Blickpunkt:Film

Kino

[Joachim Triers](/person/joachim-trier) [„Sentimental Value“](/movie/sentimental-value) feiert einen Erfolg nach dem anderen. Erst wurde das Familiendrama in Cannes ausgezeichnet, jetzt wurde bekanntgegeben, dass es der norwegische Oscarbeitrag wird. Im Interview im Rahmen der norwegischen Premiere beim Oslo Pix Film Festival, spricht Triers langjähriger Kollaborator, Drehbuchautor [Eskil Vogt](/person/eskil-vogt), u.a. über die Zusammenarbeit der beiden.   

**Erst kürzlich wurde bekanntgegeben, dass „Sentimental Value“ als norwegischer Oscarkandidat ausgewählt wurde. Was bedeutet das für Sie?**

Eskil Vogt: Es ist eine Ehre! Andererseits ist es albern, dass Filme untereinander konkurrieren müssen – es gibt auch tolle Filme, etwa „Oslo Stories: Träume“ von Dag Johan Haugerud, die ebenfalls der norwegische Oscarkandidat hätten sein können. Aber wir nehmen die Verantwortung an und freuen uns darüber. Dass wir so starke Kandidaten haben, ist ein Zeichen, dass es dem norwegischen Film gut geht.

**Sie sind ein langjähriger Weggefährte von Joachim Trier und haben an jedem seiner Filme mitgewirkt. Wie hat sich Ihre Kollaboration über die Jahre verändert?**

Eskil Vogt: Wir kennen uns seit unseren späten Teenagerjahren. Wir hatten den gleichen Job beim norwegischen Fernsehen, wo wir uns um die Kabel der Kameras bei einer Live-Quizshow gekümmert haben. Dort lernten wir uns kennen und merkten, dass wir die gleiche Begeisterung für Filme haben und beide Filme machen wollten. Am Anfang waren wir einfach zwei Freunde, die eine Leidenschaft teilten. Dann haben wir angefangen, uns gegenseitig bei unseren Kurzfilmen zu unterstützen; ich habe zum Beispiel Joachim bei den Storyboards für seinen ersten Kurzfilm geholfen. Später ging er auf eine Filmhochschule in London, wo ich ihn beim Schreiben der Drehbücher unterstützte – so ist unsere Drehbuch-Kollaboration entstanden.

**Wie genau kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?**

Eskil Vogt: Wir verbringen erst einmal einfach Zeit zusammen als beste Freunde und unterhalten uns, hören Musik, reden über Bücher etc. Daraus entsteht dann mit der Zeit ein Film, wobei wir sehr viel Zeit damit verbringen, uns den Film und die Figuren vorzustellen. Ganz zum Schluss schreibe ich dann die Szenen auf und schicke sie Joachim, der mir Feedback dazu gibt. Seit unserem zweiten Film „Oslo, 31. August“ nutzen wir dieses Konzept von unprofessioneller Professionalität. (lacht) Wir nehmen uns ein Jahr Zeit und versprechen den Produzenten, dass wir am Ende des Jahres eine erste Fassung haben. Am Anfang haben wir keine Ahnung, wie der Film aussehen wird. Aber bis jetzt hat das gut funktioniert.

![„Sentimental Value“/ Bild: Christian Belgaux, Plaion Pictures](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/ef55271e-5354-4574-b255-34301843056f.jpg)

**Trier und Sie sind beide auch als Regisseure tätig. Wir sehr fließt der Regie-Blickwinkel bzgl. Kameraarbeit o.ä. in den Prozess des Drehbuchschreibens ein?**

Eskil Vogt: Das kommt natürlich ganz auf die Szene an. Wenn es sich einfach um eine Szene handelt, in der zwei Menschen miteinander sprechen, dann diskutieren wir nicht die visuellen Aspekte davon. Aber es gibt Sequenzen in „Sentimental Value“, in denen z.B. das Familienhaus sehr im Mittelpunkt steht und auch Voice Over eingesetzt wird. Das muss man alles verschriftlichen – diese Aspekte sind im Skript bereits sehr präzise und entwickeln sich dann während dem Dreh noch einmal weiter. Genauso muss man sich auch überlegen, wie man eine Plansequenz schreibt; ansonsten schreibt man etwas, was unmöglich umzusetzen ist. Ein Drehbuch ist für uns nicht nur Dialog, der dann erst später visuell umgesetzt wird, sondern es ist die Idee eines vollständigen Films.

