Blickpunkt:Film

Verleih

VideoWoche: Wer Ihre Vita kennt, fragt sich, wie Sie aus der Kunstoff- und Glasindustrie zur Videowirtschaft gekommen sind...


Werner Wirsing: Die Unternehmensstory von e-m-s ist etwas vom Zufall geprägt. Zwei Faktoren haben den Ausschlag gegeben, ins DVD-Geschäft einzusteigen. Zunächst erwarb ich als Computerfreak aus einer Laune heraus eine Softwarefirma. Das war 1997. Die Mitarbeiter hatten zwar, wie sich in der Folge bald zeigte, wenig Ahnung von Softwareentwicklung, dafür konnten sie aber Filme komprimieren und bearbeiten. Noch im gleichen Jahr traf ich mit einem Branchenkenner zusammen, der mir Struktur und Bedeutung des Videomarkts schilderte und von einem kommenden Formatwechsel zur DVD berichtete.

Mir war sofort klar, dass die DVD die VHS-Kassette sehr schnell ersetzen würde und der Home-Entertainment-Markt an Dynamik gewinnen würde. Somit fällte ich die Entscheidung, in dieses Segment zu investieren. Nachdem wir uns dann in den USA über den aktuellen Stand der DVD-Technik informiert hatten, entwickelte ich den Ehrgeiz, diese famose Technologie nach Deutschland zu holen. Gesagt, getan. Wir haben dann Geräte für rund eine Millionen Mark gekauft, stets das Ziel vor Augen, die Ersten sein zu wollen, die in Deutschland eine DVD auf den Markt bringen.

Ich prägte seinerzeit den Ausspruch: "Wir haben mehr Geld als die Kleinen und sind schneller als die Großen." Dann ging alles sehr schnell. Wir konnten bereits im Sommer 1997 sechs oder sieben DVDs produzieren, darunter "Tina Turner", "Rolling Stones", einige Dokumentationen und "Das Boot", die wir dann in Kooperation mit Grundig, die die Hardware beisteuerten, gemeinsam auf der IFA in Berlin präsentierten.


VW: Ihr vorrangiges Ziel war also nicht als DVD-Anbieter aufzutreten, sondern als DVD-Studio?


Werner Wirsing: Ziel war der Aufbau eines DVD-Authoring-Studios. Als Kunden kamen natürlich nicht die Majors in Frage, die i.d.R. international über eigene Strukturen verfügen, sondern die Independents. Diese zeigten sich damals aber zu meiner großen Verwunderung überhaupt nicht von der DVD Video überzeugt. Zu stark war ihre Erinnerung an die gescheiterte Video-CD und Laserdisc, und zu gering war ihr Budget, um in DVD zu investieren. Der einzige Anbieter, der schon damals auf die DVD eingestiegen ist, war [EuroVideo](/company/eurovideo-medien), mit denen wir "[Das Boot](/movie/das-boot-directors-cut)" auf DVD veröffentlichten.

Das war für uns erst der Anlass, die anderen Videoanbieter zu fragen, ob sie uns ihre DVD-Rechte verkaufen. Unser Studio hieß damals noch Hecker & Schneider GmbH, der Name e-m-s, der für European Multimedia Services steht, ist mit der Absicht entstanden, DVD-Lizenzen für die internationale Auswertung zu kaufen. Das haben wir getan und waren die ersten in Deutschland, die DVD Videos vermarktet haben, im Übrigen einige Monate bevor der erste Major Filme auf dem neuen Format veröffentlicht hat.



