Blickpunkt:Film

Reviews

Der Schweizer Filmemacher [David Bernet](/person/david-bernet) wurde für „Democracy – Im Rausch der Daten“ mit dem Deutschen Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde. Er blickte darin hinter die Kulissen der Rechtsprechung in der EU. In seinem neuen Dokumentarfilm „[Solidarity](/movie/solidarity)“ fokussiert er sich auf das Engagement einer weltweiten Organisation, des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, und der Widersprüchlichkeit des Begriffs Solidarität.

Es ist ein sehr persönlicher und journalistischer Blick. Bernet ist als Voiceover präsent. Er startet seine Recherche 2021 an der Grenze von Polen zu Belarus, an der „Green Border“, an der etliche Migrant:innen ihren Tod fanden. Agnieszka Holland beleuchtete die unerträgliche Situation dort in ihrem gleichnamigen Drama. Bernet zeigt Polinnen, Freiwillige, die sich um einfachste Gräber der Flüchtenden bemühen, und stellt seine charismatische Hauptprotagonistin Marta Siciarek vor, einer Menschenrechtsaktivistin, die sich in Danzig um die Integration von Flüchtlingen bemüht.

Der Krieg in der Ukraine bildet den Hintergrund für den größten Teil des Filmes. U.a. die enorme Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im Nachbarland Polen wird geschildert. Der Krieg in Gaza wird am Ende kurz angerissen. Die Lage dort hat sich seitdem unglaublich verschlechtert. Mit der Aktualität der Nachrichten kann Bernet nicht mithalten. Sein Film stellt vielmehr übergreifende Fragen zur Migration und Migrationspolitik im Allgemeinen. Er weist auf die Zwiespältigkeit der Solidarität hin, die es spontan meist nur für eine Seite, für eine Gruppe, der man sich nahe, verbunden fühlt, gibt, und die einen Konflikt damit auch noch schüren kann – wie in Gaza. Oder wie in Europa, wo Solidarität und Hilfsbereitschaft den Geflüchteten aus der Ukraine mehr entgegengebracht wird als jenen aus afrikanischen und arabischen Regionen.

Bernet begleitet bzw. lässt professionelle Aktivist:innen, die sich der globalen Solidarität verschrieben haben, zu Wort kommen. Eindrücklich wird die auch zitierte Sisyphos-Arbeit der Mitarbeiter:innen bzw. auch der Chefetage des UNHCR deutlich, vertreten u.a. durch Christine Goyer  und Gillian Triggs oder deren Chef, UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi, deutlich.

Siciarek merkt an, dass die anfängliche Hilfsbereitschaft der Freiwilligen auch irgendwann zurückgeht, dass sie sich nicht überarbeiten dürfen, auch dass die Stimmung unter der einheimischen Bevölkerung umschlagen kann, egal wo. Sie kämpft darum, dass die Unterstützung Geflüchteter langfristig gilt, und dass sie schnell integriert werden. Dafür müssen öffentliche Strukturen implementiert bzw. umgesetzt werden bzw. erst Ideen und Konzepte gefunden werden, ja überhaupt erst ein Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen werden, bei Menschen jeglicher politischer Couleur.

Im Film spricht ein Geflüchteter im Libanon, dem Land, in dem die meisten Migrant:innen im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung aufgenommen werden, über die Perspektivlosigkeit nach 12 Jahren im Lager. Das Land, die Regierung, die Verwaltung sind ebenso überfordert wie private Freiwillige.

Die Produktion von [Arek Gielniks](/person/arek-gielnik) [Indi Film](/company/indi-film) mit [Samirs](/person/samir) Zürcher [Dschoint Ventschr](/company/dschoint-ventschr-filmproduktion-ag) wurde beim Dokfest München und beim Kinofest Lünen vorgestellt und zeigt auf, wie dringlich es ist, Konzepte zu denken und systemische Strukturen aufzubauen, um mit der zunehmenden Zahl von Flüchtenden und Verfolgten umzugehen, die sich auch nicht durch Abschreckung, Kriminalisierung usw. stoppen lässt. Der engagierte Film kommt ohne erhobenen Zeigefinger, zumeist ohne Überdramatisierung aus, sondern regt zum Nachdenken und Diskutieren an.

*Heike Angermaier*



REVIEW KINO: „Solidarity“