Blickpunkt:Film

Der Schreck von [der Umzugsnachricht](https://www.blickpunktfilm.de/tv/aus-kostengruenden-televisionale-hammer-festival-zieht-2025-nach-weimar-46c96aab1e140e3ce897f537c352835a), die vor dem vergangenen Wochenende die Runde machte, war schnell aus den Gliedern geschüttelt. Die letztmalig in Baden-Baden gastierende [TeleVisionale](/company/televisionale-film-und-serienfestival-baden-baden) entfachte bereits kurz nach Anpfiff um 9 Uhr morgens ihren Bann, obwohl sich - wie nicht anders zu erwarten - die auf einen Zusammenschnitt von zehn Minuten reduzierte Vorführung der Filme als schmerzlicher Einschnitt erwies. Doch ein ausgezeichnetes Wettbewerbsprogramm und exzellent besetzte Jurys lassen darüber hinwegsehen.

Gleich sechs (von insgesamt zehn) Fernsehfilmen galt es am ersten Tag zu diskutieren, und man war erstaunt wie lebhaft sich das fast schon verloren geglaubte Programmgenre in den Präsentationen von „Ein Mann seiner Klasse“ (SWR/Saxonia Media), dem Schweizer „Tatort: Von Affen und Menschen“ (SRF/Zodiac Pictures), „Silber und das Buch der Träume“ (Prime Video/Constantin), „Ich bin! Margot Friedländer“ (ZDF/UFA), „Eher fliegen hier UFOs“ (WDR/Sutor Kolonko) und „Sie sagt. Er sagt“ (ZDF/Moovie) präsentierte. Wenn sich ein Favorit herauskristallisierte, ist es vielleicht die Doku-Fiction über die unvergleichliche Margot Friedländer, die in ihrer Dringlichkeit und ihrer gelungenen Verwebung der beiden Formate und von fünf formellen bzw. zeitlichen Ebenen für einhellige Begeisterung sorgte. Aber auch die anderen Produktionen sammelten kräftig Argumente, um sich zumindest für einen der Spezial-Preise zu qualifizieren.

Für besondere Erhellung sorgten nicht allein die sechs gezeigten Beiträge, sondern vor allem auch deren Einordnung durch die fünfköpfige Jury mit ihren vielschichtigen Beobachtungen und ihrem sehr angenehmen Umgang miteinander. [Tyron Ricketts](/person/tyron-ricketts) ist ein wunderbarer Vorsitzender, der mit Witz und Unerschrockenheit die Debatten steuert und als Botschafter für Diversität den Finger in die Wunde legt, wenn es erforderlich ist. Ein wahres Geschenk ist [Samira El Ouassi](/person/samira-el-ouassil), von Festivalleiter [Urs Spörri](/person/urs-spoerri_f) völlig zurecht als Philosophin angekündigt. „Das könnte man jetzt sofort abdrucken“, sagte Ricketts über eine ihrer Einlassungen. Man nimmt Begriffe wie „Ambiguitätstoleranz“ in seinen Sprachschatz auf, weil sie aber auch aus der Emotion heraus argumentiert, wird es nie zu „Diedrich Diedrichsen-haft“. Als perfekte Ergänzung aus der Praxis erweist sich [Anna Brüggemann](/person/anna-brueggemann), die einen wunderbaren Erfahrungsschatz als Schauspielerin, Drehbuchautorin und Familienmensch, in die Diskussionen einbringt. Über [Alfred Holighaus](/person/alfred-holighaus)’ Erfahrungsschatz braucht man nicht viele Worte zu verlieren - Senator Film, Berlinale, SPIO, Filmakademie - , mit seiner durch die verschiedenste Facetten des Kinofilmbetriebs geprägten Perspektive ist er eine absolute Bereicherung. Und für den ersten Gänshautmoment sorgte Urs Spörri, als er seine Vorgängerin [Cathrin Ehrlich](/person/cathrin-ehrlich) als fünfte Jurorin ankündigte, die kurzfristig für Jochen Laube einsprang und in einem Husarenritt, wie sie später erzählte, sich in den vergangenen beiden Tagen die Filme, die sie noch nicht kannte, „draufpackte“.

Ungeheuerliches spielte sich im Serien-Wettbewerb ab, der standesgemäß mit den „Zweilfers“, dem diesjährigen Überflieger unter den deutschen Serien eröffnet wurde - wobei seit Montag „Liebes Kind“ als frischgekürtem iEmmy-Gewinner mindestens genauso hoch fliegen dürfte. Ungeheuerlich wurde es, zumindest nannte sie es selbst so, als die Vorsitzende der Serienjury als vierte Rednerin das Wort ergriff, und es wagte, „Die Zweiflers“ zu kritisieren. Der Canneseries- und mehrfache Fernsehpreis-Gewinner, aktuell sechsfach für die DAFFNE nominiert, wirkte bis dahin fast schon sakrosankt. Haberlandt, die die Serie lieben wollte, aber nicht gepackt wurde, öffnete die Tür für verschiedene Kritikpunkte. Sind einige Plot Points zu gewollt gesetzt? Gibt es ein Gefälle zwischen Männer- und Frauenfiguren? Ist die Figur Sigi zu sehr Martin Wuttke? Das „Zweiflers“-Team, bestehend aus Produzent Martin Danisch von Turbokultur und Jörg Himstedt vom HR diskutierte munter mit und nahm einige Kritikpunkte an. Am Ende einer langen Diskussion verfestigte sich der Eindruck, dass mit den „Zweilfers“ etwas Großes geschaffen wurde, eine Großfamilie, wie man sie noch nie im deutschen Fernsehen gesehen hat und mit der man bedingungslos mitgeht, wie Juror Oliver Rihs anmerkte. Eine Serie, die in verschiedenen Departments wie Musik, Kostüm- oder Szenenbild über sich hinauswuchs.

Auch um den zweiten Serienbeitrag, „Der Upir“, entbrandete eine breitgefächerte Diskussion. Die Vampir-Comedy von Joyn, eine Produktion der UFA Fiction, brachte ProSiebenSat.1 nach unzähligen Jahren der Abstinenz zurück nach Baden-Baden. Allein das schon ein großer Verdienst, aber die Serie hielt auch den ganzen Saal bei Laune. Das beste Statement, kam hier aus der Studentenjury. Verschiedener breit ausgewälzter Kritikpunkte an den Frauenfiguren und einigen dramaturgischen Entscheidungen zum Trotz, hob der Filmnachwuchs hervor, welche besondere Leistung sich dahinter verbarg, im schwierigen Humor-Feld eine breite Schnittmenge hinter sich zu vereinen, und das sie dem „Upir“ gelungen. Die Einlassung des Studenten mündete in ein Plädoyer für die leichte Unterhaltung, die es unbedingt zu fördern gelte. Bravo!

Starker Auftakt für letzte Baden-Badener TeleVisionale