Blickpunkt:Film

Kino

Mit „[Die Theorie von Allem](/movie/die-theorie-von-allem-at)“ wurde [Timm Kröger](/person/timm-kroeger) in den Wettbewerb der [80. Filmfestspiele von Venedig ](/company/mostra-internazionale-darte-cinematografica) eingeladen. Im exklusiven Interview spricht er über die Bedeutung dieser Einladung, die Idee zum Film, das Arbeiten im Freundeskreis, Vorbilder und warum er fürs Kino brennt. 

**In der Venedig-Pressekonferenz erzählte [Alberto Barbera](/person/alberto-barbera), dass er „Die Theorie von allem“ bereits im Januar gesichtet hätte, zu einem sehr frühen Zeitpunkt also. Haben Sie Ihren Film so früh schon gezielt für Venedig eingereicht?**

TIMM KRÖGER: Der Film war im Dezember 2022 mehr oder weniger fertig – Colorgrading und VFX waren alles andere als final - aber es existierte eine fertige Tonmischung, die uns als Einreichfassung diente. Mein persönlicher Traum war ehrlich gesagt immer, nach Venedig zurückzukehren, nachdem mein Abschlussfilm von der [Filmakademie Baden-Württemberg](/company/filmakademie-baden-wuerttemberg), „[Zerrumpelt Herz](/movie/zerrumpelt-herz)“, dort 2014 in die Kritikerreihe eingeladen worden war. „Zerrumpelt Herz“, den ich wie „Die Theorie von Allem“ ebenfalls mit [Viktoria Stolpe](/person/viktoria-stolpe) als Produzentin und [Roderick Warich](/person/roderick-warich) als federführendem Autor realisiert hatte, war zwar kein kommerzieller Riesenerfolg - es gab weder eine deutsche noch eine internationale Kinoauswertung – jedoch konnte der Film eine erfolgreiche Festivaltour verzeichnen. Die Einladung nach Venedig war wertvoll, eine ermutigende Bestätigung, und ich glaube, die Geschichte um einen verschwundenen Komponisten im Jahr 1929, in einem sehr deutschen Wald, ist dort in eine gewisse „kulturelle Nische“ vorgedrungen. Damals schon hatten wir beschlossen, uns an eine Art Fortsetzung zu setzen, die uns dann – vielleicht, das war natürlich nicht der vordergründige Gedanke - wieder nach Venedig führen könnte. Aber ich habe mir Zeit gelassen. Mein Traum war, mit mehr Mitteln als bei meinem Abschlussfilm einen opulenteren, dynamischeren Film herstellen zu können, der aber eine ähnliche Formsprache spricht. 

**Ist „Die Theorie von Allem“ eine Fortsetzung von „Zerrumpelt Herz“ geworden**?

TIMM KRÖGER: Tatsächlich ist er eine direkte Fortsetzung von „Zerrumpelt Herz“ - ein Film, den eben in Deutschland nicht viele gesehen haben. Es gibt zwar wiederkehrende Figuren, aber es ist kein Vorwissen nötig. Wir haben „Die Theorie von Allem“ also so angelegt, dass er auch als völlig eigenständiger Film funktioniert. Vielleicht kommen die Leute auf den Geschmack, wenn ich den dritten Film gemacht haben werde. Unser langstehendes Vorhaben sieht nämlich eine Trilogie vor, die gewisse Phänomene des „unverdauten“ 20. Jahrhunderts verarbeitet. So ging es in „Zerrumpelt Herz“ um spätromantische Musik, Naturmystik und die dunklen Abgründe, die man hinter dieser Ideengeschichte hierzulande vermuten darf. Hier nun geht es um Quantenphysik, gepaart mit einer spezifischen, alles auf den Kopf stellenden Paranoia, die wir aus dem Film Noir kennen, die sich auch im SciFi-Genre bedient, aber gleichzeitig auf Echos der deutschen Nachkriegszeit trifft. Worum es im dritten Film „Das letzte Radio“ gehen wird, möchte ich noch nicht verraten. Er wird aber Ende des 20. Jahrhunderts spielen. 

**Wann kam die Zusage für Venedig**?

TIMM KRÖGER: Die folgte fast umgehend, Mitte Januar etwa. Wir dürften einer der ersten Filme gewesen sein, die in den Wettbewerb eingeladen wurden. 