Zur Person





Werner Wirsing ist Jahrgang 1947 und gebürtiger Dortmunder. Er sei Lokalpatriot durch und durch, wie er stets betont. Er freue sich maßlos über jeden Sieg und jede Deutsche Meisterschaft von Borussia Dortmund, deren Schatzmeister er von 1988 bis 1990 für gut zwei Jahre war. Von der Ausbildung her ist Werner Wirsing Industriekaufmann und Betriebswirt. Nachdem er bei Hoesch gelernt hatte, wechselte er 1968 als Angestellter bewusst zu der damals noch kleinen Firma Hecker, einem Acht-Mann-Betrieb. Dort avancierte er recht schnell zum Prokuristen, was ihm zu einigem Einkommen und relativ vielen Freiheiten verhalf. 1976 wurde er dann mit 28 Jahren Geschäftsführer der Firma Hecker. Zwei Jahre später, 1978, übernahm er die Firma im Zuge eines Management-Buy-Outs, nachdem der Inhaber aus dem Unternehmen ausgestiegen war. Heute zählt das Unternehmen Hecker, das in den Bereichen Kunststoff- und Glasbearbeitung aktiv ist, rund 150 Beschäftigte und macht einen Umsatz von 35 Mio. Euro. Geführt wird die Firma von langjährigen Mitarbeitern, die im Laufe der Jahre zu Geschäftsführern aufstiegen bzw. zu Mitgesellschaftern wurden. Das verschaffte Werner Wirsing die notwendigen Kapazitäten, um die e-m-s aufzubauen und als wichtigen Player im Videomarkt zu etablieren.







VW: Dennoch ist der Schritt vom Authoring Studio zum Anbieter ein großer Schritt, auch wenn Sie quasi dazu genötigt worden sind?


Werner Wirsing: Gewiss. Aber mir war von Anfang an klar, dass die DVD eine echte technische Innovation darstellte. Ihre Mehrsprachigkeit, der bessere Ton und vieles mehr zeichneten die DVD eben gegenüber der herkömmlichen VHS-Kassette aus. Die DVD ermöglichte daheim ein Kinoerlebnis. Außerdem war die DVD ein sehr gutes Medium, das nicht wie die VHS mit einem Malus, das aus den Anfangsjahren resultierte, behaftet war. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass die DVD eine viel breitere Zielgruppe ansprechen würde als die VHS-Kassette, was ja, wie sich inzwischen zeigt, tatsächlich der Fall ist. Mit dieser Analyse und Zukunftsperspektive setzte ich auf DVD.


VW: Es folgte dann relativ schnell der Sprung an die Börse. Der ersten Euphorie folgte dann schnell die Ernüchterung. Auch bei der e-m-s?


Werner Wirsing: Aktuell blickt e-m-s auf Erfahrungen zurück, die wir mit vielen börsennotierten Firmen teilen. Das going public hat sehr schnell sehr viel Geld in die Kassen dieser Firmen gespült, mit dem mitunter unwirtschaftlich und unüberlegt umgegangen wurde. In dieser Hochstimmung ist viel, sehr viel Geld verbrannt und sind so manche Kosten in die Höhe getrieben worden. Die für dieses Jahr geplanten Releases sind sehr umfangreich. Das sind vielleicht nicht die Überfliegertitel, es sind aber allesamt Spielfilme, für die es einen Markt gibt und die auch vom Handel gewünscht werden, der ein starkes Interesse daran hat, dass sich seine Lieferanten eben nicht nur aus Majors zusammensetzen.


VW: Sie sind also mit der aktuellen Entwicklung Ihrer Firma zufrieden?


Werner Wirsing: Natürlich geben wir uns nicht mit dem Status quo zufrieden. Wir wollen Fortschritt und Wachstum. Und im Rückblick werden sie feststellen, dass die Qualität unserer Produkte, die wir 2002 vermarktet haben, besser war als die des Vorjahres. Und auch in diesem Jahr werden wir wieder einen Sprung nach vorne machen.


VW: Über wie viele Lizenzen verfügt e-m-s aktuell?


Werner Wirsing: Wir haben über 1000 Lizenzen, darunter 300 Special-Interest-Themen, die wir erst im nächsten oder übernächsten Jahr veröffentlichen werden. An Spielfilmen haben wir bis dato um die 500 Titel vermarktet. Für das Jahr 2003 befinden sich rund 60 bis 70 Titel in der Pipeline, deren Rechte wir 2001 oder unlängst auf der MIFED, 17 an der Zahl, eingekauft haben.


VW: Wie ist die e-m-s new media AG strukturiert?


