Blickpunkt:Film

Kino

**Mit [Panthertainment](/company/panthertainment) haben Sie eine Produktionsfirma gegründet, die gezielt diverse Perspektiven und unterrepräsentierte Geschichten in den Mittelpunkt stellt. Wo stehen Sie aktuell – und welche Projekte treiben Sie gerade besonders an?**

Gerade in einer Zeit, in der sich das politische Weltgeschehen, nach einem kurzen Fenster der Verbesserung, wieder gegen eine offenere und fairere Welt dreht, ist es besonders wichtig unsere Welt nicht nur aus der Perspektive der Privilegierten zu erzählen. Wir brauchen mehr alternative Blickwinkel auf die Welt, in der wir leben, um uns durch eine vielseitigere Betrachtung ein besseres Bild von der Komplexität unserer Welt machen zu können, um dann, im Idealfall gemeinsam auf Lösungen zu kommen die allen Menschen zugutekommen und nicht nur denen, die es seit jeher gewohnt sind durch ihre Privilegien zu profitieren. Aktuell arbeiten wir an einem Serienformat mit dem Görlitzer Park im Zentrum, 2 Feature Filmen, bei denen es in einem um Flucht in dem anderen um die deutsche Sichtweise auf Afrika geht und an einer Dokumentation über die ich aber leider noch nichts sagen darf.

**„[Sam – Ein Sachse](/tvshow/sam-ein-sachse)“ hat Geschichte geschrieben – als erste deutsche [Disney+](/company/disney_a7) Originalserie, die People of Color ins Zentrum stellt. Wie hat sich diese Erfahrung auf Ihre weiteren Projekte ausgewirkt?**

Bei der Arbeit zu "Sam- Ein Sachse" haben wir sehr viel dazugelernt, da viele der Dinge die wir mit dieser Serie umgesetzt haben, Pionierarbeit waren und in dieser Art vorher noch nie umgesetzt wurden. Angefangen vom wahrlich diversen Writersroom, in dem weibliche und männliche , Schwarze und Weiße, sowie Autor*innen aus Ost und Westdeutschland mitgeschrieben haben, um die Geschichte mehrdimensional und so authentisch wie möglich zu machen – bis zur  Regie, die mit [Soleen Yusef](/person/soleen-yusef) und [Sarah Baßkewitz](/person/sarah-blasskiewitz) hervorragend und divers besetzt wurde. Auch hinter der Kamera konnten wir mit Disney + eine Abmachung treffen die uns erlaubte, viele der Stellen divers zu bestezen und damit Neueinsteigern, die vorher nicht die Chance hatten an so einem großen Projekt teilzunehmen, die Möglichkeit zu geben einen Fuß in die Türe zu bekommen. Das der Cast, abgesehen von der fantastischen Leistung von [Malick Bauer](/person/malick-bauer), der alles gegeben hat um diese schwierige Rolle zu verkörpern, auch darüber hinaus einzigartig für eine deutsche Serie ist, kann man ja selber sehen, wenn man die Serie schaut.
Ich bin sehr froh über die Zusammenarbeit mit [Jörg Winger](/person/joerg-winger) (Big Window,[ UFA](/company/ufa)) und [Chris Silber](/person/chris-silber), die mit ihrer großen Erfahrung dabei geholfen haben, die vielen neuen Ansätze dieser Produktion in die Tat umzusetzen. Ich konnte lernen, welche Stellschrauben für eine Geschichte wichtig sind, die nicht die übliche Perspektive erzählt und kann diese Erfahrungen für neue Projekte einsetzen. Eine zentrale Erkenntnis ist für mich, dass sämtlichen Bestrebungen marginalisierte Perspektiven zu erzählen nur dann Sinn machen, wenn auch an den Tischen an denen die wirklichen Entscheidungen getroffen werden Menschen sitzen, die selbst diese marginalisierte Perspektive verstehen. Nur so kann die Geschichte im Prozess beschützt werden.
Viele Bestrebungen Filme und Serien diverser und gerechte zu produzieren, scheitern daran, dass immer noch dieselben Köpfe in den Schalträumen sitzen, die entweder nicht wirklich etwas verändern wollen oder, es nicht können, da ihre Ansätze nur kosmetisch sind und nicht wirklich in die Tiefe gehen.

