Blickpunkt:Film

Kino

Mit „[22 Bahnen](/movie/22-bahnen)“ hat [Mia Maariel Meyer](/person/mia-maariel-meyer) den gleichnamigen Bestseller von [Caroline Wahl](/person/caroline-wahl) in einen Kinofilm übertragen. Wie sie dabei vorgegangen ist, was ihr Anliegen war, erzählt sie hier. Der Kinostart der [BerghausWöbke Filmproduktion](/company/berghauswoebke-filmproduktion)) ist am 4. September bei [Constantin Film](/company/constantin-film-verleih).

**„22 Bahnen“ basiert auf einer sehr bekannten Vorlage. Was ist in Ihren Augen das Besondere an der Prosa von Caroline Wahl?**

Caroline Wahl hat einen sehr besonderen Ton. Die Art, wie sie ihre Figuren beschreibt, wie ihre Figuren miteinander umgehen, ihr direkter Ton hat für mich eine große emotionale Kraft und großes Potential. In Deutschland sind wir oft ein bisschen verhalten, reserviert und ich finde großartig, dass Caro in „22 Bahnen“ so direkt ist und sich nichts schenkt. Ich möchte Filme machen, die Menschen tief berühren, die emotional etwas hinterlassen und die dürfen auch weh tun. Tilda wird einem hoffentlich noch lange im Herzen bleiben, wenn man den Film gesehen hat. Wie es nach der Lektüre des Buchs auch der Fall ist. 

**In dieser Emotionalität liegt vielleicht auch die Schwierigkeit. Wie sind Sie vorgegangen, um eine visuelle Entsprechung dafür zu finden?**

Ich begegne großer Emotionalität generell angstfrei und empfinde sie eher als inspirierend denn als schwierig. Respekt hatte ich allerdings davor, die besondere Tonalität des Buches zu treffen. „22 Bahnen“ hat eine einzigartige Atmosphäre – eine Mischung aus Schwere und Leichtigkeit. Diese Tonalität war vom allerersten Treffen mit den Produzenten bis hin zur finalen Mischung ein zentrales Thema. Für [Elena Hell](/person/elena-hell), die Drehbuchautorin, die Produzenten und mich war es entscheidend, dieser besonderen Atmosphäre und diesem spezifischen Moment in Tildas Leben gerecht zu werden. Tilda steht an der Schwelle zur Freiheit, ist aber zugleich durch die Umstände in ihrer Familie gefangen. Wir haben viel darüber gesprochen, wie sich diese fragile Balance filmisch übersetzen lässt, und einen eigenen Zugang gefunden, der – so glaube ich – dem Buch treu bleibt.

![Luna Wedler glänzt im emotionalen Drama „22 Bahnen“. Foto: Constantin](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/99377faf-bab9-463b-bd5b-51534a328ba4.jpg)

**Diese Ergänzung hat sich offenbar weitergezogen. Der Film beeindruckt in allen Gewerken…**

Absolut! Diese Emotion, diese besondere Tonalität habe ich mit allen Kreativpartner:innen, den Head ofs gesucht. Es war eine tolle Zusammenarbeit. An dieser Stelle möchte ich [Tim Kuhn](/person/tim-kuhn) hervorheben. Er ist ein sehr sensibler, präziser Kameramann, der es versteht, große Bilder für kleine Momente zu finden. Die Arbeit mit diesem Team – mit Tim an der Kamera, Editor [Jamin Benazzouz](/person/jamin-benazzouz), Kostümbildner [Christian Roehrs](/person/christian-roehrs), Komponistin [Dascha Dauenhauer](/person/dascha-dauenhauer), Szenenbilderin [Susanna Haneder](/person/susanna-haneder), Maskenbilderin [Heidi Wick](/person/heidi-wick) – war ein Geschenk. Natürlich hatte ich auch die Ehre, mit so fantastischen Schauspielern wie [Luna Wedler](/person/luna-wedler), [Laura Tonke](/person/laura-tonke), [Zoe Baier](/person/zoe-baier) und [Jannis Niewöhner](/person/jannis-niewoehner) zu arbeiten. Sie haben mir ermöglicht, meine Vision für das Buch wahrhaftig zu machen. Die Suche nach Wahrhaftigkeit und Echtheit standen für mich im Zentrum. 

