Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Welche Produzententräume wollen Sie sich noch erfüllen?

Arthur Cohn: Jeder Film ist eine neue Herausforderung. Als Filmproduzent, der immer bestrebt war und es immer noch ist, denkwürdige Filme zu machen, kann man nicht auf den Lorbeeren ruhen. Man wird immer bemüht sein, Filme zu drehen, die so gut sind, dass sie nicht die vergangenen, erfolgreichen, hoch dotierten Filme in Frage stellen. Bei neuen Filmen habe ich deshalb die Befürchtung, sie könnten nicht so gut werden wie die alten. Es geht nicht nur darum, dass ein neuer Film an den alten gemessen wird, die alten können auch unter einem schlechten Neuen in ihrer Beurteilung leiden. Das ist meine große Sorge, und deshalb ist es immer ein richtiggehender Prozess, bis ich mich entschließe einen neuen Film zu machen.

BF: Wie haben Sie die Wegstrecke erlebt, die sie von 1962, ihrem ersten Oscar-Film "Sky above - Mud below" bis heute hinter sich gebracht haben?

AC: Es ist nicht so, wie es etwa die DVD-Collection nahelegt, dass ein Erfolg nach dem nächsten kommt. Man vergisst, dass jeder verantwortungsvolle, unabhängige Produzent parallel drei bis vier Projekte entwickeln muss, um sicher zu gehen, dass wenigstens eines über die Bühne geht, wenn man den Rhythmus von ein bis eineinhalb Jahren beibehalten will. Mit Blick auf die von Concorde herausgebrachte "[Die Arthur Cohn Edition](/movie/die-arthur-cohn-edition)" bedeutet das, dass auf die acht Filme, die dort zu sehen sind, 24 Projekte kommen, die unter den Tisch gefallen sind. Das finde ich einen wesentlichen Aspekt, wenn man die Leistung eines Produzenten einschätzen und würdigen möchte. Das Publikum, aber auch die Fachpresse nehmen die enorme Hingabe und das viele Geld, die mit den nicht gemachten Filmen zusammenhängen, überhaupt nicht wahr.

BF: Sind unter den 24 Stoffen, die nicht zur Vollendung gekommen sind, welche dabei, an denen sie weiter festhalten?

AC: Unter den 24 Stoffen sind vielleicht vier dabei, die ich später noch machen werde, von 20 habe ich mich schon definitiv verabschiedet.

BF: Ist es Ihnen mit wachsendem Renommee leichter gefallen, Projekte durchzusetzen?

AC: Es ist mir leichter gefallen, Filme auf die Beine zu stellen, aber nicht notwendigerweise, denkwürdigere Filme zu machen. Das ist immer eine Frage des Drehbuchs. Ich war immer der Meinung, dass das Drehbuch 50 Prozent des fertigen Films ausmacht, dass ein gutes Drehbuch von einem schlechten Regisseur nicht kaputt gemacht werden und ein schlechtes Drehbuch nicht von einem guten Regisseur gerettet werden kann. Meine Haupttätigkeit gilt immer dem Drehbuch. Die Entwicklung und das Finden einer originellen, ungewöhnlichen Thematik hat 0,0 mit Erfolg oder Misserfolg aus der Vergangenheit zu tun. Das Renommee hilft aber, ein tolles Buch umzusetzen, weil sich einige Leute sagen, der Mann hat sich bewährt. Zumindest werden meine Projekte von allen Studios ernsthaft betrachtet, und ich muss nicht betteln, dass sich jemand ein Buch anschaut.

"Die schöne Frau Seidenmann" mit Regina Ziegler

BF: Gibt es Themen, die Sie besonders faszinieren?

AC: Ich möchte schon immer einen Film über die Einsamkeit machen, weil ich der Meinung bin, dass 95 Prozent der Menschen einsam sind. Dabei keinen "Message-Film" zu machen und nicht zu langweilen, ist jedoch sehr schwierig. Außerdem schwebt mir ein Film vor, über die Tatsache, dass man sich im Leben alles kaufen kann, außer der Entscheidung, wann man stirbt - ein mystischer Film also über Leben und Tod. Die Theamtik habe ich dem Buch "The foolish Mortals" entnommen. Ich bin schon bei 13 Drehbuchfassungen angelangt, von denen aber keine gedreht wird.

BF: Gibt es weitere Projekte, an denen sie konkret arbeiten?