**Sie bewegen sich zwischen gesellschaftlich relevanten Stoffen und innovativen Erzählformen – von Serien über Filme bis hin zu neuen Formaten. Welche Geschichten müssen Ihrer Meinung nach noch erzählt werden, die bisher in Deutschland kaum eine Bühne bekommen?**

Was Deutschland braucht sind Geschichten, in denen auch der Teil von Deutschland selbst zu Wort kommt, über den bis jetzt beinahe ausschließlich aus der homogenen, weißen deutschen Perspektive erzählt wurde. Wir bauchen nicht Geschichten über – sondern von marginalisierten Gruppen. Auch wenn rechtsradikale Parteien und die ursprünglich mitte- rechts angesiedelten Parteien, die in letzter Zeit in Sachen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stark aufholen, 
nach wie vor die Deutungshoheit beim „auf einem ewig gestrigen Niveau“ halten wollen, können wir nur gemeinsame Lösungen für unser Land finden, wenn bei dem Lagerfeuer Film und Fernsehen auch die anderen Menschen die Deutschland ausmachen ihre Geschichten erzählen können. Anstatt verhärteter Fronten brauchen wir gemeinsame Ansätze um solche Probleme wie Klimakrise, Fachkräftemangel, Alterpyramide, und marode Infrastruktur gemeinsam zu lösen. Es fällt mir schwer zu verstehen, warum Parteien wie CDU und FDP aktiv den Diversitätsbeirat des neuen Filmfördergesetzes blockiert haben. Solche perfiden Versuche seine eigene Vormachtstellung mit zu Gewalt erhalten, oder sogar ausbauen zu wollen, führen in einer Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland nicht zu funktionierenden Lösungen. 

**Panthertainment sitzt in Berlin, pflegt aber eine enge Zusammenarbeit mit NRW – insbesondere mit der [Film- und Medienstiftung](/company/film-und-medienstiftung-nrw). Wie gestaltet sich diese kreative Achse zwischen den beiden Standorten, und welche Rolle spielt der Standort NRW für Ihre Produktionen? Wie unterstützt die Förderung?**

Panthertainment wurde bereits 1997 zum ersten Mal in Köln gegründet und war damals die Produktionsfirma für meine Sendung Wordcup bei Viva TV.
Da ich aus Aachen komme und lange in Köln gewohnt habe, verbindet mich viel mit NRW. Seit ungefähr einem Jahr arbeitet Panthertainment mit der [BTF](/company/btf) zusammen und wir entwickeln verschieden gemeinsame Formate. Mit Picture me Rollin‘ wollen wir unterschiedliche PoC Perspektiven in den Vordergrund rücken. Die Film und Medienstiftung NRW unterstützt uns bei diesen Vorhaben inhaltliche und strukturell. Es fühlt sich sehr gut an, einen starken Partner an der Seite zu haben, der uns hilft auch in herausfordernden politischen Zeiten unsere Arbeit machen zu können.

**Die deutsche Film- und Fernsehlandschaft öffnet sich langsam für vielfältigere Geschichten – doch der Weg ist noch weit. Welche strukturellen Veränderungen bräuchte es, um wirklich mehr Diversität in der Branche zu verankern?**

Die Antwort darauf ist einfach. Es gibt eindeutige Zahlen, die schwarz auf weiß belegen, welche Gruppen in Film und Fernsehen unterrepräsentiert sind. Das gilt für Positionen vor und hinter der Kamera. Meine 30 Jahre Erfahrung in der Branche haben mir gezeigt, dass es nicht ausreicht, darauf zu hoffen, dass sich diese Ungerechtigkeit mit ein paar Lippenbekenntnissen, Diversitäts-Kosmetika und Selbstverpflichtungen die nicht eingehalten werden, aus der Welt zu schaffen ist. Wenn der Druck in der Produktion steigt, sind alle guten Vorsätze vergessen und man geht gewöhnlich wieder zurück dazu, wie man es schon immer gemacht hat. Wie ein paar aktuelle politische Entscheidungen zeigen, gibt es durchaus Menschen, die aktiv gegen eine gerechtere Branche gegenüber Frauen, Menschen mit Behinderung, Menschen mit anderen Einwanderungsgeschichten oder andere marginalisierte Gruppen kämpfen. In den meisten Fällen ist es jedoch eher das Unverständnis oder der erhöhte Arbeitsaufwand der die Produktion davon abhält neue Wege zu gehen. Eine einfache strukturelle Veränderung wäre, wenn Förderungen nur Geld an Produktionen vergeben, die vor der Kamera, hinter der Kamera, auf der Businessebene, sowie dort wo die Filme gezeigt werden unserer Bevölkerung in der Vielfalt widerspiegeln, in der sie auch tatsächlich vorzufinden ist. Alles andere ist und bleibt schlicht und ergreifen ungerecht. Ein Blick auf die [BFI](/company/bfi-british-film-institute)-Diversity Standards zeigt, wie es gehen könnte. Leider hat sich diese Idee bei den Vorgesprächen für das neue Filmfördergesetz nicht durchsetzen können. Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

