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Blickpunkt:Film: Vor ein paar Stunden waren Sie noch in New York. Wie hat sich das Leben dort verändert?


Woody Allen: Nach einer Woche unendlichen Schreckens macht sich jetzt eine allgemeine Stimmung breit: wieder zur Normalität zurückzukehren, im ganzen Land und speziell in New York. Die Kinder gehen wieder zur Schule, die Erwachsenen zur Arbeit, Wall-Street macht Geschäfte, Theater, Football- und Baseball-Spiele fangen wieder an. Auch wenn der Terror-Akt mit über 5000 Toten ein schmerzlicher Einschnitt in unser Leben ist, wir müssen damit umgehen.


BF: Aber wie?


WA: Ich kann nur an die Vernunft appellieren und hoffe, dass nicht die schiere Emotionalität gewinnt. Wir stehen vor einem sehr komplexen Problem. Es schallt der Ruf nach Gerechtigkeit, wir wollen wissen, warum jemand so handelt, warum Menschen 5000 andere Menschen kaltblütig umbringen - Christen, Moslems, Juden sind betroffen, über 60 Nationen beklagen Opfer jedweder Hautfarbe.


BF: Wie gehen die New Yorker mit dem Grauen um?


WA: Wir möchten die Wahnsinnstat erklärt wissen. New Yorker sind hart im Nehmen. Als das Unfassbare geschah, stand das Herz der Stadt für einen Moment still, dann fing es wieder an zu schlagen. Es herrschte plötzlich ein großer Gemeinsinn. Die Menschen spendeten Blut, Freiwillige meldeten sich für Aufräumarbeiten, der Bürgermeister machte einen tollen Job. Er erinnert mich an einen Preisboxer, der die Instruktionen für den Kampf bekommt und noch während er sie liest, schlägt ihn einer unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Er benötigt nur wenig Zeit, seine Kraft wiederzufinden. Das Leben geht weiter, wir müssen maßvoll reagieren. Vernunft, Disziplin und Mitgefühl sind gefordert.


BF: Was kann man gegen den Terror tun?


WA: Erst einmal nicht nur losbombardieren. Der Terror betrifft nicht nur Amerika oder New York, sondern den Rest der Welt. Es kann jeden treffen. Es geht nicht um einen religiösen Impetus, sondern um willkürliche Gewalt. Die militärische Komponente darf nur eine Option unter mehreren sein. Wir müssen die Beweggründe für so eine entsetzliche Tat herausfinden.


BF: Wie haben Sie von dem Anschlag erfahren?


WA: Ich war zu Hause in der Küche. Da kam ein Nachbar und sagte, schalte das Fernsehen ein, ein Flugzeug ist ins World Trade Center gekracht. Erst dachte ich an einen Unfall. Aber als ich dann das zweite Flugzeug sah, wusste ich, das ist ein Terroranschlag.


BF: Was war Ihre erste Reaktion?


WA: Ich war schockiert, aber nicht überrascht. Wir in Manhattan reden schon seit Jahren über eine mögliche Terror-Attacke, es kursieren sogar zynische Witze darüber. Zwei Dinge schockierten besonders: die dramatische Größenordnung und die Irrationalität des Handelns. Niemand, wahrscheinlich auch nicht die Terroristen, konnte sich vorstellen, dass die beiden WTC-Tower wie ein Kartenhaus zusammenstürzen würden. Bei der Gewalt in Irland oder Palästina gibt es einen Feind, ein Ziel. Hier war es einfach eine Wahnsinnstat. Ich halte es für eine furchtbare Ironie, dass diese Terroristen, die die amerikanische Kultur wie sie durch Hollywood repräsentiert wird, hassen, genau dem schlimmsten Film-Szenario nacheifern. Als hätten sie sich die Bösen aus einem James Bond zum Vorbild genommen.


BF: Präsident Bush redet von einem langen Kreuzzug. Was halten Sie davon?


WA: Ich bin froh, dass Bush nicht den Cowboy spielt, wie es manche vielleicht wünschen. Natürlich sind die Menschen bei uns wütend und fordern eine schnelle Bestrafung der Täter. Die Terroristen hatten den dramatischen Überraschungseffekt auf ihrer Seite, eine ruhige und langsam anlaufende Reaktion ist nicht sexy.


BF: Schwappt jetzt eine Welle von Patriotismus über Amerika?


WA: Im vergangenen Jahr entzweiten die umstrittensten Wahlen die Nation. Jetzt sind wir plötzlich wieder zusammengerückt, weil ein unbekannter Feind unsere Art zu leben in Frage stellt und uns im Innersten getroffen hat. Da muss man alte Konflikte um den Raketenschutzschild, um unterschiedliche Sichtweisen in Ökologie und Ökonomie erst einmal zurückstellen. Ich war George W. Bush immer kritisch gegenüber eingestellt, jetzt müssen wir ihn unterstützen, außer er handelt ganz falsch. Die amerikanische Regierung besteht auch nicht nur aus Bush, wir haben ein Kabinett, Senatoren, den Kongress. Ich hoffe, es gibt genug Information und Transparenz, um eine vernünftige Entscheidung zu fällen. Manchmal holt eine Krise das Beste aus einem heraus. Warum nicht auch bei Bush?


BF: Wann kehrt der Alltag wieder ein?


WA: Die Leute werden irgendwann wieder die gleiche Musik hören und Literatur lesen, sich verlieben und wieder trennen, mit alten Problemen kämpfen. Das Gesicht der Nation wird sich nicht gravierend ändern. Wir sind ein zu großes Land. Der Terroranschlag war ein schmerzhafter Schnitt. Aber in ein, zwei oder fünf Jahren wird die Welt das Problem Terrorismus vielleicht gelöst haben. Die Menschen wollen nicht in Schrecken leben.


BF: Manhattan spielt in Ihren Filmen eine große Rolle. Wie sieht die Skyline in Zukunft bei Ihnen aus?


WA: Meine Filme sind mit New York und seiner Kulisse verflochten. Sie wird anders aussehen, aber daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Woody Allen zum Terroranschlag in New York