Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Erstmals schrieben Sie nicht das Drehbuch. Eine große Umstellung?

Fatih Akin: Man muss sich so lange mit dem Drehbuch auseinander setzen, bis man das Gefühl bekommt, es ist Teil von dir. Ein Prozess, den man beim Selbstschreiben nicht hat. Ich bin offen für spannende Drehbücher und kein [Woody Allen](/person/woody-allen), der jedes Jahr ein Buch hinballert. Die Vorlage von [Ruth Toma](/person/ruth-toma) war so gut, dass ich maximal zehn Prozent geändert habe, auch nur in Nuancen.

BF: Was reizte Sie am Thema?

FA: Schon beim ersten Lesen habe ich mich in die Figuren verliebt, die Epoche, die Kinder, die Bilder. Ich wusste, diesen Film will ich machen.

"Kommunikation jenseits der Sprache"

BF: Wie fanden Sie den nötigen Zugang zu den sechziger und siebziger Jahren?

FA: Viele Bekannte haben sie miterlebt und konnten mich beraten. Zusätzlich habe ich mir viele Dokus und Fotos angesehen. Der beste Schlüssel für das Verständnis war die Musik von Jimi Hendrix, Janis Joplin, Pink Floyd bis Ton Steine Scherben, aber auch Schlager.

BF: Machten Ihnen fehlende Italienischkenntnisse zu schaffen?

FA: In Italien fühlte ich mich sofort zu Hause, nicht wie in der Türkei, aber dennoch schien mir alles vertraut. Es gibt eine Kommunikation jenseits der Sprache. Nach und nach habe ich Italienisch gelernt und beim Schnitt konnte ich die Sprache, da musste ich jeden Satz 100 Mal hören.

BF: Ist es nicht ein kommerzielles Risiko, den Film größtenteils in Italienisch zu drehen?

FA: Um dem vorzubeugen, existiert noch eine zweite Version des Films in komplett deutscher Synchronisation.

BF: Vom Pott nach Italien, ein herber Wechsel?

FA: Die Dreharbeiten begannen im Ruhrgebiet, ich habe mich in Duisburg wohl gefühlt. Die Stadt wirkt zwar trist, ist aber optimal zum Drehen. In Hamburg kriegt man nur Ärger, die Leute wollen in Ruhe gelassen werden. In Duisburg hat man sich Arme und Beine ausgerissen, uns zu helfen.

BF: "[Kurz und schmerzlos](/movie/kurz-und-schmerzlos)" spielte im Kleingangster-Milieu, "[Im Juli](/movie/im-juli)" ist eine Lovestory, "Solino" eine Gastarbeiter-Geschichte. Wollen Sie sich nicht auf ein Genre festlegen?

FA: Ich stehe noch am Anfang meiner Karriere und nutze die Möglichkeit, zu lernen und auszuprobieren. Mein Ziel ist es, irgendwann mal der bestmögliche Filmemacher zu werden, der ich sein kann. Der eigene Stil kommt früher oder später von selbst.

BF: Woher kommt Ihr Hang zum Neorealismus in "Solino"?

FA: Bei "Kurz und Schmerzlos" orientierte ich mich am New Hollywood Cinema von [Martin Scorsese](/person/martin-scorsese). Mit "Solino" hatte ich die Gelegenheit, das Kino zu untersuchen, mit dem Scorsese groß geworden ist, den italienischen Neorealismus. Ich konnte mich mit den Vorbildern meiner Vorbilder auseinander setzen. Der Neorealismus lebt von der Kargheit der Bilder, die dennoch Kraft ausstrahlen. So sieht man dem Film nicht an, dass er unterfinanziert ist.

BF: Das geplante Budget von 7,5 Mio. Euro wurde auf fünf heruntergeschraubt. Was fiel den Sparmaßnahmen zum Opfer?

FA: Das Buch musste gekürzt werden, mit Tränen in den Augen haben wir einige schöne Sachen rausgeworfen. Dann habe ich versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, habe auf Hintergründe und Details verzichtet und mich auf das fokussiert, was ich wirklich erzählen wollte. Deswegen ist der Film von den Figuren her so dicht geworden.

BF: Bis auf "Wir haben vergessen, zurückzukehren" hat [Wüste-Film](/company/wueste-film) Ihre Filme produziert.

FA: Und das wird auch erst mal so bleiben. Mit [Ralph Schwingel](/person/ralph-schwingel) und [Stefan Schubert](/person/stefan-schubert) habe ich zwei Produzenten, die den Mut haben, alles auf eine Karte zu setzen, auch wenn fünf Mio. Mark weniger da sind. Trotz Druck lässt man mich in Ruhe, schenkt mir Vertrauen. Und das seit meinem ersten Kurzfilm 1995.

BF: Nach "Im Juli" spielt [Moritz Bleibtreu](/person/moritz-bleibtreu) wieder in "Solino" mit. Auch eine Entscheidung mit Blick auf die Kinokasse?

FA: Ich arbeite gerne mit ihm zusammen, er ist ein Freund von mir, wir werfen uns beim Arbeiten die Bälle zu. Wenn es Stress gibt beim Drehen, bin ich für ihn da und er für mich. Er ist einer der besten Schauspieler und er bringt Zuschauer ins Kino. Was kann mir Besseres passieren?

BF: Fühlen Sie sich unter Erfolgszwang?

FA: Der Druck, auch der kommerzielle, wächst. "Im Juli" war ein Erfolg. Man möchte nicht unter dem bleiben, was man schon erreicht hat. Ich lerne, damit zu leben. Ich werde aber immer wieder mal kleinere Filme drehen.

BF: Was kommt als Nächstes?

FA: "[Gegen die Wand](/movie/gegen-die-wand)", der erste Teil meiner Trilogie "Liebe, Tod und Teufel". Die Hauptrolle spielt [Birol Ünel](/person/birol-uenel), Moritz Bleibtreu hat einen Cameo-Auftritt. Drei Liebesgeschichten über zwei Menschen, die sich sehr lieben und es nicht schaffen, zusammenzukommen. Ein Drama, ein Western und ein Thriller. Ich hoffe, der Dreh kann im Februar beginnen.

Regisseur Fatih Akin zu "Solino"