Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Wie in "Falling Down" zieht auch in "8 MM" ein Einzelner gegen das Böse zu Felde. Ist Selbstjustiz ein Phänomen, das Sie besonders interessiert?

Joel Schumacher: Vielleicht sieht es so aus, doch ich halte sie für Anarchie, die ich nicht ernsthaft befürworte. Man hat mir auch anläßlich von "Die Jury" diesen Vorwurf gemacht, wenn Samuel Jackson den Mörder seiner kleinen Tochter erschießt. Aber selbst in Mythen und klassischen Dramen schreiten die Helden irgendwann zur Tat. Shakespeare-Tragödien leben von Rache. In "Hamlet" gibt es mindestens neun Tote auf der Bühne. Die Geschichten heute können schließlich nicht mit dem Ruf nach der Polizei enden. Mich interessiert der auslösende Augenblick der Wahrheit: Wenn man plötzlich da steht mit einer geladenen Waffe, muß man sich entscheiden. Und man muß aufpassen, daß man, wenn man das Monster tötet, nicht selbst zum Monster wird.

BF: Man kann immer noch problemlos Pistolen kaufen in den USA?

Joel Schumacher: Auf der Straße bei irgendeinem Gangkid. Oder in Waffengeschäften für Jagdwaffen, die wie Supermärkte sind, es muß viel totes Wild geben in Amerika. Die Wirklichkeit ist, wir leben in einem Land, in dem Waffen und Geld Gott sind. Es gibt über 200 Millionen Schußwaffen in den USA, mehr als erwachsene Einwohner. Die puritanische Verlogenheit im Hollywood-Mainstream ist gigantisch. Man kann 500 Menschen in einem Film töten, aber keine nackte Person von vorne zeigen, da kann einen der Schlag Gottes treffen!

BF: Aber Sie haben mit Ihren Filmen einen festen Erfolgsplatz im Mainstream-Kino.

Joel Schumacher: Ich habe das Glück, in einer Position zu sein, wo man mir Filme anbietet. Und Andrew Kevin Walkers Drehbuch zu "8 MM" fand ich mutig, endlich ein Stoff, der anders ist als die Kopie der Kopie der Kopie, die heutzutage einen Film wie den anderen aussehen läßt. Ich mußte raus aus diesem Sommer-Blockbuster-Ding, in dem ich mit "Die Jury" und "Batman & Robin" festhing. Mir war klar, daß "8 MM" kontrovers aufgenommen wird, aber das reizte mich ebenso wie die Arbeit mit Nic Cage, der keine Angst hat, der ein Schauspieler ohne dumme Image-Neurosen ist. Die Arbeit mit Schauspielern gehört für mich zum spannendsten beim Filmemachen, und mit Bedacht habe ich Nebenrollen bei "8 MM" mit unbekannten Leinwandgesichtern besetzt.

BF: Sie haben betont, wie gern Sie zur Abwechslung einen kleinen Film drehen würden.

Joel Schumacher: Wir haben "8 MM" auch so gedreht, und im Studiosinn war er mit einem Budget zwischen30 und 40 Mio. Dollar auch nicht teuer. Am Ende waren wir sogar noch drei Mio. unter dem Budget. Wir haben keine aufwendigen Sets gebaut, sondern fast nur vor Ort gedreht, hatten keine Spezialeffekte und außer Cage keine Stargagen. Aber wenn man im Studiosystem einen Film macht, muß man den ganzen Apparat bezahlen. Das Durchschnittsbudget eines Hollywood-Films beträgt heute 70 Mio. Dollar, das ist Wahnsinn. Und die Budgets steigen weiter. Das bedeutet, die Stories müssen immer gefälliger werden, sie müssen möglichst jedem auf dem Planet Erde gefallen. Wenn man versucht, jedem zu gefallen, gefällt man garantiert niemandem.

BF: Wem möchten Sie gefallen?

Joel Schumacher: Einem Publikum - es ist grundsätzlich cleverer als die großen Mainstream-Routiniers zu wissen meinen -, das sich für Geschichten von Menschen in ungewöhnlichen und extremen Situationen interessiert und Lust auf Entdeckungen von Gedanken und Gefühlen hat. Ich habe gerade einen neuen, kleinen Film abgedreht, zu dem ich auch das Originaldrehbuch geschrieben habe: "Flawless" mit Robert DeNiro in der Hauptrolle, produziert von DeNiros Tribeca und mir, für ein Budget von höchstens 15 Mio.

Regisseur Joel Schumacher zu '8 MM'