Blickpunkt:Film

Kino

In seinem letzten Film, [„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“](/movie/der-held-vom-bahnhof-friedrichstrasse) erzählt [Wolfgang Becker](/person/wolfgang-becker_9) basierend auf dem gleichnamigen Roman von einem Hochstapler, der angeblich eine Massenflucht aus der DDR plante und greift so Themen wie Erinnerungskultur und den Einfluss der Medien auf. Am 11.12. startet der Film in den deutschen Kinos. Wir sprachen mit Regisseur [Achim von Borries](/person/achim-von-borries) und Produzent [Stefan Arndt](/person/stefan-arndt), die das Werk in Beckers Sinn fertigstellten.

**Welche Bedeutung hatte Wolfgang Becker in Ihrem Leben bzw. Ihrer Karriere?**

**Stefan Arndt:** Ich habe ihn in Locarno kennengelernt, da stand er im Foyer einer Turnhalle, wo sein Film vorgeführt wurde, und schimpfte ganz laut. Ich war Anfang 20, er ein paar Jahre älter. Irgendwann sagte ich, dass er doch mal aufhören solle zu schimpfen, um den Leuten nicht die Stimmung zu verderben. Letztendlich hatte er aber vollkommen Recht, sich aufzuregen. Wir hatten damals mit [Tom Tykwers](/person/tom-tykwer) [„Die tödliche Maria“](/movie/die-toedliche-maria) nicht den größten Erfolg und wussten, dass wir größer werden müssen. Da gab es zwei ganz bekannte Regisseure, Wolfgang Becker und [Dani Levy](/person/dani-levy). Gemeinsam gründeten wir [X Filme](/company/x-filme-creative-pool) und seitdem hat es sehr gut funktioniert, dass diese vier Leute sich gegenseitig helfen, ihre Projekte voranzubringen. Der Kreis hat sich später erweitert, Achim ist seit über 20 Jahren in verschiedenen Funktionen dabei.

**Achim von Borries:** Eine meiner ersten Begegnungen muss an Wolfgangs 43. Geburtstag gewesen sein – gleichzeitig mein Entrée in die Filmwelt und der Auftakt einer künstlerischen Freundschaft, die immer auf Augenhöhe war, obwohl wir zunächst ein Lehrer-Schüler-Verhältnis hatten. Er hat mich trotzdem damals respektiert und mir die Chance gegeben, an einem Film wie [„Good Bye, Lenin!“](/movie/good-bye-lenin) mitzuarbeiten. Für mich war es deshalb eine sehr schöne und beglückende Aufgabe, ihm jetzt auf gewisse Art etwas zurückzugeben.

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**Wie kam Wolfgang Becker mit dem Projekt auf Sie zu? War von Anfang an klar, welchen Film er umsetzen wollte?**

**Stefan Arndt:** Zuerst gab es die Nachricht zu dieser Krankheit und auch die Schwere seiner Krankheit. Wolfgang wusste erst gar nicht, was er machen soll. Er meinte entweder macht er eine Reise an die schönsten Orte – und bei Wolfgang konnte man sich sicher sein, er kennt viele schöne Orte – oder er macht noch mal einen Film. Darüber haben wir sehr offen und ehrlich geredet, was gar nicht unbedingt unsere Art war, weil wir sonst oft über Auseinandersetzungen zu Ergebnissen kamen. Das war aber ein produktives Streiten, damit das Ergebnis dann gut ist. Als wir über seinen neuen Film sprachen, war relativ schnell klar, dass die Ideen, die er hatte, zu lange dauern würden. Dann haben wir den Roman gefunden. Maxim Leo, der Autor, hatte auch Angebote von anderen Produktionsfirmen, aber Wolfgang war so überzeugt von dem Projekt, dass er gar keine andere Wahl hatte als den Film von ihm umsetzen zu lassen.

**Achim von Borries:** Abgesehen davon schreit der Stoff einfach nach Wolfgang Becker als Regisseur, das war Maxim Leo auch klar.

**Stefan Arndt:** Genau, aber es war klar, dass wir noch einen Regisseur bräuchten, falls er den Film nicht selbst fertigstellen kann. Wir haben beide einen Namen auf je einen Zettel geschrieben und auf beiden Zetteln stand Achim von Borries. Er ist der Regisseur in Deutschland, der am nächsten an Wolfgangs Emotionalität herankommt.

