte wie "Der Staatsfeind Nr. 1". Haben Sie mit Hackman über den Film gesprochen?

TS: Ja, für mich ist mein Film eine Art "Der Dialog" für die neunziger Jahre, eine Hommage an das Genre des klassischen Paranoiathrillers. Als Gag sicherten wir uns sogar ein altes Bild von Gene als Harry Cole aus diesem Klassiker, das wir dann in seine ID-Karte integrierten. Eine Sequenz im Park haben wir fast direkt aus "Der Dialog" geklaut. Die Technologie mag sich in den letzten zwei Jahrzehnten um Quantensprünge verbessert haben, aber heute gilt das gleiche wie damals: Die Leute, die die Überwachungsgeräte bedienen, sind immer wichtiger und interessanter als die Hardware.

BF: Eine Hardware, die es Ihnen dank ihrer vielen Überwachungskameras erlaubte, viele kleine Filme im Film zu drehen.

TS: Ich fand das visuell spannend und aufregend. Das Interessante sind die vielen verschiedenen Winkel, aus denen man das Geschehen beobachtet kann: Kameras in der Decke und in Knopflöchern und natürlich die Satellitenbilder. So konnte ich eine ungeheure innere Spannung aufbauen. Das ist immer mein Ziel.

BF: Wie recherchierten Sie?

TS: Wir bekamen einen limitierten Zugang zum CIA. In die sagenumwobene National Security Agency kamen wir durch die Freundin unseres Drehbuchautoren David Marconi. Ihr Vater ist einer der wichtigsten Männer dieser Agentur. Die größte Überraschung beim CIA waren all die Technokids, die dort arbeiten. 25 scheint dort der Altersdurchschnitt zu sein. Irgendwie logisch, wenn man darüber nachdenkt, da sich diese jungen Menschen besser in der digitalen Welt auskennen, die die Geheimdienste mehr und mehr bestimmt.

BF: Sie haben einmal gesagt, daß Sie beim Filmemachen wie ein Maler denken. Ist das bei einem technisch derart aufwendigen Projekt wie "Der Staatsfeind Nr. 1" immer noch möglich?

TS: Das hat nichts mit der Größe eines Films zu tun. Beim Film geht es wie bei der Malerei um ständige kreative Entscheidungen: Besetzung, Drehorte, Kostüme, Kulissen, all das. Einen Film bereite ich vor wie die Farben bei meiner Malerei. Ich weiß, daß die Studios das nicht so gern hören. Die denken dann an die Kosten, die "der Künstler" verursacht.

BF: Arbeiten Sie dann bei Ihren Filmen mit selbst entworfenen Storyboards?

TS: Die großen Actionsequenzen arbeite ich immer an Storyboards aus - anders wüßte ich nicht, wie ich sie logistisch bewältigen sollte. Jeden Morgen zeichne ich zwei Stunden, dann fühle ich mich sicher, und meine Crew weiß genau, wie eine Szene gedreht werden soll.

BF: Im Februar 1995 haben Sie mit Ihrem Bruder Ridley Scott die Shepperton Studios erworben. Wie läuft das Geschäft?

TS: Bestens. Momentan haben wir zwei große Filme in Produktion, und auch Tim Burtons neuer Film "Sleepy Hollow" wird in Shepperton gedreht. Wir haben das alte Management mit dem Studio übernommen, deswegen haben wir mit der geschäftlichen Seite eigentlich nicht soviel zu tun. Wir tref-fen die kreativen Entscheidungen. Ich lasse alle meine Filme in Shepperton synchronisieren und drehe dort alle meine Werbefilme.

BF: Weshalb haben Sie sich zum Kauf der Shepperton Studios entschlossen?

TS: Wir wollten ein Zuhause haben, eine Basis für unsere Operationen. Es gibt einige Regisseure, die uns um das Studio beneiden, weil sie meinen, wir würden dadurch mehr Geld machen. Stimmt ja auch, weil wir unsere Hallen ja nicht umsonst vermieten. Viele Filmemacher fühlen sich aber gerade deswegen bei uns heimisch, weil wir Regisseure sind. Sie wissen, daß wir ihre Bedürfnisse verstehen.

Interview mit Toni Scott