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Sechs Jahre nach ["Gone Girl"](/movie/gone-girl-das-perfekte-opfer) legt [David Fincher](/person/david-fincher) mit der Netflix-Produktion ["Mank"](/movie/mank) erstmals wieder einen Spielfilm vor, ein in allen Belangen überwältigender Blick auf ["Citizen Kane"](/movie/citizen-kane)-Autor [Herman Mankiewicz](/person/herman-j-mankiewicz) und seinen Windmühlenkampf gegen Hollywood. Hier unsere Besprechung.


Bester Film aller Zeiten. 50 Jahre lang war "Citizen Kane" fünf Mal in Folge die unangefochtene Nummer eins in der im Abstand einer Dekade durchgeführten Kritiker-Umfrage von Sight & Sound - erst bei der jüngsten Runde 2012 wurde [Orson Welles](/person/orson-welles)' Regiedebüt von 1941 erstmals von Hitchcocks ["Vertigo"](/movie/vertigo-aus-dem-reich-der-toten) abgelöst. Ohne damit den mythischen Ruf des visionären Leinwandwerks zu mindern. Auch heute noch, fast 80 Jahre später, wirkt Welles' Abrechnung mit dem Medienmagnaten William Randolph Hearst frisch und visionär, gewagt und brandaktuell, voller technischer Innovationen und messerscharfer Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele: der erste große amerikanische Film über die zersetzende Säure von Gier und Machtstreben, ein Faustscher Handel, für den man im Tausch bereitwillig seine Menschheit preiszugeben hat. Dass David Fincher für seine erste Spielfilmarbeit seit "Gone Girl" vor sechs Jahren nun die Entstehung von "Kane" wählt, oder besser: einen faszinierenden Aspekt davon, ist zwingend, logisch, folgerichtig. Fincher ist der maßgebliche amerikanische Filmemacher seine Generation, hat in drei Jahrzehnten aufeinander den jeweils prägenden Hollywoodfilm seiner Dekade geschaffen: ["The Social Network"](/movie/the-social-network), der wohl bedeutsamste amerikanische Film des vergangenen Jahrzehnts, ist nachgerade eine moderne Variation von "Citizen Kane". Aber auch ["Fight Club"](/movie/fight-club) und "[Zodiac](/movie/zodiac-die-spur-des-killers)", die beiden anderen Großwerke des Filmemachers, entstanden 1999 respektive 2007, stehen in Welles' Schuld, sind Zerrspiegelbilder des ewigen Meisterwerks, tief verankert in ihrem jeweiligen Zeitgeist und doch nahtlos verwoben mit der düsteren DNS des amerikanischen Traums - "die Erweiterung des Alltäglichen ins Visionäre", wie Filmkritiker Nigel Andrews über "Citizen Kane" schrieb. Entsprechend senkt sich die Kamera in den ersten Bildern von "Mank" vom Himmel auf von Sandstaub verwehtes Ödland, durch das sich ein Autokonvoi seinen Weg bahnt - ein Drama über kleine, unbedeutsame Menschen, und die Götter lachen.


Der Akt des Erschaffens in all seinen Abgründigkeiten ist es, was Fincher in "Mank" interessiert, die verschlungenen Wege, die es braucht, damit Erlebtes und Gesehenes, Emotionen und Gedanken, ihren Weg finden können auf unschuldiges weißes Papier und im Anschluss auf Zelluloid. Geschrieben von Finchers 2003 verstorbenen Vater Jack, steht als Titelheld Herman Mankiewicz, gespielt in seiner größten und von Maskenbild unberührten Darstellung von Oscargewinner [Gary Oldman](/person/gary-oldman), im Mittelpunkt: In den Dreißigerjahren ist er der zwischenzeitlich bestbezahlte Drehbuchautor und Skriptdoktor Hollywoods, der in den Chefetagen der Studios ein- und ausgeht, im Frühjahr 1940, als er von Orson Welles den Auftrag erhält, nach eigenem Gutdünken und in absoluter künstlerischer Freiheit ein Epos als Drehbuch zu verfassen, aber wenig mehr ist als ein am Leben gescheiterter Alkoholiker und Zyniker, ein abgerissenes Wrack. Nach einem Autounfall ist er mit eingegipstem Bein weitestgehend ans Bett gefesselt und wird nach Victorville verfrachtet, auf eine einsame Ranch mitten im Nirgendwo der südkalifornischen Wüste, wo er ungestört von äußeren Einflüssen (und Alkohol) arbeiten soll, überwacht und angetrieben von Welles' persönlichem Assistenten John Houseman und erratischen Anrufen des "Boy Wonders" selbst, unterstützt von der britischen Tippse Rita Alexander und einer deutschen Krankenschwester. Auseinandersetzungen darüber, wer welchen Anteil am Drehbuch hat, das "Citizen Kane" den einzigen Oscar bei insgesamt neun Nominierungen bescherte, der an Welles und Mankiewicz ging, gibt es unter Filmhistorikern seit acht Jahrzehnten; mit besonders harten Bandagen werden sie seit 1971 geführt, als sich die Filmkritiker-Päpstin Pauline Kael in dem Essay "Raising Kane" klar auf die Seite Manks als alleinigem Urheber schlug. Längst ist sie von Experten widerlegt, die anhand der verschiedenen Buchfassungen nachweisen konnten, dass Mankiewicz mit seinem mehr als 200 Seiten umfassenden Manuskript zwar Grundlage und Gerüst lieferte, Welles aber mit seinen zahlreichen Änderungen und speziell seiner kreativen Tätigkeit als Regisseur nicht minder Schöpfer war. Finchers Sympathien gehören zwar Mank, aber diese Auseinandersetzung schwingt lediglich leise mit und spielt schließlich erst in der Coda des Films eine Rolle. Sie ist ebenso wenig Gegenstand der eigentlichen Handlung wie die Dreharbeiten von "Citizen Kane", die bereits in ["RKO 281"](/movie/citizen-kane-die-hollywood-legende) von 1998 (mit John Malkovich als Mankiewicz an der Seite von Liev Schreiber und James Cromwell) thematisiert wurden.