AC: Ich habe die Verfilmungsrechte von drei Büchern erworben. "Das etruskische Lächeln" von dem Spanier Jose Luis Sampredo, "La folle allure" von Christian Bobin und "The Ruined Map" von dem Japaner [Kobo Abe](/person/kobo-abe). Alle drei werden entwickelt, was gemacht wird, hängt von der Durchführbarkeit ab, vom Budget von den Darstellern, Regisseur, vor allem aber vom Drehbuch. Außerdem habe ich immer noch "Die schöne Frau Seidenmann" in petto, ein Filmvorhaben in Zusammenarbeit mit [Regina Ziegler](/person/prof-regina-ziegler). Das sollte schon über die Bühne gegangen sein, ist aber daran gescheitert, dass Regisseur [Sidney Lumet](/person/sidney-lumet) einen anderen Auftrag bekam. Jetzt suchen wir einen neuen Regisseur und die geeignete Hauptdarstellerin.

BF: Hängt ihr Herz stärker an der Dokumentar- oder an der Spielfilmproduktion?

AC: Ein Dokumentarfilm braucht viel mehr Zeit, ist viel aufwändiger und die finanziellen Resultate sind sehr viel kleiner. Bei "[American Dream](/movie/american-dream)" und "[One Day in September](/movie/one-day-in-september)" war das durch das Sujet und den Erfolg in den USA etwas anderes. Bei den Projekten die ich im Kopf habe, ist kein einziger Dokumentarfilm dabei.

BF: Hat es Sie nie gereizt, selbst Regie zu führen?

AC: Nein. Ich kenne meine Stärken und vor allem meine Schwächen. Ich habe nicht die Geduld und das Interesse für die Regiearbeit. mein Interesse gilt mehr dem Filmschnitt, dem Rhythmus des Films und natürlich dem Drehbuch.

"Ich bin kein Studio, sondern Einzelkämpfer"

BF: Wie funktioniert die Arthur-Cohn-Produktion?

AC: Ich bin ja kein Studio, sondern ein Einzelkämpfer, ich habe eine Sekretärin und zwei Lektorinnen. Ich halte die Infrastruktur klein, es sei denn, es wird gerade produziert, und dann habe ich natürlich ein spezifisch für die betreffende Produktion organisiertes Produktionsteam. Bis ein Drehbuch so befriedigend ausfällt, dass ich nicht befürchten muss, im Rückblick Reue zu haben, dass ich es nicht nochmals überarbeiten liess, geschieht überhaupt nichts. Dann und erst dann suche ich Regisseur und mit ihm zusammen Besetzung und Drehort.

BF: Wie sichern Sie als unabhängiger Produzent das finanzielle Risiko ab?

AC: Im Prinzip ziehe ich es vor, wenn ein neuer Film von Land zu Land jeweils an den am meisten geeigneten Verleiher vergeben wird, was natürlich nur möglich ist, wenn die Verleiher den fertigen Film sehen können und solchermaßen jener Verleiher ausgewählt werden darf, der sich am meisten für den Film engagieren wird. Gebe ich den Film an ein Studio für viele Ländergruppen, und der Film ist ein Erfolg in Japan, in Deutschland jedoch ein Misserfolg, dann werden die Kosten, die in Deutschland entstanden sind, von den Gewinnen in Japan abgezogen. Ich ziehe aber eine Abrechnung pro Land vor. Die Mischabrechnung bei Studios führt dazu, dass man an einem Film nur selten verdienen kann. Auf der anderen Seite gibt es internationale Filme, die privat kaum zu finanzieren sind oder bei denen ich das Risiko privater Finanzierung nicht auf mich nehmen will. Ich sehe dann auch kein Problem darin, auf ein Studio zuzugehen. Ich bin ja mit zwei, drei Studios in Hollywood eng befreundet.

BF: Finanzieren Sie ihre Filme auch über Fondsgelder?

AC: Fondsgelder sind sehr schön und sehr wichtig, aber sie sind immer mit sehr starken Auflagen verbunden. Auflagen, wann der Film fertig sein muss, Auflagen im Zusammenhang mit der Herstellung. Wenn möglich, mache ich Filme ohne Fondsgelder, weil ich dann freier in den Entscheidungen bin. Wenn ich einen deutschen Film mache, ist das völlig undenkbar. Bei einem internationalen Film, der gar nicht in das deutsche Bild als Koproduktion fällt, ist es etwas anderes.

BF: Welche Bedeutung spielen weitere Märkte wie DVD für die Finanzierung ihrer Filme?

