Blickpunkt:Film

Previews

Am 11. Juni startet bei Apple TV+ die zweite Staffel der Serie ["Home Before Dark"](/movie/home-before-dark) mit [Brooklynn Prince](/person/brooklynn-prince) und [Jim Sturgess](/person/jim-sturgess), in der sich ein zehnjähriges Mädchen abermals als investigative Journalistin und Detektivin betätigt. Hier unsere Besprechung.


Dass Kids sich in die Aufklärung von Verbrechen einschalten, hat speziell in unserem Einzugsgebiet Tradition in Belletristik, Hörspiel, Fernsehen und Kino: "[Die drei ???](/movie/die-drei-das-geheimnis-der-geisterinsel)" (und das jüngere Spinoff ["Die drei !!!"](/movie/die-drei)), Enid Blytons "Geheimnis um..." und ["Fünf Freunde"](/movie/fuenf-freunde_4), ["TKKG"](/movie/tkkg-jede-legende-hat-ihren-anfang), ["Die Pfefferkörner"](/tvshow/die-pfefferkoerner) - es ist ein Wunder, dass überhaupt noch Strolche frei herumlaufen. "Home Before Dark", ist indes mehr als nur eine amerikanische Antwort auf ein europäisches Phänomen. Anders als die eingangs genannten Titel basiert die Apple-Serie von [Dana Fox](/person/dana-fox) und [Dara Resnik](/person/dara-resnik-creasey), inszenatorisch geprägt von [Jon M Chu](/person/jon-m-chu), auf wahren Figuren und Begebenheiten: 2016 wurde die damals neunjährige Drittklässlerin Hilde Lysiak landesweit bekannt, weil sie als Reporterin auf ihrer eigenen Nachrichtenseite im Netz anfing, nicht nur über lokale Belanglosigkeiten ihrer kleinen 5000-Seelen-Gemeinde in Pennsylvania zu berichten, sondern auch ihrer Leidenschaft für Kriminalfälle nachzugehen.


In der Serie heißt sie nun Hilde Lisko, ihre Familie lebt in einem Dorf im Bundesstaat Washington, also auf der anderen Seite des Landes, und die Ungereimtheiten, denen sie in der ersten Staffel gemeinsam mit ihrem Papa nachging, fügten sich zu einem größeren Justizskandal zusammen, der die Vergangenheit mit der Gegenwart verband. Der entscheidende Unterschied zu den bisher bekannten Kinderdetektivmarken ist der verblüffend erfolgreiche Versuch, die Erlebenswelt der Heldin und ihrer Kameraden mit den Belangen, Nöten und Sorgen der Erwachsenen zu verbinden. Es ist eben keine Make-Believe-Fantasy, in der Kids erwachsene Dinge tun, während die Erwachsenenwelt außen vor bleibt, bestenfalls grob skizziert wird. All die sonst so amorph bleibenden Figuren wie der Vater, die Mutter, der Polizist, der Ladenbesitzer erhalten eine eigene Identität, ein eigenes Innenleben, eine eigene Agenda. Das macht die Serie auch zu einem Balanceakt: Zu intensiv darf sie wegen der Kinderzielgruppe nicht sein, zu läppisch und unkomplex wegen der erwachsenen Zuschauer nicht. Nur manchmal wirkt das bemüht. Meist ist der Blick und die Erzählung frisch und selbstbewusst, was nicht zuletzt den guten Schauspielern zu verdanken ist, allen voran die großartige Brooklynn Prince, der man seit ihrem Debüt in ["The Florida Project"](/movie/the-florida-project) Großes prophezeit, und Jim Sturgess als Papa der selbstbewussten und bisweilen neunmalklugen Hilde, deren ungewöhnliche Beziehung das Rückgrat der ersten Staffel bildete, als die Liskos von New York City in das fiktive Erie Harbor ziehen, wo Hildes Papa Matthew groß wurde und dessen von ihm entfremdeter Vater gerade von seinem Haus in ein Pflegeheim verlegt wurde.


Nachdem am Ende der Staffel das nie aufgeklärte Verschwinden eines Jugendfreundes von Matthew weitestgehend aufgelöst werden konnte, sind die Liskos nunmehr wirklich angekommen in der neuen Gemeinde. Entsprechend öffnet sich der Fokus in der zweiten Staffel, in deren Mittelpunkt ein weitreichender Umweltskandal steht: Hilde bleibt die Hauptfigur, aber die Menschen in ihrem Umfeld rücken stärker in den Vordergrund. Wieder wird die Trommel gerührt für einen unabhängigen, nur der Wahrheit verpflichteten (Lokal-)Journalismus, wie er in Hildes Lieblingsfilm ["Die Unbestechlichen"](/movie/die-unbestechlichen) gepflegt wird. Aber die ziemlich offene Struktur der Serie erlaubt es ihren Machern, sich auch an zahlreichen anderen Themen abzuarbeiten, die auf den Nägeln brennen: Um Identität und sexuelles Erwachen geht es, um Zivilcourage und Respekt, aber auch um noch heftigere Dinge wie der Tod geliebter Menschen oder der Umgang mit Kranken und Schwachen. Sehr geschickt jonglieren Dana Fox und Dara Resnik mit diesen Dingen, verweben sie eng in die Textur ihrer Erzählung, in der es immer auch darum geht, Spannung zu erzeugen und ein neues Geheimnis nach dem anderen aus dem Hut zu zaubern. Immer wohl dosiert, um das Publikum Woche für Woche erneut vor den heimischen Bildschirm zu locken.


Thomas Schultze

"Home Before Dark" (Staffel 2)