**Alberto Barbera sagte in der Programmvorstellung über „Die Theorie von Allem“ auch, dass man diesen Film als Ihr eigentliches Debüt ansehen könne. Stimmen Sie dem zu?**

TIMM KRÖGER: „Zerrumpelt Herz“ war meine allererste Arbeit in szenischer Regie, mein Abschlussfilm, eigentlich eine Fingerübung, aber mein Herzensprojekt. Dass er dann in die Settimana della critica kam, war schon ein kleines Wunder. Man findet zumindest in der Definition der Kategorie „Debütfilm“ die Vorgabe, dass eine Form von kommerzieller Auswertung enthalten sein muss. Das war bei „Zerrumpelt Herz“ eben nicht der Fall, er wurde auf Filmfestivals und bei einer Handvoll Kulturveranstaltungen gezeigt. Insofern würde ich Herrn Barbera bei seiner Aussage zu „Die Theorie von Allem“ durchaus zustimmen. 

**Sie sagten, Sie haben sich Zeit genommen. Fast zehn Jahre liegen zwischen Ihrem Abschlussfilm und „Die Theorie von Allem“. Worin lagen die großen Herausforderungen**?

TIMM KRÖGER: Das hatte damit zu tun, dass es für mich als Filmhochschulabgänger nicht gleich offensichtlich erschien, wie man für ein solches Debüt ein Zwei- oder Drei-Millionen-Euro-Budget auf die Beine stellt.  Zusammen mit Viktoria habe ich dann 2018 mit The Barricades unsere eigene Produktionsfirma gegründet mit dem erklärten Ziel, „Die Theorie von Allem“ voranzutreiben. Uns war sehr schnell bewusst, dass wir für ein Projekt dieser Größenordnung Partner brauchen. Unsere erste Produktion wurde dann allerdings [Sandra Wollners](/person/sandra-wollner) „[The Trouble With Being Born](/movie/the-trouble-with-being-born)“, in Koproduktion mit der österreichischen Panama Film. Bei diesem Film wie bereits bei Sandras „[Das unmögliche Bild](/movie/das-unmoegliche-bild)“ war ich Kameramann. Mit „Die Theorie von Allem“ ging es dann mit einer Entwicklungsförderung vom [Medienboard](/company/medienboard-berlin-brandenburg) weiter. Wir scouteten Locations in der Schweiz, in Österreich und Südtirol, und über die Jahre ergab sich eine deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion, unter anderem durch Sandras Film, bei dem unsere anhaltende Zusammenarbeit mit der Panama Film entstand, aber auch dadurch, dass wir [Heino Deckert](/person/heino-deckert) von [ma.ja.de](/company/majade-filmproduktions-gmbh) getroffen haben, der schließlich unser ausführender Produzent wurde und unter anderem die Schweizer Ko-Produzenten von [Catpics](/company/catpics-ag) mit an Bord brachte. 
Obwohl ich als Ko-Geschäftsführer von The Barricades mit dabeistehe, würde ich mich nicht als echten Produzenten bezeichnen, ich habe mich hauptsächlich auf meine „Regiepflichten“ konzentriert. Für uns ging es anfangs auch darum, wie man ein solches Budget für einen jungen Filmemacher wie mich, der nicht besonders bekannt ist, zusammenkriegt. Als wir die Koproduktionsstruktur hatten, in der wir uns wohlfühlten, gab es aber keine tatsächlichen Probleme, die Fördergelder aus den drei produzierenden Ländern zu bekommen. Sogar [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen)/[Arte](/company/arte-geie), [ORF](/company/oesterreichischer-rundfunk-orf) und [SRF](/company/schweizer-radio-und-fernsehen-srf) kamen alle mit an Bord. All diese Dinge, die ich als Filmhochschulabgänger für schwierig bis fast unmöglich erachtet hatte, gingen relativ reibungslos über die Bühne. Das hatte natürlich auch mit dem Vorgängerfilm zu tun, ganz sicher auch mit Roderick Warichs konzisem, runden Drehbuch und einer Projektidee, die bei allen Beteiligten sofort innere Bilder produzierte. 

**Wenn The Barricades mit dem Hintergedanken gegründet wurde, die eigenen Regiearbeiten voranzutreiben, lässt sich daraus ableiten, dass Ihnen eine gewisse Autarkie bzw. künstlerische Hoheit über Ihre Stoffe wichtig ist**?

