Blickpunkt:Film

Kino

Mit „[Lucy ist jetzt Gangster](/movie/lucy-ist-jetzt-gangster)“ kehrt [Till Endemann](/person/till-endemann) endlich zurück auf die große Leinwand (Start: 2.3. bei [Wild Bunch](/company/wild-bunch-germany)). Über die Arbeit an seinem ersten Kinofilm für Kinder und warum er nicht festgefahren in den Kategorien Kino vs. TV denkt, spricht er hier.

**Was bedarf es, um einen guten Kinderfilm zu machen**?

TILL ENDEMANN: Das Wichtigste ist, dass eine ehrliche Lust und die Freude vorhanden sind, mit Kindern für Kinder und deren Familien etwas zu erschaffen und dass man den für Kinder passenden Ton trifft. Es müssen wirklich Stoffe für Kinder und deren Familienmitglieder sein und nicht nur Stoffe über Kinder.


**Warum tun sich Kinderfilme, die nicht auf Marken oder einer populären Vorlage basieren, im deutschen Kino so schwer? Abgesehen natürlich von Festivals, wo sie durchaus auf ein interessiertes Publikum stoßen und gut angenommen werden**…

TILL ENDEMANN: In den meisten Fällen ist es leider so, dass originäre Kinderstoffe einen schweren Stand haben im deutschen Kino. Eine berühmte, eingeführte Vorlage bedeutet automatisch ein gewisses Vorversprechen, das bei Kindern und deren Eltern grundsätzlich für Aufmerksamkeit sorgt. Auf dieses Vorversprechen können originale Ideen nicht zurückgreifen. Es sind in den Familien oft die gleichen oder zumindest viele ähnliche Kinderbücher und -reihen im Umlauf. Werden diese dann verfilmt, kann man sich darauf als potenzielles Publikum viel leichter verständigen. Es ist eine Erwartungshaltung gegeben. Bei den originären Filmstoffen für Kinder gibt es das so nicht. Deshalb war es uns bei "Lucy ist jetzt Gangster" ein Anliegen, auch in der Verpackung des Films auf eine äußere Strahlkraft zu setzen, die dem Stoff wohlgemerkt aber auch inne wohnt.

**Zwischen "Lucy ist jetzt Gangster" und Ihrem letzten Kinofilm, "[Vater Morgana](/movie/vater-morgana)", liegen über zehn Jahre. Sie haben dazwischen viel fürs Fernsehen gearbeitet. Wie sind Sie auf die charmante Idee gekommen, das bravste Mädchen der Welt auf die schiefe Bahn zu schicken, eine Gangsterkomödie für Grundschüler zu inszenieren**?

TILL ENDEMANN: Bei manchen Projekten fliegt einem eine solche Prämisse in einem kreativen Moment irgendwann einfach zu. So war es auch hier. Gemeinsam mit meinem wunderbaren Koautor [Andreas Cordes](/person/andreas-cordes) und der Unterstützung von Produzent [Arek Gielnik](/person/arek-gielnik) von [Indi Film](/company/indi-film) ging das Projekt dann die nächsten Schritte. Mich hat von Anfang an die ironische Verkehrung der Heldwerdung gereizt, die Steilheit der Prämisse - mit dem klaren Versprechen, dass das ein Stoff fürs Kino ist. Vor "Lucy" habe ich einige Jahre tatsächlich primär und sehr gerne fürs Fernsehen an schönen, eigenen, besonderen Stoffen gearbeitet. Ich denke nicht festgefahren in den Kategorien Kino vs. Fernsehen. Es geht immer um den Stoff. Bei ¿Lucy¿ war einfach klar, dass er auf die große Leinwand gehört. Aber natürlich freue ich mich, nach so vielen Jahren wieder im Kino präsent zu sein.

