Blickpunkt:Film

Kino

 **Herr Laermans, als Secretary General, fcb, The Belgium Cinema Federation kennen Sie den belgischen Kinomarkt seit mehr als 22 Jahren. Was macht ihn aus und was unterscheidet ihn vom deutschen Kinomarkt?**

Der belgische Kinomarkt ist auf jeden Fall kleiner als der deutsche. Wir haben nur etwa 100 Kinos, 98 um genau zu sein, mit 505 Leinwänden und 114.000 Sitzplätzen. Es gibt auch nicht so viele Programmkinos. Belgien ist sozusagen der Begründer der Multiplex-Philosophie, mit Kinepolis als erstem Multiplex in Europa. Ich glaube, das war Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahre. Und anders als in Deutschland gibt es einen Unterschied in der Geografie und in der Verteilung der Kinos. Ich fahre 90 km nach Brüssel und 180 km an die Küste. Und wenn ich ins Kino gehen will, kann ich in 20 Minuten entweder in Lüttich oder in Hasselt sein, die beide ein Multiplex- Kino haben. In diesem kleinen Land ist man also bereit, 20 bis 25 Minuten
zu fahren, um in einer größeren Stadt ins Kino zu gehen. In Belgien haben wir das Multiplex-Modell. Es kann sich besser halten, weil nicht jedes Dorf ein Multiplex einführen kann.

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##### "Man müsste sich also entscheiden, wo Kinos in Belgien eingeordnet werden."

*Thierry Laermans über die Tatsache, dass die Kinos bei der Förderung nicht selten durch das Raster fallen.*

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**Wie teilen sich die Leinwände in Kinotypen auf?**

Insgesamt gibt es 505 Leinwände für rund 11 Millionen Einwohner. Davon befinden sich 305 in 25 verschiedenen Multiplexkinos. Die Anzahl der Lein- wände in diesen Multiplexen variiert von einem Minimum von 8 bis zu 24. Mit 24 ist das Kinepolis in Brüssel das Größte. Das UGC Antwerpen hat dann noch 17 und das nächstkleinere ist dann in Lüttich mit 16 Leinwänden. Die anderen haben meistens zwischen 8 und 12 Kinosälen.

**Wie viele Firmen halten die Multiplexe in Belgien?**

Abgesehen von ein oder zwei unabhängigen Veranstaltern teilt sich das Ganze auf die vier großen Gruppen von Kinepolis, UCG, Pathé und Imagix auf.

**Heißt das auch, dass das Programm für das belgische Kinopublikum anders ist als für das deutsche? Was zeichnet den belgischen Markt aus?**

Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Die Multiplex-Kinos und die unabhängigen Kinobetreiber setzen natürlich viel auf Blockbuster, aber auch das Arthouse-Programm spricht ein großes Publikum an. Generell werden in Nordflandern die Filme in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt und in Südwallonien die Filme mit französischer Synchronisation. Die Nachfrage nach Filmen in Originalfassung nimmt dort jedoch stetig zu. Im internationalen Brüssel ist die Situation natürlich gemischt.

![](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/7efe4c4d-895f-4caa-b7af-468f72938c8e.jpg)*KINEPOLIS Braine L′Alleud Kinepolis*

**Wo muss der belgische Kinomarkt Ihrer Meinung nach gefördert werden? Und wo überlebt er ohne Unterstützung? In Deutschland wäre es ohne finanzielle Unterstützung für Veranstalter von Arthouse-Kinos sehr viel schwieriger.**

Es werden (fast) nur Arthouse Kinos in Belgien gefördert. Und die Regierung unterstützt eher die Filmproduktionen als die Kinos selbst.

