Blickpunkt:Film

**Herr [Gottschalk](/person/johannes-gottschalk), vor einem halben Jahr hat [LaCinetek](/company/la-cinematheque-des-realisateurs) sein Abo-Modell in Deutschland gestartet. Wie haben Sie die ersten Monate persönlich erlebt?**

Die ersten Monate waren natürlich sehr intensiv und aufregend für mich und vergingen tatsächlich im Flug. Es war einfach schön nach langer Vorbereitung und dann doch relativ vielen Gesprächsrunden mit den deutschen und österreichischen Partnern das Angebot zu launchen. Es war von Anfang an ein Anliegen unserer Gründer:innen (dem französische Verein, der von [Pascale Ferran](/person/pascale-ferran), seiner aktuellen Präsidentin, und [Laurant Cantet](/person/laurent-cantet) gegründet wurde), das Angebot über die französischen Grenzen hinaus anzubieten. Wir sind stolz, dass es jetzt auch in Deutschland und Österreich soweit ist. Wir wollen unser Angebot mit Hilfe unser Abonnent:innen in Zukunft ausbauen.

**Der Medienmarkt in Frankreich funktioniert gerade bezüglich Streaming-Rechten anders im Kontrast zu den europäischen Nachbarn. Mussten Sie Anpassungen für den deutschsprachigen Markt vornehmen?**

Prinzipiell hatten wir den Eindruck, dass auch in Deutschland – ähnlich wie damals in Frankreich – durchaus Raum für eine stark kuratierte Plattform existiert, die sich dem Filmerbe widmet. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Diesem ursprünglichen Modell wollten wir möglichst treu bleiben. Das besteht natürlich darin, erstens ausschließlich Filme anzubieten, die uns zuvor von renommierten Regisseur:innen empfohlen wurden, und zweitens das Online-Angebot insgesamt zu stärken, indem wir mehr bedeutende Filme, die man teilweise nicht oder bislang sehr schwierig online oder im Fernsehen sehen konnte, verfügbar zu machen. Ich denke schon, dass unser Publikum in den fünf Ländern, in denen wir jetzt zu sehen sind (Frankreich, Deutschland, Österreich, Belgien, Luxemburg) an sich gar nicht so grundverschieden ist. Wir sprechen ein Publikum von jung bis alt an, die Lust haben, die großen Werke des Kinos entweder neu- bzw. wieder zu entdecken. Die Unterschiede reduzieren sich also eher aufs Programm. Das heißt in Deutschland nehmen wir natürlich mehr Bezug auf die Aktualität in vor Ort. Beispielsweise arbeiten wir in Deutschland aktuell an einem Special anlässlich dem 100. Geburtstag von [Konrad Wolf](/person/konrad-wolf). 

**In den letzten Jahren haben sich einige Arthouse-Streamer im Markt etabliert. Wie heben Sie sich von der Konkurrenz ab?**

Erstmal ist die Filmauswahl für uns ein erheblicher Unterschied. Das heißt, dass wir nur Filme aufnehmen, die uns von internationalen Regisseur:innen empfohlen wurden. Unser Katalog, der die Filmempfehlung beinhaltet, stellt sich aus Titeln seit Beginn des Kinos bis zum Jahr 2015 (Gründungszeitpunkt von LaCinetek) zusammen. Das ist für uns die magische Grenze, wir halten immer einen 10-Jahres-Abstand ein. Darüber hinaus ist natürlich auch unsere interne Struktur als französischer Verein besonders. Wir haben also keine Gewinner-Absichten und fahren eher ein hybrides System. Das heißt, wir finanzieren uns aus einem Mix aus eigenen Umsätzen und aus europäischen Förderungsprogrammen. Dieser Umstand bietet uns die Möglichkeit, dann auch unbekanntere Titel hervorzuheben und zu präsentieren. Wir versuchen das Angebot zu vergrößern. Und das ist, denke ich, ein ganz fundamentaler Unterschied. Der Schwerpunkt liegt auf dem Film-Erbe. Wirklich, von Beginn des Kinos bis zum Jahr 2015. Daher ist in den nächsten Jahres erstmal das Ziel, das Streamingangebot zu etablieren und die Filmauswahl weiter auszubauen.Wir sehen uns eher als ein kleines filmbegeistertes Team aus Frankreich mit einer unabhängige Film-Plattform. In dieser Anfangsphase in Deutschland freuen wir uns vor allem erstmal auf das Feedback der Zuschauer:innen mit denen wir LaCinetek weiter ausbauen wollen. 