Werner Wirsing: Heute haben wir drei aktive Firmen: einmal die AG als Mutter und Lizenzrechteinhaberin, die [e-m-s sales](/company/e-m-s-sales) als Vertriebsfirma und die [e-m-s studios](/company/e-m-s-studios) als Authoring Studio. Daneben haben wir noch die Best Buy Movie, die wir aber mit der e-m-s sales verschmelzen werden. Best Buy Movie habe ich seinerzeit gegründet, weil ich die Zweitvermarktung nicht über die e-m-s sales laufen lassen wollte.

Nach wie vor präferiere ich zwar die Variante mit zwei Vermarktungsschienen, der Handel bevorzugt hingegen die Single-Lösung, weil er nicht zwei Firmen aus einem Hause listen will. Diesem Wunsch kommen wir jetzt nach. Daneben haben wir noch eine weitere Firma, die e-m-s edutainment, die die Special-Interest-Produkte vermarkten soll. Der Special-Interest-Markt ist jedoch bei weitem noch nicht soweit entwickelt wie der Spielfilmmarkt.

Hier dürfte aber spätestens Mitte diesen Jahres spürbar mehr Bewegung ins Spiel kommen, so dass es sich dann lohnt, eine eigene Verkaufsmannschaft dafür einzusetzen. Die Special-Interest-DVD hat ein enormes Potenzial, gerade in diesem Segment kann der Träger seine Vorteile gegenüber der VHS in besonderer Weise ausspielen.


VW: Wie ist der Vertrieb ausgerichtet?


Werner Wirsing: Die e-m-s sales deckt den deutschen Kaufmarkt ab, in Österreich und der Schweiz haben wir Vertriebspartner. Wobei die e-m-s sales allerdings nicht nur Titel aus dem Lizenzstock der AG vertreibt, sondern auch Titel anderer Lizenzinhaber. Im Verleihgeschäft arbeiten wir mit Sunfilm zusammen. Unser Kerngeschäft ist die DVD. Die VHS-Kassette spielt bei uns nur eine Rolle im Verleih und im Kaufmarkt bei den Klassikern und im Special-Interest-Bereich.


VW: Wie sieht das Verhältnis VHS/DVD anteilig aus?


Werner Wirsing: Im Rentalbereich liegt das Verhältnis VHS zu DVD bei 40 zu 60 Prozent. Im Kaufmarkt fällt die Ratio extrem anders aus, hier verbucht die DVD 90 Prozent auf ihrem Konto, während die VHS noch einen Anteil von 10 Prozent hat.


VW: Wie halten Sie es mit dem Verleih?


Werner Wirsing: Was mich persönlich, der ich nicht über eine so tiefe Kenntnis des Verleihgeschäfts verfüge, wundert, ist, dass manche Anbieter ein gespaltenes Verhältnis zum Verleih zu haben scheinen. Ich teile auch nicht die Meinung, die auf der Branchenforum "DVD Entertainment 2002" mit Zahlen untermauert wurde, dass derjenige, der am Verleihfenster festhält, Geld verschenkt. Deshalb hat e-m-s als ein strategisches Ziel die Unterstützung des Verleihhandels und die Aufrechterhaltung des Auswertungsfensters definiert.


VW: Welches Fenster räumen Sie dem Verleih ein?


Werner Wirsing: Wir halten an einem dreimonatigen Verleihfenster fest. Mehr noch: Die Produkte, die wir einkaufen, wählen wir in erster Linie sogar für das Videothekenpublikum aus. Das belegen auch die Filme, die wir 2003 im Verleih veröffentlichen. Zum Beispiel werden wir im Mai "Nameless" herausbringen, einen Film, der im letzten Jahr in Italien über Wochen Höchstplatzierungen im Kino erreicht hat.

Außerdem veröffentlichen wir "[Beyond Re-Animator](/movie/beyond-re-animator)", der inzwischen dritte Film einer Reihe, die vor Jahren mit "[Re-Animator](/movie/re-animator)" und "[Bride of Re-Animator](/movie/bride-of-re-animator)" für Furore gesorgt hat und den Status eines Kult-Horror-Films hat. Der neue Film, den wir im April in den Verleih bringen, ist mit allen nur möglichen Special Effects ausgestattet und wird ein absolutes Highlight.