**Und wie war das während Corona? Wurden Sie von der Regierung unterstützt, um Klimaanlagen etc. einzuführen?**

Sehr wenig. Kinos wurden genau wie alle anderen Betriebe behandelt. Die großen Kinos beschwerten sich, dass Programmkinos eher Unterstützung erhalten. Das große Problem für den Kinomarkt in Belgien liegt nämlich in der Struktur des Landes, und Corona hat dies nochmal unterstrichen. Es ist ja so, dass Belgien unter einer föderalen Regierung operiert und untergeordnet die verschiedenen Regionen liegen. Die Kinos befinden sich immer zwischen dem Bereich Wirtschaft und dem Bereich Kulturgut. Ein Kino, das eigentlich ein Betrieb wie jeder andere ist, trägt zur Wirtschaft bei, ist aber gleichzeitig ein wichtiger kultureller Spieler. Da in Belgien die Wirtschaft der föderalen Regierung untersteht und Kulturgüter von den Regionen verwaltet werden, kommt es vor, dass Kinos in Zeiten wie Covid finanzielle Unterstützung angefordert haben, aber weder die föderale Regierung noch die Regionen sich für sie verantwortlich gefühlt haben. Man müsste sich also entscheiden, wo Kinos in Belgien eingeordnet werden.

**Sind während Corona Kinos bei Ihnen insolvent geworden?**

Meines Wissens nur zwei, und eines davon hatte schon vor, zu schließen. Es ist also ein Zeugnis für die Funktion des belgischen Kinos, aber wir tragen natürlich noch an den Folgen der zehn Monate, in denen wir schließen mussten. 

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##### "Die Zahlen sind sehr besorgniserregend."

*IPTV UND FILMPIRATERIE sind die Themen, die Thierry Laermans in Belgien derzeit beschäftigen. Dagegen hat er nun einen dreistufigen Maßnahmenplan entwickelt.*

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**Der belgische Aussteller- und Verleiherverband hat eine Studie über die Nutzung von IPTV durchgeführt.
Wie bewerten Sie diese im Hinblick auf Filmpiraterie?**

Die Zahlen sind sehr besorgniserregend. Die Studie zeigt, dass in einem sehr frühen Stadium 11,9 % der belgischen Haushalte IPTV besitzen und nutzen. 15,5 % nutzen IPTV, um Filme zu sehen, die bisher nicht in den Kinos angelaufen sind, 16,6 % für Filme, die kürzlich angelaufen sind und daher noch in den Kinos gezeigt werden. 23,4 % dieser Haushalte geben zu, dass sie seltener ins Kino gehen, als vor der Einführung von IPTV.

**Wie wollen Sie darauf reagieren?**

Wir haben beschlossen, uns an verschiedene andere Sektoren zu wenden, die durch Filmdiebstahl Geld verlieren, also Sport, Werbung und Fernsehsender. Wir planen auch, uns mit drei eindrücklichen Forderungen an die neue Regierung zu wenden.

**Welche sind das?**

An erster Stelle brauchen wir einen gesetzlichen Rahmen zur Verfolgung und Ergreifung illegaler Angebote und Anbieter. Dieser Rahmen muss Hand in Hand mit abschreckenden Geldstrafen für Anbieter und Nutzer gehen. Außerdem muss auf dem Gebiet der Aufklärung etwas getan werden: Eine abschreckende Kampagne einerseits und andrerseits müssen die Schulen davon abgehalten werden, ihren Schülern illegale Kopien vorzuführen. Stattdessen müssen sie ihre Schüler in Kinos zu schicken, um Filme in bester Qualität zu sehen.

**Mit welchem Blick schauen Sie aus Belgien auf unseren deutschen Markt? Wo können die beiden Märkte voneinander profitieren?**

Die Märkte unterscheiden sich schon. Belgien hat einen Vorsprung beim Multiplex-Modell, und die anderen Länder holen auf. Sie haben ebenfalls seit langem Multiplexe eingeführt und wenden neue Technologien an.  In Belgien haben wir immer noch Kinobetreiber, die technisch sehr weit voraus sind. Es ist nicht mehr so aufregend, wenn ein neues Multiplex gebaut wird. Dennoch zieht es stets das Publikum an. Aber der Platz ist einfach begrenzt. 

