Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: "Welcome to Sarajevo" beruht auf der authentischen Geschichte des Reporters Michael Nicholson während der Belagerung Sarajevos, 1992. Wie kamen Sie an den Stoff?

Michael Winterbottom: Meine Produzenten Graham Broadbent und Damian Jones von Dragon Pictures kauften kurz nach Erscheinen des Romans "Natasha's Story" von Michael Nicholson die Filmrechte und boten mir den Stoff an. Für mich war es spannend, wie hartgesottene Reporter auf diese Stadt im Ausnahmezustand reagieren, wie sie plötzlich aus der Position des Beobachters ausbrechen und Menschenleben retten wollen. Aber das war nur die Ausgangsbasis.

BF: War es schwierig, das Projekt zu realisieren?

MK: Im Vorfeld war alles chaotisch. Drehbuchautor Cottrell Boyce konnte nicht vor Ort recherchieren, weil das belagerte Sarajevo von der Außenwelt abgeschnitten war. Wir haben mit Journalisten und Flüchtlingen gesprochen, unzählige Dokumentaraufnahmen angeschaut. Nach dem Dayton-Abkommen entspannte sich die Situation, und im Januar 1996 fuhren wir erstmals in die Stadt. Die Bilder der Zerstörung werde ich nie vergessen. Das fertige Drehbuch schickten wir an das Kultusministerium, die Pressestelle der SFOR-Truppen und an Saga-Film, eine dort ansässige Filmgruppe, die uns durch ihre Kontakte weiterhalf und uns auch während der ganzen Zeit zur Seite stand.

BF: Wie verlief der Dreh?

MK: Nach der Genehmigung durch die Behörden gab es erst keine Probleme, das Unternehmen entpuppte sich dann aber als logistischer Alptraum und Himmelfahrtskommando. Es fehlte eine funktionierende Infrastruktur. Planungen mußten wir permanent über den Haufen werfen. Die Zeit saß uns im Nacken, weil die Aufräumarbeiten begannen und unsere authentische "Kulisse" sukzessive verschwand. Dazu kam die Angst, von Landminen in die Luft gejagt zu werden.

BF: Hatten Sie kein schlechtes Gewissen, in der Trümmerlandschaft vergangene Kriegsszenen nachzustellen?


BMK: Am Anfang war ich unsicher, wie die Bevölkerung reagieren würde. Aber sie unterstützte uns. Für sie war der Film eine neue Möglichkeit, ihre furchtbaren Erfahrungen einem Publikum zu vermitteln. Denn die vielen TV-Dokumentationen während des Konflikts rüttelten die Zuschauer am Ende nicht mehr auf, sondern stumpften ab. Mein Film weckt Emotionen.

BF: Warum verknüpfen Sie bekanntes TV-Dokumaterial mit fiktiven Bildern?

MK: Ich habe bewußt Bilder von TV-Nachrichtensendungen und -Dokumentationen ausgewählt, an die sich die Zuschauer erinnern. Nur hatten sie damals beim Zappen von einem Kanal zum anderen einen andern Stellenwert. Erst im Kontext des Films brennen sie sich ins Gedächtnis ein, entwickelt sich das Monströse des Kriegs auf einer anderen Ebene.

BF: Wie gestaltete sich die Finanzierung?

MK: Channel Four finanzierte die Drehbuchentwicklung 1994 und die Hälfte des 9,5-Mio.- Dollar-Budgets. Dann stieg 1995 Miramax ein, was dem weltweiten Kinovertrieb beste Möglichkeiten eröffnet.

BF: Drängte Miramax auf das Engagement von Woody Harrelson?

MK: Die Rolle des abgebrühten Starreporters Flynn als Gegengewicht zur Hauptfigur des britischen Journalisten Henderson, der von Stephen Dillane gespielt wird, war schon festgeschrieben. Woody Harrelson paßte sehr gut. Die Journalisten dienen nur als Fokus, um das Kriegsdrama erzählen zu können. "Welcome to Sarajevo" sehe ich als Hommage an die Bevölkerung dieser geschundenen Stadt, an ihren Überlebenswillen.

BF: Wie geht es weiter?

MK: Ich konzentriere mich auf meine Produktionsfirma Revolution Films. Mit Polygram habe ich einen Drei-Filme-Deal abgeschlossen. Als nächstes werde ich einen Film drehen, der während des Goldrausches Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Amerika spielt.

Michael Winterbottom zu 'Welcome to Sarajevo' - Logistik-Alptraum und Himmelfahrtskommandoerschrift