Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Bevor Sie die Produzentin von Paul Thomas Anderson wurden, haben Sie vornehmlich im Horrorgenre gearbeitet und Filme wie "M.A.R.K. 13" oder "Lord of Illusion" produziert. Ist das eine Phase, die für Sie abgeschlossen ist?

Joanne Sellar: Auf keinen Fall. Ich liebe das Genre, auch wenn ich gestehen muss, dass ich kein großer Fan der gegenwärtigen Slasher-Movie-Welle bin. Wenn ich das richtige Skript hätte, würde ich sofort wieder einen Horrorfilm drehen. Nicht von ungefähr hatte ich früher in London, als ich als Programmiererin des kleinen Scala-Kinos einige Horrorfestivals und Artverwandtes organisierte, den Spitznamen "Queen of Gore". "New Line hat unsere Vision stets unterstützt"

BF: Was zieht Sie dann an Andersons Stoffen an?

JS: Er ist definitiv kein Horrorfan, das ist klar, aber mir gefällt, dass er sich in seinen Filmen mit der dunkleren Seite der menschlichen Seele beschäftigt.

BF: Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit ihm?

JS: Sehr kreativ. Wir haben eine gemeinsame Produktionsfirma, die wir nach "Boogie Nights" gegründet haben. Wir haben einen Vertrag mit New Line und wollen nicht nur Pauls Filme machen, sondern auch junge Talente fördern. Wenn Paul an einem neuen Stoff arbeitet, macht er das allein, aber er holt sich bei mir während des gesamten Prozesses Feedback und Anregungen.

BF: Wie reagiert man als Produzent, wenn der Regisseur eine Szene vorschlägt, in der es Frösche regnen soll?

JS: Ich war mir sicher, dass er den Verstand verloren hatte. Gleichzeitig dachte ich mir aber, dass es eine irre Szene sein könnte, wenn man sie gut umsetzt. Als Produzent stellt man sich natürlich die Frage, wie man so etwas überzeugend realisieren kann, ohne das Budget zu sprengen. Uns war klar, dass man den Film ruinieren würde, wenn die Frösche nicht echt wirkten. Aber das ist Pauls Geheimnis: Er hat das, was man cojones nennt.

BF: Muss man als Produzent nicht die Handbremse ziehen, wenn ein Regisseur ein 200-seitiges Drehbuch vorlegt?

JS: Wir befinden uns in einer glücklichen Situation: New Line hatte bereits "Boogie Nights" gemacht und war auf einen ähnlich epischen Stoff vorbereitet. Natürlich wäre es Produktionschef Michael De Luca lieber gewesen, wenn der Film kürzer wäre. Gleichzeitig hat er Pauls Vision stets unterstützt. Die Ironie war, dass Paul während der Postproduktion von "Boogie Nights" angekündigt hatte, er wolle als nächstes einen kurzen, intimen Film machen, den man in 30 Tagen abdrehen könnte. Die erste Drehbuchfassung von "Magnolia" war 196 Seiten lang. Ich sagte, dass das Skript toll, aber vielleicht etwas lang sei. Er stimmte zu, überarbeitete es und lieferte eine Fassung mit 195 Seiten.

BF: Und New Line hatte kein Problem damit?

JS: Nein. Man darf nicht vergessen, dass sich New Line mit "Boogie Nights" viel Lorbeeren verdiente. Und Paul ist ein sehr verantwortungsbewusster Filmemacher. Er dreht nicht mehr, als im Drehbuch steht. Und dadurch, dass er gern mit dem gleichen Team und den gleichen Schauspielern arbeitet, kann er sehr schnell drehen. Natürlich gefiel New Line, dass wir Tom Cruise für eine Nebenrolle gewinnen konnten. "Magnolia" kostete 30 Mio. Dollar - in Hollywood ist das fast schon Low Budget.

BF: Aber doch viel Geld, wenn man bedenkt, dass der Film unpopuläre Tabuthemen wie Kindesmissbrauch und Drogenabhängigkeit anschneidet.

JS: Das ist richtig, aber ich glaube, dass wir uns am Beginn einer Ära befinden, die mit dem Hollywood der siebziger Jahre vergleichbar ist. Eine Ära, in der Filmemacher wie Scorsese, Coppola oder Ashby sehr persönliche Statements abgaben, weit entfernt vom Heile-Welt-Klischee, das sonst so gern von den Studios gepflegt wird. Heute ist es ähnlich: Das Publikum hat die Nase voll von der Schönfärberei - und so kann man mit unbequemen Filmen wie "American Beauty" oder "Magnolia" durchaus Geld machen. Und das ist es, was immer schon gezählt hat in Hollywood - und immer zählen wird.

Produzentin Joanne Sellar über "Magnolia'