**In Deutschland ist die Filmversorgung viel günstiger und einfacher geworden, dafür die Platzierung der Filme immer schwieriger. Die Kinos konkurrieren quasi mit dem gleichen Kinoprogramm. Ist das in Belgien wegen der Aufteilung der Multiplexe anders?**

Man kann schon sagen, dass die Konkurrenz viel größer geworden ist, da die Multiplexe teilweise in den gleichen Städten liegen. Es wird aber auch generell immer schwieriger, die Leinwände auszulasten, und das liegt an den Filmen. Die Folgen der Pandemie und die Streiks in den USA haben die Situation für die Multiplexe und die unabhängigen Kinos nicht erleichtert. Sie sind auf gute Filme und Blockbuster angewiesen, und die fehlen im Moment einfach. Jetzt haben wir gerade "Dune 2" und "Godzilla x Kong", aber das war es dann auch schon, und bis Juni sind nicht viele Blockbuster zu erwarten.

**Haben europäische Filme auf dem belgischen Markt Chancen? **

Französische Filme haben eine Chance in der Wallonie, aber nicht in Flandern. Die Flamen sehen nahezu keine Filme aus Wallonien und umgekehrt (es sei denn, sie entscheiden sich auf Filmfesti- vals wie Berlin, Cannes oder Gent dafür). Im deutschsprachigen Teil Belgiens sind deutsche Filme jedoch von großer Bedeutung. Dieser Teil hat aber nur etwa 80.000 Einwohner. Ich kann mir gut vorstellen, dass deutsche Filme in diesem Teil Belgiens erfolgreicher sind als lokale belgische Filme in ganz Belgien.

**Sind Themen wie eine nachhaltige »grüne Kinotheke«, die den deutschen Markt beschäftigen, auch in Belgien relevant?**

Ja, das ist auch bei uns ein Thema, natürlich mehr bei den großen Gruppen als bei den unabhängigen Veranstaltern und Programmkinos, die viel schneller denken und das auch eigenständig auf den Weg bringen. Bei den Großen gibt es natürlich einerseits die Gesetze, die nachhaltige Regeln vorgeben, anderer- seits wird es auch immer mehr vom Publikum gefordert. Das große Problem ist die Umsetzung. Das ist natürlich mit hohen Kosten verbunden. Nach der Wirtschaftskrise, die wir hatten und deren Nachwirkungen wir immer noch spüren, folgen die Gehälter in Belgien automatisch der Inflation. Das Ganze in Kombination mit der Umsetzung neuer, nachhaltiger Regelungen führt natürlich zu enormen Mehrkosten, die auf uns zu- kommen. Und auch hier bekommen wir praktisch keine Hilfe von der Regierung.

**In Deutschland ist auch der Nachwuchs und die Mitarbeiterbindung ein Thema. Programmkinos in Studentenstädten betrifft das nicht, aber manche Multiplexe offenbar schon. Da stellt man sich die Frage, wie man Mitarbeiter binden und Nachwuchs heranziehen kann. Beschäftigt das auch die belgischen Kinobetreiber?**
Ich muss sagen, dass in Belgien, als die Kinos geschlossen wurden, alle Mitarbeiter durch ein staatliches Programm 70 % ihres Gehalts erhalten haben und die restlichen 30 % von vielen Kinobetreibern bezahlt wurden. Die Mitarbeiter mussten also nicht auf ihren Lebensstandard verzichten, und das hat schon dazu geführt, dass sie den Kinos treu geblieben sind. Einerseits hatte das gute Folgen, denn die Kosten sind nur gestiegen, und ich bin mir nicht sicher, ob man die gleiche Anzahl von Mitarbeitern hätte halten können. Andererseits wird es immer schwieriger, Nachwuchs im Freizeit- und Erholungssektor zu finden.











Der belgische Kinomarkt: Vorreiter bei Multiplexen