Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sie sind als einziger deutscher Spielfilm-Regisseur nach Venedig eingeladen worden. Wie fühlen Sie sich?


Werner Herzog: Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen nach Venedig, weil ich keine Festivalfigur sein will, sondern Filme fürs Publikum mache. Ich fasse den Jubel darüber, dass jetzt ein deutscher Film in Venedig läuft, nur mit der Kneifzange an.


BF: "Invincible" beruht auf der wahren Geschichte des jüdischen Schmieds Zishe Breitbart aus Ostpolen, der im Berlin der dreißiger Jahre zum Missfallen der Nazis als stärkster Mann seiner Zeit Furore machte. Wie sind Sie darauf gestoßen?


WH: Durch einen seiner direkten Nachfahren in den USA, der über 30 Jahre Briefe, Zeitungsausschnitte usw. über seinen starken Vorfahren gesammelt hatte. Als ich dazustieß, gab es schon ein extrem schlechtes Drehbuch und ich sagte sofort nein. Aber die Geschichte ließ mich nicht in Ruhe, einige Tage später rief ich an und fragte, habt ihr den Nerv, diese Investition, so wie sie ist, in den Abfalleimer zu werfen. Ich habe das Drehbuch in zehn Tagen selbst geschrieben und die Produktion an mich gerissen. Noch bevor ich wusste, wer meine Koproduzenten sein würden, stieg Fine Line als US-Verleiher ein, 30 Minuten nach der Lektüre des Drehbuchs.


BF: Als Produzent arbeiten Sie wieder mit [Tatfilm](/company/tatfilm) zusammen.


WH: Es ist die logische Fortsetzung der Arbeit an "[Mein liebster Feind](/movie/mein-liebster-feind-klaus-kinski)" und hat auch gut funktioniert. Das muss nicht für alle Zukunft so sein, aber es gibt Projekte, wo bestimmte Allianzen sinnvoll sind.


BF: Dazu kamen ja noch Little Bird und Film Four.


WH: Es war nicht einfach. Nicht, weil die andere Wünsche hatten, sondern da ich dadurch die Produktion auf verschiedene Schauplätze verlagern musste, wie beispielsweise die gesamte Sound-Postproduktion von Ton, Mischung und Synchronisation nach England, das Kopierwerk war in Nordrhein- Westfalen - wegen der Förderung. Geschnitten wurde in San Francisco, die Musik in Los Angeles komponiert, während wir in London arbeiteten. Und die Dreharbeiten fanden auf Christmas Island im Indischen Ozean, in Lettland und Litauen statt - kei-ne einfache, sondern vielmehr eine generalstabsmäßige Koordination.

"Nur eine gute Kinogeschichte zählt"


BF: Zehn Jahre lang erhielten Sie keine Förderung, seit "Mein liebster Feind" ist das anders. Sprachen die Förderer - [NRW](/company/film-und-medienstiftung-nrw), BKM und [FFA](/company/ffa-filmfoerderungsanstalt) - sofort auf das Thema von "Invincible" an?


WH: Ein Thema hilft gar nichts, es zählt nur eine gute Kinogeschichte. Das zweite ist die Frage, ob das Projekt auch kalkulierbar ist, wie solide die Partner sind, die sich für den Film zusammengefunden haben.


BF: Wie haben Sie den stärksten Mann der Welt, Jouko Ahola, entdeckt?


WH: Ich habe die Wettbewerbe verfolgt, Videos gesichtet, ungefähr 100 Männer angeschaut. Es war von Anfang an klar, dass ich nicht einen Schauspieler nehme, der nur ein paar trainierte Muskeln hat und bei dem man im ersten Moment sieht, dass er nicht 900 Pfund stemmt, sondern ein Stück Styropor. Da darf keine Glaubwürdigkeitslücke entstehen, schon ein Fünfjähriger erkennt den Unterschied.


BF: Wie war die Arbeit - auf der einen Seite Tim Roth als Vollprofi, auf der anderen Jouko Ahola als Laie?


WH: Mit dem Begriff Laie muss man vorsichtig sein. Tim Roth gehört zu den besten Schauspielern der Welt und kam nach zwei Tagen zu mir und sagte, er müsse das Letzte geben, um mithalten zu können. Sonst gehe er unter.


BF: Gibt es einen Bezug zur Gegenwart?


WH: Natürlich mache ich keine Filme über historische Ereignisse, die heute keinen Menschen mehr interessieren. Ich bin ein Geschichtenerzähler und ich glaube, ich kann auch Kinogeschichten besser erzählen als die meisten in Hollywood. Da kennt man sich aus mit Special Effects, großen Stars und einem außergewöhnlichen Produktions- und Vertriebssystem, aber das Storytelling kommt dort ein wenig zu kurz.


BF: Welche Rolle spielt die Musik in "Invincible"? Immerhin ist [Hans Zimmer](/person/hans-zimmer) dafür verantwortlich.


WH: Hans Zimmer ist der größte lebende Filmkomponist, und ich glaube, für "Invincible" hat er das Beste seit langem komponiert. Er, der für eine Großproduktion um die 1,5 Mio. Dollar erhält, hat mir die Musik zum Geschenk gemacht, sogar aus eigener Tasche das Orchester, das Studio, den Chor und die Mischung bezahlt, das sind noch einmal ein paar hunderttausend Dollar. Das ist einzigartig in der Branche. "Fitzcarraldo" hat damals sein Leben von einer Stunde auf die andere verändert. Nach dem Film hat er seinen Job gekündigt, weil er sah, dass es jemanden gibt mit Mut zu seinen eigenen Träumen.


BF: Welche Träume oder Projekte haben Sie noch? Könnten Sie sich vorstellen, wieder mal in Deutschland zu drehen?


WH: Ich habe vier Spielfilmprojekte, ich komme nie richtig hinterher. Wo oder in welcher Sprache man dreht, halte ich nicht für so wichtig. Ob ich in Patagonien oder in der Sahara drehe, meine Kultur habe ich nie verlassen.

Werner Herzog zu seinem neuen Film "Invincible"