**Haben Sie in den ersten Monaten bereits Learnings mitnehmen können? **

Das sind bei uns tatsächlich viele technische Verbesserungen. Es geht um Verfügbarkeit – auch für weitere Endgeräten. Wir versuchen den technischen Aspekt zu verschlanken und zu vereinfachen. Das weitere Feedback, das wir erhalten, fällt durchaus positiv aus. Kunden und Kundinnen freuen sich wirklich, bestimmte Filme wiedergesehen zu haben, die sie vielleicht mal in ihrer Jugend oder in Retrospektiven im Kino gesehen haben. Wir wissen natürlich auch, dass wir ein Angebot haben, dass sich eher an ein cinephiles Publikum richtet. 

**Einer der Unique Selling Points von LaCinetek bilden die kuratierten Filme, die teilweise „verschollen“ waren und neu aufbereitet werden. Wie gestaltet sich euer Ansatz? Wie findet ihr die Filme? Mit welchen Partnern arbeitet ihr zusammen?**

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, Filmlizenzen zu finden. Das kann sich durchaus langwierig gestalten. Manchmal können wir daher auch einige Titel erst ein paar Monate später als geplant veröffentlichen. Wir veröffentlichen jeden Monat eine neue Liste mit 15 Empfehlungen. Insgesamt hilft uns vor allem unser Netzwerk bei der Suche. Wir sind mit über 100 Filmverleihen in Kontakt. Teilweise helfen uns auch die Regisseur:innen, die die Listen entwerfen. Wenn wir die Filmlizenz gefunden haben, stellt sich im Anschluss häufig die Frage nach dem Material. Beispielsweise trete wir auf die deutschen Filmkommissionen zu und Fragen, ob bereits deutsche Untertitel existieren. Bei älteren und selteneren Filmen, gehen wir häufig mit Regisseur:innen oder Produzent:innen in Kontakt oder sogar ihren Nachfahren. Im Austausch erfahren wir manchmal spannende Anekdoten aus erster Hand. Da ist dann auch der ein oder andere Dachbodenfunden dabei. In der Materialverwertung versuchen wir natürlich immer die Filme möglichst in bester Qualität wiederzugeben. Wir sind aber der Auffassung, dass wenn es den Film nur in SD gibt,  dass es sich lohnt es sich, hin auf SD zu zeigen. Besser ist es, den Film sehen zu können, als gar nicht. 

**LaCinetek zeichnet sich dadurch aus, dass Filmemacher:innen selbst kuratierend ins Programm eingreifen. Erleichtert dieser Ansatz die Programmgestaltung oder macht er sie sogar komplexer?**

Es ist natürlich so, dass dieser Ansatz einen klaren Rahmen für die Programmgestaltung liefert. So bildet sich ein reicher Pool von den Titeln dann eine Ausgabe für unser Abo-Angebot ausgewählt. Unser Team greift redaktionell ein bei aktuellen Anlässen, zu denen sich ein Programm anbietet. Komplexer ist natürlich, dass einige der Lieblingsfilme der Filmemacher unter Umständen nicht ganz so leicht finden sind. Das taucht vor allem bei internationalen Regisseurinnen auf, da diese teilweise durch Filme geprägt wurden, die selten oder gar nicht in Deutschland zu sehen waren. Für uns besteht ein großer Teil unserer Aufgabe darin, diese Filme zu lizenzieren und dann auch ausfindig zu machen. Beispielsweise hat Fatih Akin einige türkische Filme vorgeschlagen, auch ein paar kurdische. Bei solchen Fällen gestaltet es sich teilweise sehr schwer, die Personen auszumachen, die die Lizenz halten. Teilweise existiert kein deutsches Material, teilweise ist der Zustand des Materials beschädigt. Durch unsere stärkere Präsenz in Frankreich, wo wir sehr gut vernetzt sind, haben wir auch Kontakt, die uns bei der Suche helfen. 