**War das gemeinsame Drehbuchschreiben mit Andreas Cordes etwas Besonderes? Bei Ihren vielen Fernseharbeiten haben Sie ja oftmals keinen Drehbuchcredit**…

TILL ENDEMANN: Den Drehbuchprozess mit Andreas Cordes fand ich sehr beglückend. Wenn ich bei manchem Fernsehfilm nicht als Autor dabeistehe, heißt das nicht, dass ich mich nicht in einem gewissen, guten Maße auch einbringe. Es ist grundsätzlich sinnvoll, als Regisseur frühzeitig zu Projekten zu stoßen, damit gewährleistet ist, dass man sich mit den Autoren in einem guten Austausch abstimmen kann, um gemeinschaftlich dieselbe Vision zu verfolgen und zu verfeinern. Das ist ein Prozess, der ja viel Freude bereiten kann. Das Eintauchen in die Figurenbögen hat grundsätzlich einen besonderen Reiz für mich in meiner Arbeit. Wenn die Ideen von mir selbst stammen, wie u.a. bei "Lucy ist jetzt Gangster", dann suche ich mir für die Drehbucharbeit einen passenden Weggefährten, wie in diesem Falle Andreas Cordes.


**Ihr Film lebt von einer Art märchenhaften Überhöhung. Welche Tonalität schwebte Ihnen hinsichtlich Look&Feel vor**?

TILL ENDEMANN: Es gibt verschiedene Filme, die mich inspiriert haben. Außerhalb des Kinderfilms ist [Wes Anderson](/person/wes-anderson) zu nennen, der natürlich mit ganz anderen Budgets als wir hantiert. Unser Ziel war es, Lucys Welt aufgrund der steilen Prämisse des Stoffes bewusst zu überhöhen. Das war mir von Anfang an ein Anliegen, das ich entsprechend mit meinem Kameramann [Lars Liebold](/person/lars-liebold) und in Verlängerung dann auch mit dem Szenen-, Kostüm- und Maskenbild verfolgt habe. Wenn man an poetisch überhöhte Filmwelten denkt, kommt man auch an "[Die fabelhafte Welt der Amélie](/movie/die-fabelhafte-welt-der-amelie-best-of-cinema)" nicht vorbei. Im Kinderfilmbereich gab es speziell aus den Niederlanden, die auch Koproduktionsland von "Lucy" sind, einige Vorbilder. Dort gibt es wesentlich mehr originäre Kinderfilmstoffe, die bunt, steil, witzig in ihrer Umsetzung sind. Auch die Verfilmung von "[Der kleine Nick](/movie/der-kleine-nick)" hat mich konkret inspiriert.

**"Lucy ist jetzt Gangster" ist Ihre erster Family-Entertainment-Kinofilm. Wie war die Arbeit anders mit Kindern**?

TILL ENDEMANN: Neu war die Erfahrung nicht, da ich im Fernsehbereich neben Kinderrollen im Ensemble verschiedener Filme mit "Das Versprechen" bereits einen Stoff inszeniert habe, in dem ein Kind die Hauptrolle innehatte. Die Arbeit mit Kinderdarstellern bereitet mir große Freude. Bei "Lucy" war das Besondere, dass drei der vier jungen Hauptdarsteller vorher noch nie in einem Film mitgespielt hatten. Wir haben uns gut vorbereitet, mit Schauspielcoach [Yvette Dankou](/person/yvette-dankou) an meiner Seite, die die Kinder mit wiederkehrenden Übungen und spielerischem Austausch an die Filmwelt herangeführt hat. Es war ein wunderbares Aufwärmen, auch an jedem Drehtag. Meine Aufgabe war es dann, die große Spielfreude der Kinder zu schützen und stützen. Extrem wichtig bei der Arbeit mit Kindern ist, dass man sie ernst nimmt, ihnen auf Augenhöhe begegnet und der Spaßfaktor nicht verloren geht.

**Der Film begleitet Sie ja schon eine ganze Weile, er war auch schon auf Festivals wie [Hamburg](/company/filmfest-hamburg) oder [Zürich](/company/zurich-film-festival) unterwegs. Was haben Sie hierbei gelernt? Was hat Ihnen die Reaktion der Kinder gelehrt**?

TILL ENDEMANN: Die Reaktion der jungen Zuschauer war einstimmig erfreulich. Der Film sorgt für gute Laune – nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den sie begleitenden Erwachsenen, ob das nun Familienmitglieder oder Lehrer waren. Doch neben der ganzen bunten und leichtfüßigen Gestaltung ist "Lucy" auch ein Film, der die Kids nachhaltig beschäftigen darf. Er transportiert ja durchaus eine Botschaft, über die sich die Kinder im Anschluss untereinander unterhalten haben. Das mitzuerleben hat mich ganz besonders gefreut.

