Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Erstmals wird in einem deutschen TV-Film mit grotesken und komödiantischen Elementen vom Nationalsozialismus erzählt. Haben Sie eine besondere Verantwortung gespürt, auf diese Weise mit dem Thema umzugehen?

[Kai Wessel](/person/kai-wessel): Diese Verantwortung haben wir alle gespürt, weil es etwas anderes ist, wenn man es aus dem Land der Täter heraus macht. Als ich dazukam, hatten Drehbuchautor Peter Steinbach und der damalige SWR-TV-Film-Chef Dietrich Mack bereits drei, vier Jahre daran gearbeitet und erst fünf Jahre nach Start des Projekts haben wir gedreht. Schon daran sieht man, wie viele Fragen, z.B. nach den Grenzen der Komik, wir uns immer wieder gestellt haben. Dazu kommt, dass viele Zuschauergruppen zu beachten sind: Die Spannbreite gerade bei einem TV-Film reicht von den Opfern - oder den Verwandten der Opfer - bis hin zu Menschen, die noch nie etwas vom Holocaust gehört haben und über das Dritte Reich gar nichts wissen. Auf keinen Fall wollten wir die Zuschauer bedienen, die sich per se gern deutsche Uniformen im Fernsehen ansehen.

BF: Der Film setzt Wissen voraus, wurde darüber diskutiert?

KW: Das ist immer ein Diskussionspunkt gewesen. Z.B. die banale Frage, wie viel Prozent der Bevölkerung überhaupt wissen, wer Goebbels war. Ich bin sicher, dass viele Zuschauer einige ironische Bemerkungen in ihrer Tiefe nicht verstehen werden. Ich hoffe aber, dass der Film eine Gesamtzugkraft hat, so dass auch diese Menschen sich in gewisser Weise unterhalten fühlen und angeregt werden, über das Dritte Reich nachzudenken. Fernsehen hat eine Verantwortung und damit die Aufgabe, nicht nur die 12.000te Liebesgeschichte zu erzählen - was seine Berechtigung hat -, sondern auch anzuregen.

BF: Der Film kommt erst zwei Jahre nach der Fertigstellung ins Fernsehen. Woran liegt das? Hat die Macher zwischendurch der Mut verlassen?

KW: Schon während des Drehs wurde in der Öffentlichkeit die Frage gestellt, ob wir als Deutsche eine Komödie über das Dritte Reich machen dürfen. Wir haben uns gesagt, es wird uns als Deutschen, jedem Zuschauer und jedem Journalisten, wahrscheinlich leichter fallen, den Film zu beurteilen, wenn wir ihn erstmal ins Ausland schicken und man nicht darüber nachdenken muss, was man in Warschau, Tel Aviv, New York oder London darüber sagen wird. Und die Resonanz auf den Film im Ausland war sehr gut.

BF: Konnten Sie mit dem Budget von 2,05 Mio. Euro Ihre Vision vollständig umsetzen?

KW: Wir hatten insgesamt außergewöhnlich gute Produktionsbedingungen. Es hätte dem Film allerdings im Nachhinein gut getan und auch eine andere optische Kraft gegeben, wenn wir auf 35 Millimeter gedreht hätten - allein wenn man an die Festivalkopien denkt. Das ließ sich aber leider nicht realisieren.

BF: Wie sind Sie bei der Arbeit mit den Schauspielern vorgegangen?

KW: Wir haben sehr viel recherchiert. Ein großer Vorteil bei einer Sender-Inhouse-Produktion ist, dass man leichter an Dokumentarmaterial herankommt. Wir waren beim Bundesfilmarchiv und haben uns die Privatfilme von Eva Braun angesehen. Außerdem hat der SWR eine ganze Reihe mit 16-Millimeter-Hobby-Filmen, die im Dritten Reich entstanden sind. [Ulrich Mühe](/person/ulrich-muehe) hat z.B. alles bekommen, was Goebbels betrifft, um ihn auch optisch möglichst genau studieren zu können.
BF: Was für eine Rolle haben historische Filmvorbilder für Sie gespielt wie "[Sein oder Nichtsein](/movie/sein-oder-nichtsein_c)" von [Ernst Lubitsch](/person/ernst-lubitsch)?

KW: Es gibt Zitate, z.B. eine kleine Hommage an [Chaplins](/person/sir-charles-chaplin) "[Der große Diktator](/movie/der-grosse-diktator)", weil auch das eine Verwechslungsgeschichte ist. Ansonsten gab es keine Vorbilder. "[Das Leben ist schön](/movie/das-leben-ist-schoen)" von [Roberto Benigni](/person/roberto-benigni) ist ein wunderbarer Film, aber zu slapstickartig - das war nicht der Stil, den wir wollten. Wir wollten realistischer sein, mit Wahrheit und Fiktion spielen. Wir wollten den schwarzen Humor, teilweise wollten wir auch böse sein. Wir wollten das Lachen, das einem manchmal im Hals stecken bleibt, das reflexiv ist und mit dem Lachenden etwas anstellt, ihn vielleicht sogar anhält, für einen Moment in sich zu gehen, nachdenklich zu sein.

BF: Als Nächstes werden Sie "[Leben wäre schön](/movie/leben-waere-schoen)" von [Beate Langmaack](/person/beate-langmaack) verfilmen.

KW: Wir werden Mitte November in Island die ersten Szenen drehen, im Frühjahr werden die Drehabeiten dann fortgesetzt. Wir erzählen eine Liebesgeschichte mit dem Vorzeichen einer drohenden Krankheit. Es geht um eine Frau - gespielt von [Dagmar Manzel](/person/dagmar-manzel) -, die eine Freundin auf Island besucht und sich dort nochmal wie ein Teenager verliebt. Es ist eine sehr emotionale Geschichte mit nur wenigen Figuren - aber auch die archaische und kraftvolle Natur Islands spielt eine Hauptrolle.

Interview mit Kai Wessel zu "Goebbels und Geduldig"