Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Während der Postproduktionsphase wurde "Wag the Dog" gestartet und die Lewinsky-Affäre kam ans Tageslicht. Hatten Sie die Befürchtung, daß Ihr Film zu viel für die Öffentlichkeit sein könnte?

Mike Nichols: Eigentlich nicht. Ich war viel zu sehr darin vertieft, die Geschichte unseres Films zu perfektionieren, sie auf den richtigen Punkt zu bringen. Das ist eine Zeit, in der man nicht realisiert, was in der Außenwelt passiert. Wenn das dann der Fall ist, ist es zu spät, denn der Film ist fertig. Dann kann man nur noch Spekulationen anstellen - an denen ich mich nicht beteilige, weil ich die Reaktion der Öffentlichkeit auf meine Filme ohnehin nicht beeinflussen kann.

BF: War es Ihnen möglich, sich von dem Mediensturm über den Skandal freizuhalten?

MN: Die Dreharbeiten zu "Primary Colors" waren lange vor Monica Lewinskys Geständnis abgeschlossen. Als es passierte, waren wir bereits beim Mischen - und es machte uns ein wenig unruhig. Das ist, als würde man einen Film über englische Schäferhunde machen und auf einmal sind die Zeitungen voll mit Schlagzeilen über englische Schäferhunde.

BF: Sie haben aus dem Buch von Joe Klein ganz bewußt keine Satire gemacht. Warum nicht?

MN: Eine Satire macht man, wenn man sich bei einem Thema schon zu einer eigenen Meinung durchgerungen hat. Das liegt mir nicht: Ich will in meinen Filmen nicht meine Meinung zu einzelnen Figuren äußern. Vielmehr ist es mir wichtig, jeder Figur den Raum zu geben, sich selbst zu äußern. In "Die Nacht vor der Hochzeit" gibt es einen Satz, der so etwas wie mein Credo ist: Die Zeit, über jemanden zu urteilen, ist nie. Ein Film ist keine These, er darf nicht gegen etwas oder jemanden sein. Das wäre bloße Propaganda. Ich mag Filme, die mir die Freiheit lassen, über die Handlungen der Figuren selbst nachzudenken.

BF: War Ihnen eine Satire nicht möglich, weil Sie den Clintons, mit denen Sie gut befreundet sind, zuviel Respekt entgegenbringen?

MN: Ich würde nicht sagen, daß ich mit den Clintons befreundet bin. Ich habe sie vielleicht ein halbes Dutzend Mal bei diversen Veranstaltungen kurz getroffen. Sie sind mir sympathisch, und ich halte ihn für einen guten Präsidenten. In "Primary Colors" ging es mir nicht darum, über die Clintons zu richten.

BF: Ihr ursprünglicher Hauptdarsteller war Tom Hanks. Hätte er den Gouverneur Jack Stanton anders dargestellt?

MN: Davon bin ich überzeugt. John Travolta spielte Stanton als Mann mit einem Talent und einer großen Zuneigung für den kleinen Mann.

BF: Er übernahm auch sehr bewußt die Manierismen von Bill Clinton.

MN: Ich hatte nichts dagegen, daß John den Gouverneur nach dem Vorbild Clintons modellierte. Darum geht es ja: Er ist nicht Bill Clinton, sondern ähnelt Bill Clinton, ist wie er.

BF: Travoltas Nähe zu Clinton war aber der einzige Aspekt, der die US-Presse zu interessieren schien. Hat das dem Film nicht geschadet?

MN: Es lag auf der Hand. Die Presse hat sich dem Film auf diese Weise genähert, darüber hinaus aber auch ganz andere wunderbare Sachen über ihn gesagt.

BF: Die von Kathy Bates dargestellte Figur der Libby Holden stellt das moralische Zentrum dar. Sie machten sie aber auch psychotisch. Wollen Sie damit andeuten, daß man in unserer Zeit nur noch als sozialer Außenseiter ein moralisches Leben führen kann?

MN: Ja, aber Sie zäumen das Pferd von der falschen Seite auf: Joe Klein stellte sich vielmehr die Frage, was aus den Liberalen der siebziger Jahre geworden ist, wie sich unsere Welt verändert hat, wie ihre Ideale in die Welt von heute passen. Das waren auch die Fragen, die ich mir gestellt habe und die mich bewegt haben, den Film zu drehen. Ich kenne die Antworten nicht, weil ich weder Politiker noch Philosoph bin, aber ich stelle die Fragen. Wenn sie ins Griechenland der Antike, der Geburtsstätte der Demokratie blicken, dann werden sie feststellen, daß Fragen und nicht Antworten das Wesen der Demokratie bestimmten. Heute wird die öffentliche Diskussion abschätzig betrachtet, und Fragen gelten nichts mehr. Ich mochte das Buch, weil all die Fragen im Buch in der großen Frage münden, ob Stantons Berater Henry beim Troß bleibt oder nicht.

BF: Warum haben Sie sie dann im Film beantwortet?

MN: Weil ein Film kein Buch ist. In einem Buch kann man machen, was man will. Filme oder Theaterstücke basieren hingegen auf Aktionen, und Aktionen müssen beendet werden.

Mike Nichols zu seinem neuen Film "Primary Colors - Mit aller Macht'