**In den USA und Großbritannien sind „Afrocentric Content“ und vielfältige Perspektiven längst ein fester Bestandteil der Branche. Wie bewerten Sie die Entwicklung in Deutschland – und welche Chancen bietet der Markt?**

Die Entwicklung hat leider nach einer guten Phase einen negativen Knick bekommen. Das Wort Woke, was eigentlich im ursprünglichen „aufmerksam und achtsam gegenüber Ungerechtigkeiten zu sein“ bedeutete, ist plötzlich zu einem Unwort geworden und der gegenwärtige Rechtsruck, machen mir auch Sorgen, was die Vielfältigkeit der Perspektiven in unserer Branche angeht. Gerade jetzt ist allerdings auch ein guter Zeitpunkt um in unserer Branche durch kreative Geschichten und Lösungsvorschläge positive Impulse in unserer Gesellschaft zu setzen. Jeder 3 Mensch der in Deutschland lebt hat eine Einwanderungsgeschichte und damit natürlich einen anderen Blick auf das Land in dem wir Leben. Das als Chance für tolle neue Geschichten und als Markt zu übersehen ist schlichtweg dumm. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das Publikum von morgen einen noch größeren Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte haben wird als das schon heute der Fall ist. Vielleicht könnte man auch mehr Interesse an Produktionen aus Deutschland im Ausland wecken, wenn unsere Geschichten nicht die ewig gleichen wären und noch ein bisschen mehr Abwechslung in unsere Filmlandschaft kommen würde.
Unabhängig von der Chance die der Markt bietet, braucht Deutschland eine Erzählung die die Bevölkerung versöhnt und ein neues Selbstverständnis von Deutschland schafft. Eine Idee von unserem Land in dem die jungen Leute die in Zukunft die Arbeit leisten werden, von denen viele Migrationsgeschichte haben, auch Lust darauf haben die Renten der Alten zu bezahlen. 


**Streaming-Anbieter haben den Produktionsmarkt verändert – mehr Diversität, mehr mutige Stoffe, aber auch härterer Wettbewerb. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für unabhängige Produktionsfirmen in den kommenden Jahren und wie kann die Förderpolitik hier unterstützen?**

Zurzeit liegen die Herausforderungen darin, dass insgesamt weniger produziert wird und die Auftraggeber weniger Risiko eingehen wollen als in den letzten Jahren. Hier wird es daher auch schwieriger für Produktionsfirmen, die bis jetzt noch nicht beweisen konnten, dass sie in der Lage sind gute Ideen auch in gute Produkte zu verwandeln. Leider betrifft das auch viele diverse Produktionen. Ich habe ja bereits einen Vorschlag gemacht wie die Förderpolitik da helfen könnte. Wenn es allerdings nicht im Gesetz verankert ist, liegt es an Individuen in den bestehenden Institutionen, die eine gerechtere und authentischere Darstellung sehen wollen und diese Perspektiven unterstützen. Da ich selber einiger dieser tollen Menschen kenne, die in den unterschiedlichen Förderinstitutionen sitzen, bin ich zuversichtlich, dass sich die gute Sache auch gegen die bestehenden Hürden durchsetzen wird.



NRW@Berlinale: Tyron Ricketts: „Wir brauchen Geschichten aus marginalisierten Perspektiven“