TIMM KRÖGER: Das ist sowohl Viktoria als auch mir wichtig. Sie ist seit meinem Abschlussfilm an meiner Seite, allerdings waren wir einfach noch nicht so weit, mein Projekt allein zu stemmen. Deshalb haben wir bei „Die Theorie von Allem“ eine nicht ganz typische Konstellation mit Heino Deckert von der ma.ja.de in der deutschen Produktionslandschaft gefunden. Dieser Zusammenschluss hat mir Sicherheit, Freiheit sowie überhaupt die komplette Umsetzung unserer Vision ermöglicht. Wir wollten vor allem nicht in eine Situation geraten, wo man über die Natur des Films unnötig streiten muss – mit unseren Partnern war das nie der Fall. 

**Blickt man auf Ihre Filmographie, zeichnet sich ab, dass Ihnen offenbar das Arbeiten in einem festen Freundeskreis sehr wichtig ist. Sandra Wollner, Roderick Warich, Viktoria Stolpe, [Roland Stuprich](/person/roland-stuprich) und Sie studierten allesamt an der Filmakademie Baden-Württemberg und tauchen in den jeweiligen Filmprojekten gerne in verschiedenen Konstellationen auf**…

TIMM KRÖGER: Wir sind wie alle Filmemacher darauf angewiesen, dass man Leute trifft, mit denen man gut kann. Natürlich arbeitet man auch mal mit Menschen zusammen, bei denen sich im Laufe einer Zusammenarbeit herauskristallisiert, dass dem nicht so ist. Wir hatten das Glück, dass es bei uns allen sehr gut funktioniert. Man könnte sagen, dass wir aus diesem Freundeskreis heraus mit The Barricades eine Firma gemacht haben, um Filme zu realisieren, an die wir glauben. Nach „The Trouble With Being Born“ produzieren wir auch Sandras nächsten Film „Everytime“ zusammen mit der Panama Film. Dann produzieren wir gerade Rodericks nächste Regiearbeit „Soi Dogs“ in Bangkok, bei der auch Roland Stuprich wieder Kamera macht. Mein nächster Film „Das letzte Radio“ wird natürlich auch wieder in dieser Konstellation gemacht. Wir unterstützen uns gegenseitig.

**Können Sie Ihre Vision für „Die Theorie von Allem“ beschreiben**?

TIMM KRÖGER: Ich kann das gar nicht so klar formulieren. Es spielte eine Idee von „[Drei Männer im Schnee](/movie/drei-maenner-im-schnee)“ hinein, dann [Hitchcock](/person/alfred-hitchcock), [Tarkowski](/person/andrej-tarkowski), [Lynch](/person/david-lynch), [Helmut Käutner](/person/helmut-kaeutner)… Der Film würde sich merkwürdig anfühlen, das wusste ich, ich sah vor meinem inneren Auge skifahrende Physiker, ich sah Schwarzweiß, das Jahr 1962. Später kam dann eine Parallelwelten-Idee hinzu, die schließlich den Kern der Handlung bildete. Als Roderick seinerzeit diese Idee hatte, kam sie uns noch recht originell vor. Mittlerweile ist dieser Topos in das Marvel-Franchise vorgedrungen, und gefühlt jeder dritte Science-Fiction-Film handelt von Multiversen. Wir sind aber recht zufrieden mit unserem Ansatz, weil unser Film auf eine ganz eigene, in dieser Form sehr frischen Art und Weise mit Parallelwelten umgeht, verpackt in ein europäisches Drama aus den Sechzigerjahren, wo man derlei vielleicht nicht erwartet und wo dieser Clash ganz idiosynkratische Kinogefühle produziert. In seiner Haltung ist „Die Theorie von Allem“ auch kein Genrefilm, sondern ein klassisches Drama, das sich der Genres bedient und mit ihnen spielt – und unter seinem Genreplot ganz andere Dinge „mitschummelt“.  

![Jan Bülow spielt Johannes Leinert, Doktorand der Physik, der in einem Hotel in den Schweizer Bergen die Pianistin Karin, gespielt von Olivia Ross, kennenlernt; Foto: Neue Visionen](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/c14357c2-b3c4-4b9c-bcff-966bbece0a36.jpg)