**Sie sprechen bereits das Haus der Familie an: Das spielt in „Sentimental Value“ eine zentrale Rolle und wird beinahe zu einer eigenen Figur.**

Eskil Vogt: Ja, wobei das nicht von Anfang an so war. Wir begannen mit der Geschichte zweier Schwestern und dem Thema des Erwachsenwerdens. Selbst wenn man die gleichen Eltern hat, kann man eine ganz unterschiedliche Kindheit haben, etwa aufgrund eines Altersunterschieds, oder weil die verschiedenen Persönlichkeiten unterschiedliche Seiten aus den Eltern hervorholen. Wir hatten aber die Ambition, dass die Geschichte eine andere Perspektive beinhalten sollte, mit der wir auf die kleinen menschlichen Dramen schauen konnten. Joachims Mutter wollte zu dieser Zeit das Familienhaus verkaufen, was ein großes Thema war. So kamen wir darauf, dass das Haus ein größerer Teil des Films sein sollte. Es beinhaltet so viel Geschichte, die sich über die verschiedenen Generationen angesammelt hat. Das hat uns die Komplexität gegeben, von der wir das Gefühl hatten, dass der Film sie braucht. Am Anfang gibt es diese Szene, die aus der Perspektive des Hauses erzählt wird; jedes Mal wenn danach durch ein Fenster gefilmt wird, ist klar, dass hier das Haus auf die Menschen blickt. Das Haus hatte seine eigene Präsenz.

**Abgesehen davon steht selbstverständlich die Familie besonders im Vordergrund. In Ihren Filmen sind die Figuren dabei nie nur gut oder böse; sie sagten selbst einmal, dass Sie niemals einen reinen Bösewicht schreiben wollen. Wieso ist Ihnen das so wichtig?**

Eskil Vogt: Ich habe einige übernatürliche Filme geschrieben, wie etwa [„Thelma“](/movie/thelma_d) oder [„The Innocents“](/movie/the-innocents_1), wo das Böse durchaus eine Rolle spielt. Aber generell wollen wir einfach keine rein bösen Antagonisten kreieren. Das macht es uns schwerer, weil es natürlich viel einfacher ist, einen sehr dramatischen Konflikt mit rein bösen oder guten Figuren zu schreiben. Wir finden diese Eindimensionalität nicht interessant, stattdessen wollen wir die Menschlichkeit in allen Figuren sehen.

![„Sentimental Value“/ Bild: Plaion Pictures](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/e1a1ad62-5616-4fb1-801e-8ddd2fb143bd.jpg)

**Das war Ihnen auch bei der Rolle des Gustav Borg, gespielt von [Stellan Skarsgård](/person/stellan-skarsgard), besonders wichtig, oder?**

Eskil Vogt: Am Anfang haben wir an einer Geschichte über zwei Schwestern mit einem abwesenden Vater gearbeitet. Dann dachten wir uns, dass es interessant wäre, wenn der Vater zumindest in einer Szene im Film auftauchen würde. Mit der Zeit wurde er immer mehr zu einem sehr vielschichten Charakter. Wir wollten die Menschlichkeit in ihm zeigen, aber dennoch die Schäden, die er angerichtet hat, nicht kleinreden. Bei Filmen erwarten sich viele Menschen eine komplette Veränderung der Figuren oder eine vollständige Versöhnung am Ende. Aber so stark verändern sich die Menschen selten innerhalb von kurzer Zeit. Der Vater und die Tochter im Film werden vielleicht niemals ein besonders intimes Gespräch über ihre Probleme haben. Am Ende verstehen sie die jeweils andere Person aber besser. Sie sind sich näher, aber es ist kein märchenhaftes Ende. Auch als Zuschauer soll man die Figuren letztendlich besser verstehen.

**Sie sagten bereits, dass es aktuell ein starkes Momentum für norwegische Filme gibt. Andererseits existiert kaum finanzielle Unterstützung für die Werke, was es schwieriger macht, dieses Momentum aufrecht zu erhalten. Wie sieht Ihre Perspektive darauf aus?**

Eskil Vogt: Die Crewmitglieder von „Sentimental Value“ sind allesamt große Talente aus Norwegen; viele von ihnen haben aber aktuell keine Arbeit. Die Streamer haben beinahe vollständig damit aufgehört, Fernsehserien zu finanzieren. Es gibt immer weniger Geld, wodurch viele talentierte Filmschaffende ihre Filme nicht umsetzen können. Wir zehren aktuell noch von Entscheidungen, die vor einem Jahrzehnt gemacht worden, aber wir werden all das verlieren, wenn die Filmförderung nicht aufgestockt wird. Ich hoffe, die Politiker sehen, wie wichtig die Filmbranche für die Wirtschaft und unsere Kultur sind. Kino ist ein guter Weg, Werbung für das eigene Land zu machen.

*Das Gespräch führte Lea Morgenstern.*

Eskil Vogt zu „Sentimental Value“: „Wir wollen die Menschlichkeit in allen Figuren sehen“