Außerdem setzen wir stark auf den koreanischen Film. So kommt im Februar "[The Legend of Gingko 2](/movie/unhaeng-namu-chimdae)" in den Verleih, nachdem schon der erste Teil recht erfolgreich gelaufen ist. Ein großer Film aus Korea ist "[Musa](/movie/musa-der-krieger)", den wir aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst ins Kino bringen werden, auch weil er sehr stark an "[Tiger & Dragon](/movie/tiger-und-dragon-best-of-cinema)" erinnert und mit der gleichen Hauptdarstellerin arbeitet. Ebenfalls aus der koreanischen Schmiede haben wir uns die Rechte an "Volcano High" gesichert, an dem gleich mehrere Firmen interessiert waren.

Aber wir haben natürlich nicht nur Filme, die für die Videothek prädestiniert sind, wir verfügen ebenso über Kinderfilme, Klassiker und Komödien für das breite Publikum. Sehr erfolgreich gelaufen sind beispielsweise die vier [Bud Spencer](/person/bud-spencer)/[Terence Hill](/person/terence-hill)-Filme, die wir auf DVD vermarktet haben. Davon haben wir, um mal eine Ortsmarke zu setzen, pro Titel rund 20.000 Units durchverkauft. Übrigens haben wir hiervon zehn weitere Lizenzen gekauft, so dass wir weltweit der Anbieter mit den meisten Bud-Spencer-Lizenzen sind, die wir direkt vermarkten werden. Einer dieser Filme ist bisher noch nie auf Video bzw. DVD erschienen.


VW: Das Thema Kaufmarkt in Videotheken ist im letzten Jahr heiß und kontrovers diskutiert worden. Wie stehen Sie dazu?


Werner Wirsing: Ich habe mich immer gewundert, dass dieVideotheken das Kaufgeschäft nur halbherzig betrieben haben. Deshalb freuen mich Aktivitäten, die in diese Richtung gehen, besonders. e-m-s unterstützt jede Initiative, nicht zuletzt mit unserer Konditionenpolitik. Auch unser Backkatalog steht dem Verleihhandel zur Verfügung, die Titel sind mit einem Verleihrecht versehen.


VW: Die unterschiedlichen Preispunkte für DVD im Kaufhandel führen beim Endverbraucher oftmals zu Irritationen. Wie sieht Ihre Preisstrategie aus?


Werner Wirsing: Wir gehen hier einen moderaten Weg. Die teuersten Produkte, die sehr aufwendig gestaltet sind, darunter etwa die neue Edition von Rainer Werner Fassbinder, haben einen HAP von 21,50 Euro. Neuheitenprodukte, die das Potenzial haben und in der Regel Doppel-DVDs sind, haben einen HAP von 17,50 Euro. Die nächste Preisstufe für Neuheiten liegt bei 14,50 Euro. Katalogtitel, die noch nie auf DVD erschienen, aber älteren Baujahrs sind, rangieren bei 11 Euro. Die Zweitvermarktungsschiene markieren Preispunkte von 11 Euro oder 7,70 Euro, so dass im Verkauf Preise von 9,99 Euro erzielt werden können. Aktuell haben wir beispielsweise eine Aktion mit 24 unterschiedlich ausgestatteten Titeln herausgebracht, die unter dem Label "Movie pur" laufen und zu einem HAP von vier Euro angeboten werden.


VW: e-m-s fällt uns als außenstehendem Beobachter durch eine sehr hohe Fluktuation auf? Woran liegt das?


Werner Wirsing: Wenn man in einem Markt eine führende Rolle einnehmen will, und diesen Anspruch hat die e-m-s, dann spielen die Mitarbeiter eine ganz entscheidende Rolle. Ihre fachliche Kompetenz und "attitude", wie ich es bezeichne, sind ausschlaggebend. Um dieses Dreamteam aufzubauen, muss ich auf Kosten der Kontinuität die Fluktuation in Kauf nehmen. Heute sage ich, steht unsere Mannschaft. Das innerhalb von drei Jahren erreicht zu haben, werte ich als Erfolg.


VW: Herr Wirsing, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Im Gespräch: Werner Wirsing, CEO e-m-s