**Müsst ihr in manchen Fällen die deutsche Übersetzung selbst vornehmen?**

Ja, teilweise. Das machen wir dann aber eher mit Filminstitutionen, die mit uns zusammenarbeiten, wo dann das Material häufig in englischer Sprache vorliegt. Aber sonst versuchen wir natürlich eher die Untertitel zu lizensieren und professionell zu verbessern. In der Vergangenheit hat zum Beispiel Arte mehrmals geholfen. Wir sind ein kleines Team. Es ist einfach sehr, sehr aufwendig, vernünftige professionelle Untertitel zu erstellen.

**Zu ihren Kooperatierungspartnern gehört auch die [Deutsche Kinemathek](/company/stiftung-deutsche-kinemathek). Wie gestaltet sich die bisherige Zusammenarbeit?**

Generell sind wir sehr dankbar für die Unterstützung der Deutschen Kinemathek. Die deutsche Kinematik hat uns von Anfang an tatkräftig dabei unterstützt, die LaCinetek auch in Deutschland zu starten. Wir sind der Auffassung, dass wir Werte und Ziele mit der Deutschen Kinemathek teilen. Und ein besonderer Gewinn ist für uns, dass sie auch bei unserer Rubrik der „Hidden Treasures“ mitmacht. Dort stellen die Filminstitutionen Teile ihrer Sammlung selbst vor. Mit Hilfe der Deutschen Kinemathek konnten wir unser Filmprogramm jedes Jahr erweitern. Es ist generell ein sehr spannender Austausch, weil wir dort die Experten für den deutschen Film vorfinden. Dadurch stoßen wir auf Titel, die wir teilweise selber noch gar nicht kennen. Die Deutsche Kinemathek ist aber nicht die einzige Institution, die bei uns mitmacht. Seit Beginn des Projekts 2015 ist es uns ein Anliegen, mit den großen nationalen Filmeninstitutionen zusammen zu arbeiten und uns zu vernetzen mit dem gemeinsamen das Ziel, das Filmerbe so weit wie möglich zu verbreiten und einem breiten Zielpublikum verfügbar zu machen. 

**Zum Abschluss eine persönliche Frage: Mit den von Regisseur:innen empfohlenen Listen greift LaCinetek auf einen ganz besonderen Wissensschatz zu. Haben Sie in den Programmlisten einen Favoriten gefunden? Gibt es einen Titel, den Sie persönlich empfehlen würden?**

Ein besonderen Stellenwert haben für mich natürlich die Listen von meinen Lieblingsregisseur:innen. Es ist spannend, herauszufinden, wie sie die Welt des Kinos sehen, und zu versuchen, zu verstehen, wo manche Ideen herkommen, welche Filme sie beeindruckt oder geprägt haben. Eine ganz besondere Liste ist sicherlich die von [Martin Scorsese](/person/martin-scorsese), der uns damals gleich zwei Listen abgegeben hat – also insgesamt 50 Filmempfehlung. Darin kann man auch wieder ein Zeichen seiner großen Cinephilie sehen. Ein häufig genannter Titel war unter anderem „Augen ohne Gesicht“ von [Georges Franju](/person/georges-franju), beispielsweise von [Jessica Hausner](/person/jessica-hausner), [Ryosuke Hamaguchi](/person/ryusuke-hamaguchi) und [David Cronenberg](/person/david-cronenberg). Für den Launch hatten wir „Eine schwedische Liebesgeschichte“ von [Roy Andersson](/person/roy-andersson) im Programm – einer meiner Lieblingsfilme, den, so habe ich das Gefühl, viele noch nicht kennen. Der Film wurde uns zuletzt von Sean Baker empfohlen. Im aktuellen Progamm zeigen wir vier Filme von Leida Laius. Darunter auch „Lach doch mal“, der bei den diesjährigen [Berlinale](/company/internationale-filmfestspiele-berlin) Classics lief – sehr sehenswert.

Johannes Gottschalk: „Die Filmauswahl macht den Unterschied“