**Herr von Borries, wussten Sie direkt, dass Sie an dem Projekt mitwirken möchten?**

**Achim von Borries:** Ja, sofort. Das hat Wolfgang überrascht, was mich wiederum überrascht hat. Es war eine wirklich ehrenvolle und schöne Aufgabe und eigentlich eine Erweiterung der Aufgaben, die ich davor hatte, wo ich an Drehbüchern mitgewirkt hatte. Jetzt war ich eben einfach noch weiter beratend tätig. Dass er den Credit als Regisseur bekommt, war für mich klar, es ist sein Film. Ich kannte diese Arbeitsweise vom Set von „Babylon Berlin“, wo man sich auch nicht immer aussuchen kann, was man dreht, wir alle sehr unterschiedlich arbeiten und es trotzdem ein Ganzes am Ende ergibt. Ich habe Wolfgang nur einen einzigen Deal abgerungen: „Wenn ich für dich einspringe, kannst du vorher mit mir darüber sprechen, aber danach darfst du dich nicht darüber beschweren, dass es anders geworden ist, als du es gedreht hättest.“

![Wolfgang Becker mit Achim von Borries am Set (Credit: X Verleih AG – Frédéric Batier)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/f5df7570-d483-4beb-b629-b93306f2ad7e.jpg)

**Also haben Sie sich beim Dreh abgewechselt?**

**Achim von Borries:** Ich habe ihn an manchen Tagen unterstützt und bin teilweise auch eingesprungen, wenn seine Kräfte geschwunden sind. Wir hatten zuvor ganz unterschiedliche Modelle überlegt, z.B. dass er eine Vier-Tage-Woche macht und ich am fünften Tag die Sachen drehe, die ihm nicht so wichtig sind. Aber es gibt nichts, was ihm nicht wichtig gewesen wäre. Und er konnte sich nicht damit anfreunden, irgendeine Szene abzugeben. Deshalb habe ich mich letztendlich auf alle Szenen und alle Tage vorbereitet und wann immer er mich brauchte, bin ich gekommen.

**Wie herausfordernd war die Umsetzung bzw. Finanzierung des Films?**

**Stefan Arndt:** Das war das Wunder schlechthin. Ich habe schon viele Filme gedreht, wo keiner geglaubt hat, dass die Finanzierung klappt. Hier führte immer der erste Anruf zum Erfolg – das gab es noch nie. [Jörg Himstedt](/person/joerg-himstedt) vom [hr](/company/hessischer-rundfunk-anstalt-des-oeffentlichen-rechts) hat sofort realisiert, in welcher Situation wir sind, und war direkt dabei. In Deutschland braucht man entweder einen unfassbar reichen Verleih oder einen Sender, der auch wirklich dabei ist, und nicht nur eine kleine Summe zahlt.  

**Achim von Borries:** Man muss dazu sagen: Einen Fernsehsender für das laufende Jahr zu bekommen, ist eigentlich undenkbar. Meistens muss man zwei bis drei Jahre im Voraus planen, aber diesmal hat das ganz schnell geklappt.

**Stefan Arndt:** Das lag aber nicht nur an der Situation mit Wolfgang, sondern auch an der Faszination für die Geschichte. Das Gesamtpaket hat einfach gestimmt.

![Leon Ullrich, Daniel Brühl und Charly Hübner in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ (Credit: X Verleih AG, Frederic Batier)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/59344b31-0e08-4221-8396-820a97d6b317.jpg)

**Es handelt sich hier nicht um eine wahre Geschichte, sondern ein rein fiktives Werk über eine Massenflucht aus der DDR und einen Videothekenbesitzer, der diese angeblich veranlasst haben soll. Warum ist genau diese erfundene Geschichte über einen Hochstapler so geeignet dafür, über Geschichte und Erinnerungskultur zu sprechen?**

**Achim von Borries:** Ich habe zuerst den Roman gelesen und bin bis zu meiner ersten Woche im Schnitt ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass es einen wahren Kern in der Geschichte gibt *(lacht)*. Ich habe das überhaupt nicht infrage gestellt. Irgendwann habe ich im Rohschnitt erstmals gedacht „Schade, dass das am Anfang nicht so gut rüberkommt“, bis mir versichert wurde, dass alles Fiktion sei. Das Spiel mit der Wirklichkeit macht aber definitiv den Spaß beim Schauen aus. Es ist eine Hochstaplergeschichte und [Charly Hübner](/person/charly-huebner) ist ein sympathischer Loser, wie ihn nur Wolfgang Becker so porträtieren kann. Seine Figur erzählt am Anfang Dinge, die nicht ganz so stimmen und lässt die Sache dann einfach laufen. Seine Erzählung aber wird immer größer, immer mehr Medien springen auf und irgendwann wird es dann ganz groß. Alle wollen diese Erzählung hören, bis hin zum Bundespräsidenten.

**Stefan Arndt:** Da muss ich widersprechen, ich würde den Film nie als Hochstapler-Film bezeichnen. Die Hauptfigur ist in Geldnot und dann rollt diese Fake-Industrie an ihn heran und er sagt nur „Ja, das Geld wäre schon schön“.

