Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Die Trümmer von Ground Zero liefern einen passenden Hintergrund für die Geschichte Ihres Protagonisten. Wann kamen Sie auf die Idee, sie in den Film einzubauen?

Spike Lee: Kurz nach den Anschlägen. Der Roman und auch die erste Fassung des Skripts wurden schon vor dem 11. September 2001 geschrieben. Ich wollte den Film schon damals unbedingt machen. Nach den Anschlägen entschloss ich mich, den 11. September in die Geschichte zu integrieren. Es wäre unverantwortlich gewesen, so zu tun, als hätten sie nicht stattgefunden.

BF: Wie sieht die emotionale Realität in New York City denn heute aus?

SL: Es herrscht Angst. Die Leute sind verängstigt und kaufen Isolierklebeband für ihre Fenster und Pillen, um sich gegen mögliche radioaktive Anschläge zu wappnen. Sie haben Panik, jemand könnte in der U-Bahn dirty bombs zünden. Es ist kein Spaß.

BF: Stimmen Sie mit [Michael Moores](/person/michael-moore) These in "[Bowling for Columbine](/movie/bowling-for-columbine)" überein, dass die Amerikaner und insbesondere die US-Medien ihren Verfolgungswahn regelrecht pflegen?

SL: Der Film gehört sicherlich zu den besten, die ich dieses Jahr gesehen habe. Aber ich weiß nicht, ob ich dieser These zustimme. Meine Frau wirkte nicht wirklich glücklich, als sie in Erwägung zog, unsere Kinder aus der Stadt zu den Großeltern nach Florida zu schicken, bis sich die Dinge abgekühlt haben. Wir reden hier nicht über einen Spielfilm, das ist die Realität in New York City.

BF: Sie haben einen Kurzfilm für die Compilation "[Ten Minutes Older](/movie/ten-minutes-older-the-trumpet)" gedreht, in dem Sie dokumentarisch die Wahl von Bush Jr. aufgreifen. Was wäre heute anders, wenn ein demokratischer Präsident im Weißen Haus säße?

SL: Der Film lief in Deutschland?

BF: Ja.

SL: Ich denke, dass die Welt weniger in Gefahr wäre, als das momentan der Fall ist, wenn die Leute in Florida gelernt hätten, wie man zählt. Sie haben da unten eine witzige Art, Wählerstimmen auszuzählen: Eine Stimme für dich, zwei für mich. Es war ein eklatanter Machtmissbrauch, ein regelrechter Putsch. Die meisten Putsche finden im Schutz der Dunkelheit statt. Nicht jedoch in diesem Fall. Es war ihnen egal, ob die ganze Welt dabei zusieht. Sie haben sich die Stimmen gestohlen. Es war interessant zu beobachten, wie unterschiedlich in den USA und im Rest der Welt über die Sache berichtet wurde. In den USA ist das Thema vom Tisch.

"Hassliebe-Beziehungen zu New York"

BF: Einer der stärksten Momente in Ihrem neuen Film ist die Szene, in der Monty vor dem Spiegel eine Hasstirade auf die verschiedenen ethnischen Gruppen in New York ablässt.

SL: In der Szene geht auch um die Broker, die einen auf Gordon Gecko machen, oder die Schwulen in Chelsea. Wir wollten einfach alle miteinbeziehen. Die Szene hat zwei Beweggründe: Zum einen demonstriert sie die Hassliebe-Beziehungen, die man entwickelt, wenn man lange genug in New York lebt. Monty gibt diesen Gruppierungen die Schuld an seinem Unglück. Doch am Ende seines Wortschwalls merkt er, dass er selbst für sich verantwortlich ist. Niemand hat ihn dazu gezwungen, Drogen zu verkaufen.

BF: Es scheint Ihnen immer noch Spaß zu machen, die verschiedenen ethnischen Gruppen überzeichnet darzustellen. Wie würden Sie einen Deutschen porträtieren?

SL: Keine Ahnung, das weiß ich wirklich nicht. Ich glaube, der Anteil der Deutsch-Amerikaner in New York ist nicht so besonders groß. Es gibt wohl einige deutsche Bars. Als Amerikaner begegnen einem die Deutschen vor allem in Kriegsfilmen. Oder als Fußball-Hooligans.

BF: Planen Sie immer noch einen Film über Max Schmeling und Joe Louis? Die Geschichte ist ja inzwischen schon einmal verfilmt worden, kam jedoch bislang nicht in die Kinos.

SL: Grauenvoll. Ich rede jedoch nicht von einem popeligen Filmchen. Mir schwebt ein Epos vor: Joe Lewis - Max Schmeling - Hitler - Goebbels - Mussolini - Franklin D. Roosevelt - episch. Ich habe das Buch gemeinsam mit [Budd Schulberg](/person/budd-schulberg) geschrieben. Er hat "[Die Faust im Nacken](/movie/die-faust-im-nacken)" und "[Das Gesicht in der Menge](/movie/das-gesicht-in-der-menge)" für [Elia Kazan](/person/elia-kazan) geschrieben und die Buchvorlage von dem Boxerfilm "[Schmutziger Lorbeer](/movie/schmutziger-lorbeer)" von [Mark Robson](/person/mark-robson). Haben Sie "Die Faust im Nacken gesehen? Einer der besten Filme der Welt.

Regisseur Spike Lee zu "25 Stunden"