Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt: Film: Sie haben bisher beim Fernsehen gearbeitet, "Aimee & Jaguar" ist Ihr erster Kinofilm. Hat sich damit auch Ihre Arbeitsweise geändert?

Max Färberböck: Ganz zu Anfang dachte ich: Nein. Ob man ein Gedicht schreibt oder ein Bild malt, ob man Wettschwimmer ist oder Filmregisseur, letztlich geht es immer um die Frage: Gibt man 100 Prozent? Bei den Fernsehgeschichten habe ich das getan, daher sah ich zuerst keinen Unterschied. Aber dann stellten sich aufgrund der Geschichte doch immense Unterschiede heraus. Das hat schon mit dem Aufwand zu tun, der nötig war, um die chaotische Zeit der vierziger Jahre in Berlin rekonstruieren zu können. Dieses Chaos war für mich dritter Hauptdarsteller. Das habe ich auch den Produzenten von Anfang an klar gemacht: Ich werde keinen ausgewogenen Film über eine Zeit machen, die widersprüchlich, zerstörerisch und lebensstark zugleich war. Im Fernsehen braucht man ja nur einen Plot und sonst gar nichts. Beim Kino ist ein ganz anderer Blick nötig.

BF: Wie haben Sie es geschafft, die Realität von damals wieder auferstehen zu lassen?

MF: Das ist in erster Linie eine ganz, ganz kalte Drehbucharbeit gewesen. Auf dem Papier stehtja ganz genau, welche Außenszenen man braucht, und dann schaut man, wie man die am besten realisiert. Das endete in einer höllisch langen Motiv-Suche. Wir haben Außenszenen in Wuppertal, in Berlin und in Polen gedreht, wobei wir in Wroclav ein ganzes Stadtviertel eine Woche lang für uns allein hatten. Das war ein Geschenk der Stadt. Wenn wir diesen Drehort nicht gehabt hätten, wo wir in fünf verschiedenen Straßen filmen konnten, dann wäre der Eindruck von Wirklichkeit nicht so stark gewesen. Dabei haben wir einige Außenaufnahmengar nicht verwendet.

BF: Wie sind Sie auf die Vorlage gestoßen?

MF: Das Buch hat mir Produzent Günter Rohrbach gezeigt. Er hat mir mehrere Angebote gemacht, und ich habe mich dann für diesen Stoff entschieden. Eine Geschichte über zwei Frauen hatte ich selbst geschrieben, fünf oder sechs Jahre vorher, ich kam aber nie dazu, sie zu verfilmen. Tendenziell wollte ich meine eigene machen, in einer Art von widerwilliger Auseinandersetzung mit dem fremden Material habe ich mich doch für die Erica-Fischer-Vorlage entschieden.

BF: Wie bewältigten Sie das Problem der "wahren Geschichte"?

MF: Das Leben kann man nicht abpausen. Jeder Mensch ist ein Universum für sich, steigt man darin ein, lösen sich Vorurteile auf, dafür bilden andere sich neu. Aber ist man durch diesen Nebel gegangen, dann entsteht plötzlich neues Leben. Und dieses stellt man der Realität gegenüber. So versuche ich, zum poetischen Kern eines Lebens vorzudringen.

BF: Stichwort Nazi-Deutschland. Wie haben Sie sich vor Klischeedarstellungen geschützt?

MF: Ich bin gar nicht erst in Gefahr geraten, Vorurteile zu bestätigen, weil ich die Geschichte nicht einfach nacherzählt habe. Jede Person des Films ist quasi eine erfundene Figur. Dadurch entkommt man den Klischees ganz automatisch. In dem Moment, in dem Sie den Menschen folgen, verabschiedet sich das Klischee. Dann setzt das Risiko ein.

BF: Wieviel Zeit und Geld hat "Aimee & Jaguar" gekostet?

MF: Mit einer kurzen Unterbrechung für einen SAT.1-Auftrag, hat es zweieinhalb Jahre gedauert, bis der Film fertig war. Die Drehzeit betrug 56 Tage, die Produktionskosten beliefen sich auf 15 Mio. Mark.

BF: Kommt der Punkt, an dem man sich mit einem Stoff nicht mehr länger beschäftigen will?

MF: Klar, diese Wucht an Zeit ist immens. Da braucht man wirklich einen sehr langen Atem. Ich habe mich gewundert, daß ich ihn überhaupt habe, ehrlich gesagt. Im Schneideraum habe ich einmal die Geduld verloren. Wir hatten bereits zehn Tage geschnitten und ich wollte in vierzehn Tagen fertig sein. So kannte ich das bisher. Als wir das dann durchzogen, habe ich den Film total verhauen. Weil Kino eben nach ganz anderen Gesetzen funktioniert und der optische Rhythmus ein vollkommen anderer ist. Dieser ganze Film ist ja wie eine große musikalische Komposition. Ich habe mich aber rein aufs Erleben konzentriert und darüber die Psychologie der Figuren und den politischen Diskurs vernachlässigt. Aber jeder Film hat ein eigenes Leben. Und ich wollte mit einer äußeren Haltung dieses eigene Leben vergewaltigen - das funktionierte nicht. Also haben wir uns noch einmal hingesetzt und den Film in zwölf Wochen neu geschnitten. Jetzt ist er so, wie ich ihn am Anfang, also beim Schreiben, empfunden habe.

BF: Nach welchen Kriterien haben Sie ihre beiden Hauptdarstellerinnen ausgesucht?

MF: Normalerweise ist es mir völlig egal, was Schauspieler in anderen Filmen machen. Aber was ich von der Schrader gesehen hatte, ließ mich nie los. Von ihr war ich sofort überzeugt - als Mensch und als Schauspielerin. Eine hochintelligente Frau, die nicht losläßt, bevor sie nicht alles gefunden hat, was ihr wichtig ist - wie ein Terrier. Und so ähnlich bin ich auch. Juliane Köhler kannte ich zuerst nur von einer Casting-Kassette, da hat sie mit den Fingern geschnalzt. Aber die Art, wie sie das tat, das war so echt und so lustig und so gut - etwas Vergleichbares hatte ich in diesem Land noch nie gesehen.

Regisseur Max Färberböck zu 'Aimee & Jaguar'