**Achim von Borries:** Wir suchen alle immer eine tolle Geschichte, selbst um Faktisches zu erzählen, muss man eine emotionale Geschichte finden. Und die Story im Film ist einfach zu gut, um nicht erzählt zu werden. Das ist das Verführerische daran.  

**Und genau das macht „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ auch so zeitlos, es handelt sich ja nicht um eine reine DDR-Geschichte.**

**Achim von Borries:** Genau, „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist eine Mediensatire, eine Liebesgeschichte, ein Ost-West-Film, eine amüsante Abhandlung über Erinnerungskultur… Man ist immer wieder überrascht, was in dem Film passiert. Wolfgang hatte die Gabe, seine Figuren so sympathisch und liebevoll zu zeigen. Wenn man mit ihm über diese Figuren sprach, dann redete er wie über reale Menschen. Als ich vorschlug, zwei Rollen zu einer Figur zusammenzulegen, hatte er dafür Null Verständnis.

![Christiane Paul in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ (Credit: X Verleih AG, Frederic Batier)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/3371fdc8-bed9-4220-b64c-f0e741250756.jpg)

**War es das, was Wolfgang Becker für Sie ausgemacht hat? Seine Liebe zum Film und den Figuren?**

**Stefan Arndt:** Für mich war er immer einer der letzten Menschen mit einer wirklichen Allgemeinbildung. Er konnte sich nie mit etwas beschäftigen, ohne es vollumfänglich zu verstehen und alles darüber zu wissen. Als DVD-Player neu auf dem Markt waren, haben wir einen gekauft, fuhren in seine Wohnung und dann kam er plötzlich mit einem Schraubenzieher an und schraubte das Teil auf. Er konnte den DVD-Player nicht benutzen, ohne zu verstehen, wie er funktioniert. So war Wolfgang, er war neugierig und hat ganz viel gesammelt, seien es nun Platten, Filmplakate oder Kotztüten aus Flugzeugen.

**Achim von Borries:** Auch als Filmemacher war er ein Sammler, was es einem nicht immer leicht gemacht hat. Wir diskutierten einmal ewig darüber, ob denn eine Seite in einem Drehbuch wirklich einer Minute entspricht, weil er einfach keine einzige Seite streichen wollte *(lacht)*.

![Christiane Paul und Charly Hübner in „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ (Credit: X Verleih AG, Frederic Batier)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/45865acb-d8f2-48e6-9a5f-072b7000b404.jpg)

**War die Adaption des Buchs dadurch eine besondere Herausforderung?**

**Stefan Arndt:** Daran waren wir nicht so sehr beteiligt, aber er hat mit Constantin Lieb einen tollen Autor gefunden.

**Achim von Borries:** Er ist auch beim Drehbuch immer extrem involviert, auch wenn er nie alleine schreibt. Die erste Fassung war bereits extrem amüsant, wurde dann aber immer größer und voller, weil Wolfgang noch so viele Aspekte einbauen wollte. Am besten findet sich so ein Film, eine Erzählung selbst; als Filmemacher ist man mit seinen Vorstellungen manchmal eher im Weg. Auch mit Nebenschauplätzen hat Wolfgang sich wahnsinnig intensiv beschäftigt; es war ihm zum Beispiel sehr wichtig in Bellevue und dem Bundestag zu drehen, was aber nicht geklappt hat. Statt nach einer Alternative zu suchen, hat er sich da sehr lange reingekniet. Der Glaube an den genius loci und die Liebe zum Detail war bei ihm einfach zu stark.

**Stefan Arndt:** Ich bin auch heute noch zutiefst enttäuscht und empfinde es eigentlich als Beleidigung, dass jemand, der so tolle und wichtig Filme über Deutschland gemacht hat, weder in Bellevue, noch im Bundestag, noch im Bundeskanzleramt drehen durften.

**Letztendlich konnte Wolfgang Becker den Film leider nicht mehr fertigstellen. Wie herausfordernd war es für Sie, das Werk in seinem Sinne fertigzustellen?**

**Stefan Arndt:** Er hatte einmal eine ganz frühe Rohschnitt-Fassung gesehen, ist dann in den Urlaub gefahren und dann dort auch gestorben. Aber man hat einen Plan, ein Drehbuch und dann geht man in den Schnitt. So ein Film erfindet sich eigentlich dreimal; wir haben aber nicht versucht, plötzlich etwas Neues zu machen. Wir wollten immer Wolfgangs Film machen.

*Das Gespräch führte Lea Morgenstern.*

Achim von Borries & Stefan Arndt zu „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“: „Wir wollten immer Wolfgangs Film machen“