**Da gehört auch viel Mut dazu. Den hatte ganz besonders Laura Tonke…**

Es ist unglaublich, wie Laura sich in die Rolle der Andrea geworfen hat. So kompromisslos. Sie ist da so tief reingegangen, um dann so viel nach außen zu transportieren. Das ist beeindruckend.


##### „Was mir auch wichtig ist: Ich lasse meine Schauspieler nie im Stich.“
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**Der Film verhandelt kein einfaches Thema. Wie sah die Vorbereitung mit den Schauspielern aus? Wie ist generell Ihre Philosophie in der Arbeit mit Schauspielern? **

Bei der Arbeit mit den Schauspielern versuche ich immer Freiheit und Sicherheit zu schaffen. Das ist für mich das Allerwichtigste. Es gibt für mich kein „falsch“ oder eine Fehlinterpretation. Man muss jeden Satz hinterfragen dürfen. Ich schreibe Dialoge am Set gerne um oder stelle Szenen um, wenn sie sich nicht richtig anfühlen. Das Buch ständig hinterfragen ist für mich Teil des Prozesses. Stimmt die Dynamik der Satzstellung wirklich? Ist das ein echter Dialog? Verhalten sich Menschen so? Wenn man da in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern sensibel ist, entwickelt sich ein Vertrauen, das notwendig ist für meine Arbeit. Was mir auch wichtig ist: ich lasse meine Schauspieler nie im Stich. Ich habe größten Respekt davor, wenn ein Schauspieler so viel reinlegt, dem Film seine Seele gibt. Ich schütze ihn um jeden Preis.

**Wie war das bei „22 Bahnen“?**

Viel hat sich aus intensiven Gesprächen ergeben und wir haben auch ein bisschen geprobt. Aber nicht zu viel, denn ich habe sofort gespürt, wie Luna das macht, wie Laura das macht. Sie waren diese Figuren.  So konnte ich mich wirklich auf den Dreh freuen und ins Entdecken der Figuren gehen. Trotz dem typischen Druck am Set hat sich ein Gefühl von Freiheit eingestellt.  Ich glaube nur deswegen ist der Film auch so geworden, wie er ist.

**Ganz besonders ist das Zusammenspiel zwischen Luna Wedler und der jungen Zoe Baier. Als Ida erlebt sie heftige Dinge. Wie bereitet man eine Kinderdarstellerin da vor?**  

Mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten ist ein Geschenk. Zoe hat noch sehr unbefangen gespielt und sich wenig bewertet. Sie hat Ida mit großer Tiefe und Sensibilität verkörpert und Ida und ihr Dilemma sehr genau verstanden. Immer wenn wir über schwierige Szenen gesprochen haben, hat sie gesagt: Ich verstehe das und das hat sie.  Und mit Luna zusammen hat sie total geklickt. Die beiden waren wirklich wie Schwestern. 

![Jannis Niewöhner ist ebenfalls zu sehen in „22 Bahnen“. Foto: Constantin ](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/73300cce-f835-4663-b815-085b27b02429.jpg)

**BerghausWöbke Film ist eine Produktionsfirma mit ganz besonderer Handschrift. Wie haben Sie die Zusammenarbeit erlebt?**

BerghausWöbke Film hat einen beeindruckenden Track Record an Filmen. Hier arbeiten Produzent:innen, die verstehen, was es bedeutet, Kino zu machen. Wir arbeiten alle nicht mit utopischen Budgets, es gibt viele Restriktionen. Aber bei der Arbeit mit BerghausWöbke habe ich mich schnell sehr verstanden gefühlt und das macht frei. Zudem war da schnell ein großes beidseitiges Vertrauen, was nicht selbstverständlich ist, da wir uns zuvor nicht kannten. Ich hoffe, wir arbeiten noch oft zusammen.

**Die nächste Zusammenarbeit wurde bereits angekündigt, mit „Windstärke 17“…**

Das stimmt. Ich freue mich sehr, auch Idas Geschichte lebendig machen dürfen.

