Blickpunkt:Film

Kino

[Astrid Lindgren](/person/astrid-lindgren) unterliefen nur wenige Fehleinschätzungen. Eine davon passierte ihr im Jahr 1971. Drei japanische Zeichentrickfilmer wollten die Kinorechte für "Pippi Langstrumpf" kaufen. Doch die Königin der Kinderbücher lehnte ab. Heute hätte sie jeden Grund, ihre Absage zu bereuen. Einer aus dem Animatoren-Trio, Hayao Miyazaki, verzaubert seit Jahren Kinder und Erwachsene mit Geschichten, die denen der Schwedin an Fantasie und Lebensklugheit in nichts nachstehen. Gleichzeitig darf der 62-Jährige als Japans Antwort auf Walt Disney gelten. Er ist außerdem der erfolgreichste Filmemacher jenseits von Hollywood.

Sein "Chihiros Reise ins Zauberland" spielte bei einem Budget von 19 Mio. Dollar allein in Japan 227 Mio. Dollar ein und ist dort der größte Hit aller Zeiten. Schon der Vorläuferfilm, "[Prinzessin Mononoke](/movie/prinzessin-mononoke)" (1997), sorgte in Japan für das Rekordeinspiel von 150 Mio. Dollar. Erfolgreicher war bis dahin nur "[Titanic](/movie/titanic_a)". Schon seit langem hat der japanische Trick-Macher prominente Fans, von [Steven Spielberg](/person/steven-spielberg) bis hin zu "[Toy Story](/movie/toy-story)"-Genius [John Lasseter](/person/john-lasseter). Mittlerweile schlägt sich die internationale Wertschätzung auch in Preisen nieder: "Chihiro" erhielt u.a. 2002 den Golden Bären und dieses Jahr den Oscar für den Besten Animationsfilm.

Doch der Weg bis zu solchen Stratosphären war lang. 1963 begann Miyazaki als Trickzeichner bei Toei-Animation, wie viele seiner Kollegen stieß er sich
an den kreativen Beschränkungen dieses Systems. Auch deshalb, weil er mehr als reine Kinderstoffe gestalten wollte. Zwischen 1965 und 1968 schuf er gemeinsam mit [Isao Takahata](/person/isao-takahata) und Yasuo Otsuka den ersten japanischen Zeichentrickfilm, der von Künstlern statt von Produzenten konzipiert worden war: "The Great Adventures of Horus, Prince of the Sun" war allerdings nur ein Kritikererfolg. Nach verschiedenen Arbeiten fürs Fernsehen (u.a. "Heidi") und Kurzfilmen gelang Miyazaki mit dem Abenteuerfilm "The Castle of Cagliostro" 1979 sein erstes Meisterwerk als Regisseur. Den wirklichen Durchbruch erlebte er dann 1984 mit dem Fantasy-Epos "Nausicaä", das er zunächst als Comic bzw. Manga entwickelt hatte. Dieser Erfolg leitete nicht nur einen Boom des japanischen Animationsfilms ein, er war auch der Grundstein für Miyazakis Rolle als Zeichentrick-Mogul. Finanziert durch den Tokuma Shoten Verlag gründeten er und Takahata das Ghibli Studio. Der Name war Programm: "Ghibli" hieß ein italienisches Aufklärungsflugzeug, das wiederum nach heißen Wüstenwinden benannt worden war. "Lasst uns einen aufregenden Wind durch die japanische Animationsindustrie blasen", so Flugzeug-Fan Miyazaki. Der erste Ghibli-Film "Laputa: The Castle in the Sky" (1986) sorgte für ähnlich gute Ergebnisse wie "Nausicaä". "Doch keiner von uns glaubte, dass das Studio lange Bestand haben würde", so Ghibli-Präsident und Produzent [Toshio Suzuki](/person/toshio-suzuki).

Ghiblis Fokus auf Qualität zahlte sich aus

Das lag auch daran, dass sich das Studio auf hochwertige Kinoanimation spezialisierte. Das Prinzip hieß: hohe Kosten, hohes Risiko und hohe Erträge. "Wenn ein Projekt gefloppt wäre, wäre das ganze Studio untergegangen", so Miyazaki. Doch der Fokus auf Qualität zahlte sich aus. Die Ghibli-Filme "Kiki's Delivery Service" und "Born Yesterday" waren 1989 bzw. 1991 die erfolgreichsten japanischen Filme des Jahres. Miyazakis "My Neighbor Totoro" lieferte 1988 den Anstoß, die fantastischen Kreaturen der Ghibli-Filme im Merchandising auszuwerten. Nach dieser wirtschaftlichen Konsolidierung wurde Studio Ghibli in seiner heutigen Form etabliert: Im Tokioter Vorort Koganei wurde ein 1100 Quadratmeter großer Studiokomplex gebaut. Fortan gab es eine feste Belegschaft und ein Ausbildungsprogramm für Animatoren.

Erzählerisch bestechen Miyazakis Filme nicht nur durch ihren auch Erwachsene begeisternden Fantasiereichtum, sondern auch durch die intelligente Verarbeitung von aktuellen Zeitproblemen wie der Zerstörung des Ökosystems. Von der beschönigenden Weltsicht Disneys setzt er sich bewusst ab. In ökonomischer Hinsicht arbeitet er jedoch mit dem Maus-Konzern zusammen: Disney hält weltweit mit Ausnahme von Asien die Kino- und Videorechte der meisten Ghibli-Filme. Bei "Chihiro" übernahm Disney zehn Prozent der Produktionsbudgets.

Auch bei Ghibli wird mittlerweile Computertechnologie eingesetzt, die ersten Arbeitsstufen bilden aber weiterhin Handzeichnungen. So ist das Studio eine der letzten großen Hochburgen für die klassische Kinoanimation. Seit den letzten Filmen spielt Miyazaki mit dem Gedanken, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Aber zum Glück handelt es sich bei derartigen Äußerungen um ein Ritual. Denn seit Februar 2003 führt er wieder Regie. 2004 soll die Märchengeschichte "Howl's Moving Castle" in die japanischen Kinos kommen.

Die Erfolgsgeschichte der japanischen Ghibli Studios: Japans Antwort auf Walt Disney