Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Was bringt einen Europäer dazu, ein Südstaatendrama zu drehen?


Marc Forster: Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe, wusste ich, dass ich den Film machen wollte. Es sprach mich auf persönlicher und sozial-politischer Ebene an. Rassismus, Todesstrafe, das Durchbrechen der Spirale Gewalt - das sind starke Themen, die im Drehbuch angesprochen werden, ohne dass es ins Predigen verfallen würde. Es werden keine allgemeingültigen Lösungsvorschläge angeboten, aber durchaus Hoffnung vermittelt.


BF: Haben Sie als Europäer einen besonderen Blick auf die Themen des Films?


MF: Als Europäer hat man eine objektivere, klarere Sicht darauf, was in den USA vorfällt. Wer in den USA geboren wurde und aufgewachsen ist, hat zweifellos eine vorgefertigtere Meinung, als wenn man als Außenseiter ins Land kommt.


BF: Sie gehen auch die unbequemeren Themen ungewöhnlich direkt an. Gab es jemals Schwierigkeiten mit den Produzenten?


MF: Nein, mein Konzept war von Anfang an klar. Ich wollte die Emotionen so ungeschminkt und echt wie möglich präsentieren und das Publikum nicht mit Kniffen manipulieren oder auf die Tränendrüse drücken.


BF: Hatten Sie Einfluss auf die Besetzung?


MF: Ja, als ich dazukam, war nur die Rolle des Sonny bereits mit [Wes Bentley](/person/wes-bentley) aus "[American Beauty](/movie/american-beauty)" besetzt. Der stieg allerdings zwei Wochen vor Drehbeginn aus und wurde von [Heath Ledger](/person/heath-ledger) ersetzt. Die anderen habe ich von vornherein selbst besetzt.


BF: [Billy Bob Thornton](/person/billy-bob-thornton) ist eine nahe liegende Entscheidung. Dass Sie sich für einen Glamour-Star wie [Halle Berry](/person/halle-berry) entschieden, ist dagegen ungewöhnlich.


MF: Ich war mir nicht sicher, ob sie die Richtige ist. Wir haben uns dreimal getroffen, und beim letzten Treffen hat sie mich mit ihrer Passion gewonnen. Da war etwas in ihren Augen, das sie für den Part prädestinierte. Bis dahin hatte sich wohl nie ein Regisseur Mühe gegeben, sie schauspielerisch richtig zu fordern.


BF: Hohe Wellen in der US-Presse schlug ihre enthemmte Sexszene mit Billy Bob Thornton.


MF: Ja, für die US-Kinos musste ich die Szene wegen der Altersfreigabe ein wenig entschärfen. In Berlin sieht man die komplette Fassung. Die Liebesszene war mir wahnsinnig wichtig, weil sie für die beiden Hauptfiguren, deren Gefühle so lange unterdrückt wurden, einen entscheidenden Wendepunkt markiert.


BF: Nachdem in Amerika bereits um ihren Nacktauftritt in "[Passwort: Swordfish](/movie/passwort-swordfish)" ein so großes Aufsehen gemacht wurde, muss die Presse bei Ihrem Film ja einer Ohnmacht nahe gewesen sein.


MF: Ja, da reagiert man viel aufgeregter als in Europa. Hinzu kommt vielleicht, dass ich eine gemischtrassige Beziehung zeige, was im US-Kino zumindest in dieser Form recht einzigartig ist.


BF: War das eine der schwierigsten Szenen während des Drehs?


"Rassismus in L.A. subtiler als im Süden"


MF: Gar nicht mal. Die Szene, in der Halles Kind nach dem Unfall im strömenden Regen liegt, war beispielsweise viel komplizierter. Der Junge, Coronji Calhoun, der ja tatsächlich extrem übergewichtig ist, kam immer in massive Atemnot, wenn der Kunstregen auf ihn niederprasselte. Um ihn bloß nicht zu überfordern, habe ich jede Einstellung nur ein-mal gedreht.


BF: Die Szenen, in denen Halle Berry auf ihn losgeht und beschimpft, sind sehr intensiv, müssen ebenfalls schwierig gewesen sein, weil der Junge ja direkt angesprochen wird.


MF: Stimmt. Ich habe extra mit ihm in Gegenwart seiner Mutter darüber geredet. Aber während Halle und ich echte Beklemmungen deshalb hatten, war er sehr gelassen. Er meinte nur, dass die Szene nicht schlimmer sein könnte, als was er in der Schule zu durchleiden hätte. Er hat nach jedem Cut nur gelacht.


BF: War Ihnen immer klar, dass Sie im US-Süden drehen wollten?


MF: Da habe ich sehr viel Wert darauf gelegt, auch wenn die Produktionsfirma lieber in L.A. gedreht hätte. Für die Authentizität war der Dreh vor Ort unerlässlich.


BF: Haben Sie dort Rassisten getroffen, die so sind wie der Vater Ihrer Hauptfigur?


MF: Die gibt es dort massenhaft, es ist unglaublich. Wenn man in dieser Welt zuhause ist, dann ist das etwas völlig Natürliches. Niemand stößt sich daran.


BF: Ihre Hauptfigur stellt sich gezielt gegen diese tief verwurzelte Kultur. Glauben Sie, das könnte tatsächlich jeder?


MF: Man merkt schon, dass sich im Süden ein Wandel vollzieht. Die alte Generation wird man nicht mehr ändern können, aber gerade die jüngeren Leute sind bereits wesentlich aufgeschlossener. Es ist also nicht nur Fiktion, sondern tatsächlich möglich.


BF: Wie haben Ihre schwarzen Darsteller, neben Halle Berry auch die Rapper Mos Def und [Sean Combs](/person/sean-p-diddy-combs), diese Welt erlebt?


MF: Ich habe mit Halle Berry darüber geredet. Und sie meinte: "Wenn ich hier im Süden bin, dann ist mir das lieber, weil ich weiß, woran ich bin. In Los Angeles lächeln dir alle ins Gesicht, aber der Rassismus existiert genauso, nur viel subtiler und hinterhältiger."


BF: Was erwarten Sie sich von der Berlinale?


MF: Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Ich erwarte mir nichts, da wird man nur enttäuscht. Aber ich bin aufgeregt, weil ich noch nie in Berlin war.

Regisseur Marc Forster zu "Monster's Ball"