**„22 Bahnen“ hat das Potenzial, ein breites Publikum zu erreichen. Obwohl die Geschichte ernste Themen verhandelt. War das für Sie und die Produktion Thema, wie man diesen Spagat schafft von ernster Geschichte mit kommerziellem Appeal?**

Für uns war „22 Bahnen“ die Chance, eine Form von „kommerziellem Arthouse“ zu schaffen – Filme, die Anspruch und Unterhaltung vereinen und zugleich herausfordern. Das große Potenzial dafür haben wir in Caro Wahls Vorlage erkannt. Es ist ein Geschenk, mit diesem Stoff und seinem harten Thema einen Film für die große Leinwand realisieren zu dürfen. Trotz der Schwere haben wir versucht, ein filmisches, emotionales Erlebnis zu gestalten – eine Erfahrung, die das Publikum kurzzeitig abtauchen lässt und verzaubert, so wie es eben nur gutes Kino kann.
Generell bin ich gerade sehr hoffnungsvoll, was das Kino betrifft. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen wieder mehr Lust auf Kino verspüren – und das ist wunderbar. Kino ist ein zentraler kultureller Ort, an dem Film nicht nur gesehen, sondern gemeinsam erlebt wird. Diese kollektive Erfahrung, das Eintauchen in eine andere Welt, macht das Kino unersetzbar.

**Zum Schluss noch mal zum Stichwort „Windstärke 17“. Mit dem zweiten Buch von Caroline Wahl, das sie selbst adaptieren, haben Sie und [Anna Eigl](/person/anna-eigl), Ihre Produzentin von BerghausWöbke, den ersten Gender Incentive des [FFF Bayern](/company/fff-bayern) erhalten. Was bedeutet Ihnen das? Ist Ihnen die spezielle Förderung von Frauen in der Branche wichtig?**

Diese Unterstützung bedeutet mir sehr viel, denn sie ist vor allem wichtig, um Sichtbarkeit zu schaffen. Bei einer echten Fifty-Fifty-Verteilung sind wir leider noch nicht angekommen, aber die weibliche Perspektive und Stimme im Film ist essenziell und hat ihre volle Legitimität. Vielleicht wird man in zehn Jahren auf diesen Moment zurückblicken und sagen: Es war gut, dass es Förderungen wie das Gender Incentive gab, weil sie Entwicklungen in die richtige Richtung gelenkt haben. Das bedeutet ja keineswegs, dass wir unsere männlichen Kollegen verdrängen wollen – für gute Arbeit ist immer genug Raum.

**Bei „22 Bahnen“ stehen nicht nur hinter der Kamera viele Frauen. Sie haben mit Tilda und ihrer Schwester Ida, auch der Mutter, Frauenfiguren im Lead. Haben Sie das Projekt als „Frauenstoff“ angesehen?**

Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht. Mich hat die Geschichte emotional berührt – das hätte genauso mit einem männlichen Protagonisten passieren können. Generell wähle ich Stoffe nicht danach aus, ob starke Frauenfiguren im Zentrum stehen. Mich interessieren die Geschichten selbst, die Menschen, ihre Schicksale und die Raffinesse, mit der sie erzählt werden. 

**Wird „Windstärke 17“ Ihr nächstes Projekt sein?**

Ich mache erst noch eine Serie. „Husk“ ist ein High-End-Stoff, der fürs ZDF entsteht. Es ist eine Science-Fiction-Serie.

**Spannend!**

Science-Fiction ist zwar Neuland für mich, aber „Husk“ ist zugleich eine große Familiengeschichte – über Schuld, Verdrängung und Identität. Ende September starten die Dreharbeiten.

*Das Gespräch führte Barbara Schuster*

**ZUR PERSON:**
Mia Maariel Meyer studierte Film und Drehbuch in New York und London; 2014 entstand ihr No-Budget-Film und gleichzeitiges Spielfilmdebüt „[Treppe aufwärts](/movie/treppe-aufwaerts)“; bei ihrem zweiten Spielfilm „[Die Saat](/movie/die-saat)“ schrieb sie gemeinsam mit ihrem Ehemann [Hanno Koffler](/person/hanno-koffler) das Drehbuch; „22 Bahnen“ ist ihre dritte Regiearbeit.

Mia Maariel Meyer zu „22 Bahnen“: „Ich begegne großer Emotionalität angstfrei“