**Die Produktion von Kinofilmen ist meist langwierig. Ist es da erfreulich, wenn man danach wieder eine Fernsehauftragsarbeit – wie bei Ihnen zuletzt u.a. "Im Schatten der Angst – Du sollst nicht lügen" - inszenieren kann, bei der alles viel reibungsloser funktioniert**? 

TILL ENDEMANN: Wie gesagt, denke ich nicht unbedingt in den Kategorien Kino vs. TV. Mir geht es in erster Linie um die Geschichte, um die Figuren. Die müssen mich interessieren, faszinieren, berühren. Meine Fernseharbeiten sind vielfältig und breitgefächert, in meiner Filmographie tummeln sich die unterschiedlichsten Genres. Zu Ostern erfolgt etwa die Ausstrahlung der Romanverfilmung "[Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster](/movie/und-dann-steht-einer-auf-und-oeffnet-das-fenster)" mit [Iris Berben](/person/iris-berben) und [Godehard Giese](/person/godehard-giese). Das ist, obwohl es um eine todkranke Frau geht, eine sehr zarte, humorvolle Geschichte über persönliches Wachstum und das, was Leben bedeutet. Vom Kino geht natürlich immer noch - und hoffentlich noch lange - eine besondere Strahlkraft aus, und wir alle wissen um das besondere Gefühl im dunklen Saal vor der großen Leinwand. Kino entwickelt ein besonderes Momentum, das ist filmische Kraft in gefühlter Ursprungsform. Dem gegenüber hat Fernsehen zumindest gefühlt eine kürzere Halbwertszeit. Aber unabhängig davon sollte es doch immer darum gehen, Freude am jeweiligen Werk zu haben, gemeinsam in einem Team tolle Stoffe umzusetzen – egal für welches Medium.


**Es ist viel Bewegung im Markt. Sie arbeiten fleißig für die Öffentlich-Rechtlichen. War das richtige Angebot eines Streamers noch nicht dabei oder haben Sie gar kein Interesse**?

TILL ENDEMANN: Bislang scheiterte es aus zeitlichen Gründen oder weil ich bei anderen Projekten bereits im Wort stand. Zudem wurde meine letzte Tochter erst vor einem Jahr geboren, da passte es einfach nicht, für den langen Ritt, den eine Serienarbeit mit sich bringt, von zuhause weg zu sein. Ab jetzt bin ich wieder offen für alles, nicht zuletzt weil das serielle Erzählen starke Möglichkeiten bietet, noch tiefer in die Figuren einzutauchen. Zwei Projekte sind in der Entwicklung, auch ganz speziell eine Kinderserie, von denen es bei den Streamern meines Erachtens zu wenige gibt.

**Einen Mangel an Angeboten kann es nicht geben mit Blick auf die Menge an Produktionen, die für die verschiedenen Ausspielwege hergestellt werden**…

TILL ENDEMANN: Es ist eine sehr gute Situation für Autoren, Regisseure, für alle Marktakteure. Der Mangel an Fachkräften macht uns jedoch zu schaffen. Ich bin gespannt, wohin sich der Markt entwickelt, und es ist ja zu sehen, dass nach der großen Blütezeit bereits Kurskorrekturen vorgenommen werden. Den Zenit des gefühlt unermesslichen Produktionsbooms erleben wir gerade noch, bald wird er überschritten sein.

**An was arbeiten Sie aktuell**?

TILL ENDEMANN: Ich habe einen weiteren Kinderkinofilm in der Planung, wie "Lucy" ein originärer Stoff. Wie schnell es zur Umsetzung kommt, hängt jetzt auch von der Performance von "Lucy" im Kino ab. Ich hoffe natürlich sehr, dass der Film sein Publikum findet. Dann kann es mit den neuen Stoffen sehr schnell gehen.

*Das Gespräch führte Barbara Schuster*


Till Endemann über "Lucy ist jetzt Gangster": „Die Spielfreude schützen und stützen“