Nein, es geht um die Titelfigur und ihren Schaffensprozess, was wiederum als Trojanisches Pferd dient, um vom Hollywood der Dreißigerjahre zu erzählen, von den Schreibteams, denen Mank bei Paramount angehörte, seiner Nähe zu dem autokratischen MGM-Chef Louis B. Mayer und dessen Produktionschef Irving Thalberg und wiederum deren verschlungene Allianzen mit dem Tycoon William Randolph Hearst. Obwohl von Kameramann Erik Messerschmidt, der für Fincher bereits das Licht bei der Netflix-Serie ["Mindhunters"](/movie/mindhunters) setzte, im Breitwandformat festgehalten, sieht "Mank" aus wie ein Film aus der Zeit, in der er spielt, mit präzisen Schwarzweißbildern und Stilmitteln, wie man sie aus der goldenen Periode des Studiosystems kennt, nicht zuletzt blitzschnelle Dialoge wie aus den Screwballkomödien von Howard Hawks (die schon Vorbild für "The Social Network" waren). Zahllose Anekdoten und beiläufig hingeworfene Bonmots aus der Zeit wie prägnante Zitate diverser Filmgrößen der Zeit setzen Ton und Stimmung. Die Geschichte ist in Rückblenden erzählt, Einblendungen wie aus Szenenüberschriften eines Drehbuchs sorgen für Orientierung und verweisen auf das Meta-Wesen der Erzählung. Ein Film über Hollywood, der aber doch wirklich ein Film über das Wesen der Politik ist. Und dessen Verweise auf die politischen und gesellschaftlichen Realitäten der Gegenwart bisweilen so eindringlich und schneidend sind, dass man "Mank" bisweilen förmlich in Farbe zu sehen glaubt. Und mittendrin dieser Don Quixote, der gegen Windmühlen ankämpft, weil er vielleicht durchschauen mag, wie der Hase läuft, aber doch auf Gedeih und Verderb den höheren Mächten ausgeliefert ist, egal wie zornig er gegen sie anläuft. Wenn Hearst ihm am Ende lächelnd eine Parabel vom Äffchen auf der Orgel erzählt, wird ihm endgültig sein Platz zugewiesen, als Hofnarr der Mächtigen, der wüten mag, aber doch nur belächelt wird. Und bereit ist für den Verrat an der einzigen verwandten Seele in diesem Eintauchen in das Haifischbecken Hollywood, Hearsts Liebschaft Marion Davies, gespielt von [Amanda Seyfried](/person/amanda-seyfried) in einer atemberaubenden Leistung, die den Star aus ["Mamma Mia!"](/movie/mamma-mia-der-film) als bislang sträflich unterschätzte Schauspielerin offenbart. David Fincher, dieser kühle, brillante, großartige und perfektionistische Ausnahmefilmemacher, der diesen Film kontrolliert und steuert und prägt und formt, wie Welles es bei "Citizen Kane" mit Hilfe des Kraftakts von Herman Mankiewicz getan hat, macht's möglich. Wie immer. Wie immer.


Thomas Schultze

"Mank" von David Fincher