AC: Es spielt keine konkrete Rolle für die Finanzierung, sondern dient als zusätzliche Einnahme, insofern als viele Video-Einnahmen in DVD-Einnahmen übergegangen sind. DVD ist natürlich bleibender als Video. Das Verleihgeschäft ist dagegen bei DVD noch nicht so stark entwickelt. Deshalb ist DVD viel einkommensträchtiger und finanziell interessanter.

BF: Lassen Sie uns über die DVD-Collection von [Concorde](/company/concorde-home-entertainment-gmbh), die "Arthur Cohn Edition", sprechen.

AC: Ich bin sehr angetan von der DVD-Collection. Sie ist von Concorde sehr liebevoll zusammengestellt worden. Man spürt, dass enorm viel Kleinarbeit dahintersteckt. Das schöne daran ist, dass auch junge Generationen die Möglichkeit haben, Filme wie "Black and White in Color" oder "The Garden of the Finzi Continis" zu sehen. Übrigens werden in diesem Jahr noch die meisten der Filme der DVD-Collection von Concorde Home Entertainment in Amerika herausgebracht, und zwar einerseits von TriStar und andererseits von der renommierten Janus Collection.

BF: Treten Sie gelegentlich auch als Kofinanzier von Projekten auf, die aufgrund von Finanzierungslücken nicht umgesetzt werden können?

AC: Ich ziehe es vor, die Projekte von Grund auf zu entwickeln. Aber manchmal erhalte ich eine konkrete Idee, wie von Regisseur [Kevin McDonald](/person/kevin-mcdonald) zu "One Day in September". Ich habe von Anfang an darauf Wert gelegt, dass wir um der Authentizität willen, einen dokumentarischen Spielfilm drehen werden. Und dafür mussten wir die Leute bekommen, die 1972 beteiligt waren wie den damaligen Innenminister Genscher, den Polizeichef Schreiber, den Chef vom israelischen Geheimdienst, Zamir und den einzigen noch lebenden Terroristen, Jamal Al Gashey, der in Afrika aufgespürt wurde. Ich konnte alle beschaffen, nur nicht Al Gashey, denn ich hatte keine Kontakte zur PLO. Die hatte jedoch Kevin McDonald. Er brachte den Terroristen, und ich war ihm sehr dankbar, denn das war entscheidend für die Ausgewogenheit des Films, der privat und ohne Vorverkäufe finanziert wurde.

"Mehr Rücksicht auf Amerika nehmen"

BF: Ihr Credo ist das, des unabhängigen Produzenten. Ist das ein Wert ansich?

AC: Es ist kein Widerspruch, in Amerika ein unabhängiger Produzent zu sein. Dass ich der einzige europäische Produzent bin, der einen Stern auf der Walk of Fame bekommen hat, dass ich als Schweizer der einzige Filmemacher bin, der an der Boston University den Ehrendoktor-Titel bekommen hat, das ist bizarr, vielleicht auch unverdient. Aber das sind Zeichen für die Anerkennung, die ich in den Vereinigten Staaten genieße, die ich hier in Europa jedoch trotz einiger Preise nicht habe.

BF: Sie suchen Stoffe aus, die sehr speziell sind, die aber gleichzeitig international Interesse finden.

AC: Wenn man als Unabhängiger einen Film entwickelt, geht das zwei Jahre. Dann muss man ein Sujet haben, das so "unkommerziell" ist, dass es kein anderer macht, ein Buch dass besonders originell oder einmalig in seiner Art ist. Ich konzipiere meine Filme so, dass der amerikanische Markt darauf anspricht. Wenn das der Fall ist, funktioniert ein Film auch international. Nehmen sie das Beispiel "The Garden of the Finzi Continis", der von 1000 Journalisten zu einem der 20 besten Filme aller Zeiten gewählt wurde. Dieser Film wurde weltweit von 36 großen Verleihern als unkommerziell und uninteressant abgelehnt. Erst als er einen Oscar bekam, hat er peu à peu Verleiher in der ganzen Welt gefunden. Die Verleiher sind weitgehend hollywood-hörig. Für mich ist deshalb immer der Eindruck entscheidend, ein Film könnte in den USA gut ankommen. Das hat nichts damit zu tun, dass mir die europäischen Märkte nicht wichtig wären. Aber der Erfolg in Frankreich oder in Italien bestimmt nicht den Gang eines Films in der Welt. Die europäischen Filmemacher müssten viel mehr auf Amerika Rücksicht nehmen, als sie es tun.

Oscar-Preisträger Arthur Cohn im Gespräch