Blickpunkt:Film

Kino

[Sandra Buchta](/person/sandra-buchta) feierte am 6. September Weltpremiere von „Winter of the Crow“ in [Toronto](/company/toronto-international-film-festival). Sie schrieb das Drehbuch nach einer Kurzgeschichte der Nobelpreisträgerin [Olga Tokarczuk](/person/olga-tokarczuk) gemeinsam mit Regisseurin [Kasia Adamik](/person/kasia-adamik) und [Lucinda Coxon](/person/lucinda-coxon). Wir sprachen mit ihr über ihr Kinodebüt, das das [San Sebastian Festival ](/company/festival-internacional-de-cine-de-san-sebastian)abschließen wird, und ihre weiteren Pläne. 

**Wie sind Sie als deutsche Drehbuchautorin zum letztlich polnisch-luxemburgisch-britischen Projekt gekommen?** 

Ich hatte vor über 10 Jahren die Kurzgeschichte gelesen und war sofort in ihrem Bann. Ich traf die Autorin, Olga Tokarczuk, und sie vertraute mir die Option an. Kurz darauf sagte sie mir, dass die polnische Regisseurin Kasia Adamik auch an dem Stoff interessiert sei. Ich pitchte ihr meine Idee, die Geschichte als Thriller zu adaptieren – und es war ein Match und der Beginn einer sehr langen Reise...

**Was faszinierte Sie an der Kurzgeschichte „Professor Andrews in Warschau“?**

Die Geschichte ist auf wenigen Seiten absurd-komisch, unheimlich und zutiefst menschlich. Ein britischer Professor reist 1981 nach Warschau und wird über Nacht vom Kriegsrecht überrascht. Er irrt durch die verschneite Stadt. Er zweifelt an seinem Verstand, beobachtet fremde Lebensumstände – und erkennt, dass er nur mit Hilfe Anderer weiterkommt. Diese Entwicklung wollte ich erzählen! Es hat mich fasziniert, dass es eine Art Road Movie zu Fuß sein könnte und ein Thriller, der aus dieser Perspektive erzählt werden könnte: In der Kurzgeschichte gibt es rätselhafte Andeutungen, Momente der Beunruhigung, die mich als  Prämisse gereizt haben.   

![Lesley Manville in „Winter of the Crow“. Foto: Wild Mouse Prod/Film Produkcja/Iris Prod./Film and Music Ent. 
Ltd
 ](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/a8966fd2-1751-40b1-87e2-95c42df6ce2c.jpg)

**Der Film hat Förderung aus Deutschland bekommen. [Chromosom Film](/company/chromosom-filmproduktion) ist als Partner in der Entwicklung in den Credits, aber nicht bei den Produzent:innen. Wie kam es zur aktuellen Konstellation? Der Film war wohl schwierig auf die Beine zu stellen?**

Chromosom war hier ein wichtiger Partner, die früh ein Potential gesehen haben, aber ja, es war schwierig mit diesem Stoff eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Letztlich hat hier Iris Productions aus Luxemburg, [Katarzyna Ozga](/person/katarzyna-ozga) und [Nicolas Steil](/person/nicolas-steil), den entscheidenden Impuls gegeben. Und natürlich ist es zuerst ein polnisches Projekt - [Olga Chajdas](/person/olga-chajdas) war von Anfang an als Produzentin dabei ebenso wie [Agnieszka Holland](/person/agnieszka-holland), später auch [Stanislaw Dziedzic](/person/stanislaw-dziedzic), der UK-Anteil ergab sich organisch, da die Hauptfigur Britin ist und die Geschichte dort anfängt.


**Wie hat sich das Drehbuch im Laufe der Jahre weiterentwickelt?**

 Von Anfang an habe ich eng mit Kasia Adamik gearbeitet. Unser Ziel war immer ein Thriller – allerdings kein klassischer, sondern ein surrealer. Die Traumebene und Atmosphäre spielen eine große Rolle. Dies mit dem Tempo und der Struktur eines Thrillers zu einer packenden Geschichte zu verbinden, war die eigentliche Herausforderung.