**Sie erwähnten Hitchcock, Lynch, Tarkowski, sind das auch persönliche Vorbilder**?

TIMM KRÖGER: Ich wüsste bei Hitchcock nicht, wie man ihn nicht als Vorbild haben kann. Das wäre so, wie wenn man in der klassischen Komposition versuchte, einen Bogen um Beethoven zu machen. Tarkowski war bei „Zerrumpelt Herz“ eine stärkere Präsenz, auch als formales Vorbild unter Einbeziehung längerer Plansequenzen oder einer gewissen Naturmystik. Da ist dieser Film anders, der Ansatz ist insgesamt amerikanischer, vermischt mit den Echos anderen Genres wie dem deutschen Berg- oder Kriminalfilm. Ich nenne es ein Amalgam von Filmtradition, die nur halb erinnert und verarbeitet wurde und nun als kulturelles Gepäck über einen hereinstürzt wie eine Lawine. Man weiß als Zuschauer nie: Meint der Film das ernst? Wie meint er das? Die Doppelbödigkeit war für mich der erzählerische Reiz und sozusagen der Kern des Films. Er funktioniert auf eine sehr altmodische Art fast postmodern, auch durch seine bewusst an Bernard Herrmann und seinen französischen Kollegen angelehnte Filmmusik. Das alles macht etwas mit der Wahrnehmung: Man sieht einen Film von heute, der ostentativ so daherkommt, als wäre er von früher – ich will damit aber keine Art Videotheksnostalgie evozieren oder ein cinephiles Ratespiel, sondern einen Film, der aus der Vergangenheit mit der Gegenwart spricht und mit kollektiven Erinnerungen spielt. Die Italiener wollen [Robert Siodmak](/person/robert-siodmak) und [Ulmer](/person/edgar-g-ulmer) entdeckt haben, es werden auch Bezüge zu Filmschaffenden hergestellt, die ich kaum oder gar nicht kenne. Wir haben auch spezifisch einige Referenzen gesetzt, unter anderem auch zur Nouvelle Vague, aber das alles war weniger bewusstes Zitatespiel, sondern eher ein Graben und Rühren in einer dicken, schlackigen Kinobrühe, die über kein präzises Gedächtnis verfügt, sondern über ein Gefühl.  

**Hatten Sie Ihren Cast auch so schnell vor Augen wie die Idee zum Film**?

TIMM KRÖGER: Der Castingprozess zog sich recht lange hin, besonders bei der Hauptrolle. Nur [Hanns Zischler](/person/hanns-zischler) war fast von Anfang an gesetzt. Er hatte seinerzeit in „[München](/movie/muenchen_c)“ von [Steven Spielberg](/person/steven-spielberg) diesen gewissen Eindruck bei mir hinterlassen, ohne dass es damals bereits Klick bei mir gemacht hätte. Das kam erst später in „Auge um Auge“ von [Michael Althen](/person/michael-althen) und [Hans-Helmut Prinzler](/person/hans-helmut-prinzler_1), wo er als Interviewpartner erschien. Da wusste ich: Hanns Zischler wird den „strengen Doktorvater“ spielen. Ich schrieb ihn an, wir haben uns getroffen, auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen konnten, ob der Film überhaupt entstehen würde. Er war extrem angetan, als es losging, und ist nun stolz auf das Ergebnis. 
Bei der Besetzung der Hauptrolle des *Johannes Leinert* hat es länger gedauert. Ich hatte einen speziellen Archetyp vor dem inneren Auge, die Figur war anfangs stark angelehnt an die Figur, die [Henry Arnold](/person/henry-arnold) in „[Die zweite Heimat](/tvshow/die-zweite-heimat)“ von [Edgar Reitz](/person/edgar-reitz) spielt: *Hermann*. Er trägt eine Mischung aus Tölpelhaftigkeit und Genialität in sich, für mich in seinem Ausdruck etwas spezifisch Deutsches, was sehr gut in die erzählte Zeit passt und mich gerührt hat – und, glaube ich, auch aus einer Tradition der „Bildungsreisenden“, wie [Hans Castorp](/person/hans-castorp) im „[Zauberberg](/movie/der-zauberberg)“, kommt. Nach dieser Energie suchte ich, und diese Art steinerner Protagonist aus dem Film Noir, der gar nicht so viel handelt, sondern einer Verschwörung hinterherjagt, bei dem ganz viel nur im Gesicht passiert, das kam später hinzu und hat sich damit erfolgreich verbunden. [Jan Bülow](/person/jan-buelow) war perfekt dafür. Dabei hatte ich ihn schon mehrmals gesehen und nicht begriffen, dass er meine Hauptfigur sein könnte. Erst als Roderick ein Foto von ihm aus „[Lindenberg](/movie/lindenberg-mach-dein-ding)“ rumgeschickt hatte, fiel der Groschen. Wir luden Jan zum Casting ein und besetzten ihn kurze Zeit später. 
Der gesamte Castingprozess wurde von [Ulrike Müller](https://www.blickpunktfilm.de/person/ulrike-mueller) geleitet, mit der ich extrem gerne zusammengearbeitet habe; sie hat u.a. [Olivia Ross](/person/olivia-ross), unsere fantastische Hauptdarstellerin ausfindig gemacht, und in unserem nicht ganz kleinen Ensemblecast bei mir für einige sehr glückliche Entdeckungen gesorgt. 

