Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sie waren einer der wichtigsten Regisseure von "Miami Vice". Warum sind Sie nicht ins Hollywood-Kino eingestiegen wie Vice-Schöpfer [Michael Mann](/person/michael-mann)?

Leon Ichaso: Ich habe es versucht, aber es hat nicht funktioniert. Mich interessieren Welten und Stoffe, die nicht zum Mainstream gehören.

BF: Hätte "Piñero" als Studioprojekt entstehen können?

LI: Vielleicht ja. Aber zu welchen Bedingungen. Da hätte man [Kevin Costner](/person/kevin-costner) als Piñero besetzt, [Jennifer Lopez](/person/jennifer-lopez) hätte seine Geliebte gespielt. Und alles wäre gestrichen worden: seine Bisexualität, die Drogen. Immer wenn Hollywood versucht, etwas über die lateinamerikanische Welt zu machen, ob "Havanna" oder ["Mambo Kings"](/movie/mambo-kings), scheitert es kläglich.

BF: Mit [Benjamin Bratt](/person/benjamin-bratt) haben Sie doch einen recht bekannten Hollywood-Schauspieler für die Titelrolle genommen.

LI: Benjamin war der Letzte, an den ich gedacht hatte. Aber ein Freund von mir hatte einen kleinen Film mit ihm gesehen, "Follow Me Home". Und hier spielte er einen ganz anderen Typ als in seinen furchtbaren romantischen Komödien oder Fernsehserien: einen harten, kaputten Straßenkünstler. Danach wusste ich, dass Benjamin es schaffen konnte.

BF: Hat er selbst daran geglaubt?

LI: Er hatte Angst davor, aber gleichzeitig hat ihn dieses Projekt sehr fasziniert. Deshalb hat er sein Hübscher-Junge-Aussehen abgelegt, sich in dokumentarische Aufzeichnungen und Piñeros Dichtung vertieft, seine Bewegungen studiert. Es war, als wäre er als Piñero wiedergeboren worden.

Lebensstil so direkt wie möglich vermitteln

BF: Wie sind Sie auf Piñeros Geschichte gestoßen?

LI: Ich hatte ihn bei den Dreharbeiten zu "Miami Vice" kennen gelernt. Aber in erster Linie war er mir durch seine Diebstähle ein Begriff. Die Leute warnten mich immer: Wenn er dich begrüßt, pass auf deine Brieftasche auf. Ich wusste natürlich auch von seiner dichterischen Arbeit, aber es machte erst Klick bei mir, als ich merkte, wie viele Geschichten über ihn im Umlauf sind. Ich hatte schon verschiedene Filme im Latino-Milieu gedreht, und das war genau mein Fall.

BF: Identifizierten Sie sich denn mit ihm?

LI: Es gab schon Berührungspunkte: Ich kam mit 14 aus Kuba in die USA, weiß also, was es heißt, seine Wurzeln zu verlieren. Mein Vater war ein bekannter Dichter, eine exzentrische und schillernde Figur. Ich wurde in den Sechzigern groß und lernte jede Droge der Welt kennen. Viele meiner Freunde starben auf den Straßen. Und ich bin außerdem New Yorker wie er.

BF: Wie bekannt ist Piñeros heute?

LI: Nicht besonders - abgesehen von der lateinamerikanischen Gemeinde. Hier hinterließ er einen tiefen Eindruck. Deshalb sind auch Leute wie [Rita Moreno](/person/rita-moreno) auf mich zugekommen, als sie hörten, dass ich einen Film über ihn mache.

BF: Wie viel vom Film ist Fiktion, wie viel Realität?

LI: Ich habe sehr ausführliche Recherchen bei Leuten gemacht, die ihn kannten - von Schauspielern bis zu Kriminellen. Ich habe Anrufe bekommen wie: Jemand von Piñeros Freunden hat noch vier Stunden zu leben. Und dann bin ich ins Krankenhaus gelaufen. Andererseits wollte ich keinen normalen Biografiefilm machen.

BF: Warum?

LI: Mir ging es darum, seinen Lebensstil so direkt zu vermitteln wie möglich. Deshalb hat die Story keine feste Struktur, besteht eher aus Impressionen. Wir haben auch Dialoge aus seinen Stücken für die Handlung benutzt. Außerdem ist der Film auf unterschiedlichem Material gedreht, von Digital bis 35 Millimeter. Denn wenn das Ganze zu sauber und schön ist, dann kommst du nicht nah genug an deine Charaktere heran.

BF: Wollen Sie nicht doch eines Tages wieder im Hollywood-System arbeiten?

LI: Ich habe versucht, mich zu prostituieren, und es hat nicht funktioniert. Es ist doch nichts Schlimmes, wenn man sich eine Prostituierte nimmt und sich herausstellt, dass sie eine anständige Frau ist.

BF: An welchem "anständigen" Projekt arbeiten Sie jetzt?

LI: An einem Film über den Jazzpianisten [Thelonious Monk](/person/thelonious-monk). Dafür suche ich noch Interessenten.

BF: Welcher Schauspieler könnte hier seine Wiedergeburt erleben wie Bratt in "Piñero"?

LI: Vielleicht [Wesley Snipes](/person/wesley-snipes), mit dem ich ["Sugar Hill"](/movie/sugar-hill) gedreht habe. Er braucht dringend eine gute Rolle, sonst wird er noch zum lebendigen Videospiel.

Regisseur Leon Ichaso zu "Piñero"