#####  „Thematisch waren für mich die Imagination und die Suche nach Verbindung wichtig als Haltung in einem System, dessen brutale „Logik“ Menschen isoliert und gegeneinander ausspielt.“
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**Was war Ihnen besonders wichtig - thematisch und stilistisch? Wo erlaubten Sie sich Freiheiten?**

 Den ganz besonderen Ton von Olga Tokarczuks Geschichte einzufangen, war mein Wunsch. Dazu gehört neben Symbolen, wie der Szene mit dem Karpfen, auch der Humor.  Thematisch waren für mich die Imagination und die Suche nach Verbindung wichtig als Haltung in einem System, dessen brutale „Logik“ Menschen isoliert und gegeneinander ausspielt. Wir haben uns wirklich viele Freiheiten erlaubt, angefangen von der Wahl des Genres bis zur Hauptfigur, die in unserem Film eine Professorin ist und gespielt wird von der wunderbaren Lesley Manville. Natürlich haben wir uns auch von diesem Moment in der Zeitgeschichte inspirieren lassen, aber nicht in der Absicht ihn nachzuerzählen. Wir greifen ihn eher auf, wie die Polaroids, die die Professorin macht: mal verdichtet, mal mit Unschärfen.


Wie sah die Zusammenarbeit mit Regisseurin und Koautorin Kasia Adamik und Koautorin Lucinda Coxon aus? Wie eng war sie?

 Wie schon gesagt, habe ich sehr eng mit Kasia Adamik zusammengearbeitet. Das war ein spannendes Ping Pong, weil wir mit unterschiedlichen Perspektiven an den Stoff herangingen – Kasia hat diese Zeit als Kind in Warschau selbst erlebt, mein Blick kam von außen. In der letzten Phase, als [Lesley Manville](/person/lesley-manville) an Bord kam, hat Lucinda Coxon dem britischen Teil der Figur und Geschichte noch den letzten Schliff verliehen, was sehr stimmig ist.


**Inwieweit war Olga Tokarczuk eingebunden?** 

 Olga Tokarczuk hat uns die Geschichte wirklich anvertraut. Sie war mit der Grundidee des Thrillers einverstanden. Dann hat sie uns die Freiheit gegeben, einen Stoff entstehen zu lassen, der inspiriert ist von ihrer Geschichte, aber sein Eigenleben annimmt. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar.


**Wie gefällt Ihnen der fertige Film? Wie nah ist er an Ihrer Vision?**

Ich habe zuletzt einen Rohschnitt gemeinsam mit Olga Tokarczuk gesehen, den ich schon sehr mochte. Die Performances der Schauspieler:innen, nicht nur die von Lesley Manville, sind auf den Punkt. Vielleicht sogar so, wie ich es mir vorgestellt habe – aber eben auch alle anderen Gewerke, die an diesem Film mitgewirkt haben, nicht zuletzt die Kamera von Tomasz Naumiuk... Die Überraschung, den fertigen Film zusammen mit dem Team und Publikum zu sehen, habe ich mir für die Premiere aufgehoben.


**Was bedeutet es, mit Ihrem ersten Kinodrehbuch in Toronto Weltpremiere zu feiern?**

Ich freue mich riesig mit dem ganzen Team! Dass unser europäischer Film, der mit dem Genre Cold-War-Thriller spielt, auf dem TIFF so eine internationale Plattform bekommt, zeigt ja, dass Geschichten uns verbinden können. Das bedeutet mir sehr viel!


**Wie geht es weiter? Was wird Ihr nächstes Projekt?**

Ich entwickle gerade zwei Kinoprojekte, die wieder als Koproduktionen gedacht sind: Eine weitere Adaption eines Romans von Olga Tokarczuk, „E.E.“, der in diesem Jahr auf Deutsch erschienen ist, gemeinsam mit den Ko-Autoren Maja Costa und Pawel Grajnert. Es ist eine „feminist ghost story“! Das andere Projekt ist ein ganz anderes Genre, eine romantic comedy, nach einem Roman von Diego Galdino, zusammen mit [Paolo Girelli](/person/paolo-girelli). Außerdem entwickle ich gerade eine deutsch-polnische Serie für Studiocanal Series zusammen mit Bartlomiej Konarski.

*Die Fragen stellte Heike Angermaier*


Sandra Buchta zu „Winter of the Crow“: „Unser Ziel war ein surrealer Thriller“