![Hanns Zischler (2.v.l.) und Jan Bülow (l.) in "Die Theorie von Allem"; Foto: Neue Visionen](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/eeda64fd-4f63-4abf-8425-56be9265b7a2.jpg)

**Welche Bedeutung haben Festivals wie Venedig für Filme, wie Sie sie machen**?

TIMM KRÖGER: Festivals wie Venedig schaffen es, Filmen wie unserem ein Maß an Aufmerksamkeit zu verschaffen, das sie aus sich heraus kaum erreichen könnten. Es hätte auch sein können, dass „Die Theorie von Allem“ nur für unsere Schatztruhe produziert hätte werden können. Ich begreife Kino an erster Stelle als Kunstmedium und erst an zweiter als kommerzielle Plattform. Natürlich hat man oft mit Menschen zu tun, die das andersherum sehen. Ein Festival wie Venedig hat die Macht, diese Bedeutungshoheit umzudrehen und zu verschmelzen. Es ist lange her, dass Kino ein breites Öffentlichkeitsmedium und Tagesgespräch war. Aber all die Filme, bei denen ich beteiligt war, waren ohnehin nicht konzipiert, zwingend ein großes Publikum erreichen zu müssen. Sie sind die Art von Film, die wir selber sehen wollen. Mit einem Filmschulidealismus, wie wir ihn alle haben oder hatten- er ist nicht gestorben, aber hat sich ein wenig gewandelt – geht es nicht anders; man *kann* Filme erst einmal nur für sich selbst machen. Der Rest kommt später, ist auch die Aufgabe anderer Leute, Stichwort Vermarktung und Verleih, aber wenn man diese Art Film nicht in erster Linie für sich selbst macht, können sie auch kein Publikumserfolg werden. 

Festivals sind eine große Hilfe, damit die Filme von möglichst vielen Menschen wahrgenommen und gesehen werden, und „Die Theorie von Allem“ funktioniert durchaus für ein gewisses Publikum, sicherlich für ein größeres als meine vorherigen Filme. Dennoch war ich auch hier der Erstzuschauer. Das ist für mich in der Nische des Kunstfilms auch der einzige Überlebensweg. Man muss etwas Idiosynkratisches machen, was aus dem Innersten kommt und von eigenen Fragen handelt, seien sie nun politischer oder metaphysischer Art. Alles andere wäre präemptive Verbiegung oder ratloses Stochern in den Träumen Anderer. Diese Form von Kino, die es von Anfang an gab, wird es auch noch lange geben. Nur laufen wir Gefahr, in einem langsam sterbenden Medium zu einer elitären Subventionskunst zu geraten, die den Zeitgeist nur noch beschreibt, und nicht mehr vorantreibt. Das ist traurig, weil mein Herz auch für populäres Filmemachen schlägt, das populäre Kino von einst zumindest. „[Oppenheimer](/movie/oppenheimer_3)“ etwa beweist aber, dass die Hoffnung nicht ganz verloren ist, ein Film auf sehr hohem Niveau, der es trotzdem schafft, ein so großes Publikum zu erreichen, der die Menschen auch – wann hatten wir das zuletzt bei einem hochbudgetierten amerikanischen Film? - aus dem Kino entlässt, ohne dieses Gefühl, nun innerlich tot zu sein. Hier haben wir einen populären Film, in dem man etwas über die Welt erfährt, etwas über sich selbst und die Menschheit, etwas, das universell nachhallen kann. Das war für mich immer auch der Grund, warum ich Kino mache, diese eigenartige und wunderbare Mischung aus Kunst und Zirkus. „Die Theorie von Allem“ ist mein erster vorsichtiger Schritt in diese Richtung: Unterhaltung, die immer mehr ist als das, wenn man es als Zuschauer zulässt.

*Das Gespräch führte Barbara Schuster*


Timm Kröger über „Die Theorie von Allem“: „Unterhaltung, die mehr ist“

Timm Kröger studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg; „Die Theorie von Allem“ ist sein zweiter Spielfilm; mit Viktoria Stolpe führt er die Produktionsfirma The Barricades in Berlin