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Mit sechs Nominierungen zählt der Thriller ["Judas and the Black Messiah"](/movie/judas-and-the-black-messiah) zu den großen Überraschungen im diesjährigen Oscarrennen. Warum die Nominierungsflut gerechtfertigt ist, lesen Sie in unserer Besprechung.


JUDAS AND THE BLACK MESSIAH


Packender Thriller nach wahren Begebenheiten mit den großartigen (und oscarnominierten) [Daniel Kaluuya](/person/daniel-kaluuya) und [LaKeith Stanfield](/person/keith-stanfield) in den Hauptrollen über den FBI-Informanten, der Black-Panther-Anführer Fred Hampton an die Polizei verriet.


Man weiß, was am Ende kommt: Fred Hampton war 21 Jahre alt, als die Wohnung in Chicago, in der er sich mit anderen Mitgliedern der Black Panther Party aufhielt, in den Morgenstunden des 4. Dezember 1969 von der Polizei in einem regelrechten Kugelhagel unter Beschuss genommen und gestürmt wurde. Hampton war zuvor unter Drogen gesetzt worden, er wurde im Schlaf erschossen. Das Wissen um den Ausgang der Geschichte mindert nicht den Genuss des zweiten Spielfilms von [Shaka King](/person/shaka-king), sieben Jahre nach seinem Debüt "Newlyweeds" und ein Schritt im Sieben-Meilen-Stiefel nach vorn. Die tickende Uhr erhöht die Spannung, der Countdown gibt dem Film seine Form: "Judas and the Black Messiah" ist kein Biopic Hamptons, sondern erzählt seine Geschichte in Form eines Verschwörungsthrillers, wie man sie aus den Siebzigerjahren kennt, ein Film in der Ahnenfolge von Lumet und Pakula, ein ["Serpico"](/movie/serpico) mit geballter Black-Power-Faust, der seine spürbare Wut und Empörung in ein effektives Spannungsszenario packt. Nicht von ungefähr wird der "schwarze Messias" im Titel an zweiter Stelle genannt. Fred Hampton gibt den Ereignissen politische Sprengkraft, aber im Mittelpunkt steht der "Judas", Bill O'Neal, ein junger schwarzer Mann, der im Chicagoer Ortsverband der Black Panthers für die Sicherheit zuständig war und Hamptons Vertrauen genoss - und als Informant das FBI mit Insiderwissen fütterte: Vor seiner politisch aktiven Zeit war O'Neal der Bundespolizei aufgefallen als gewiefter Autodieb, der sich in Kneipen als FBI-Agent ausgab und sich auf diese Weise Zugang zu den gewünschten fahrbaren Untersätzen verschaffte. Durch seine Augen erlebt der Zuschauer die Reden und Aktionen des charismatischen Hampton, ein geborener Anführer, mit, die gewaltbereite Seite des bewaffneten Widerstands, aber auch die aufrichtigen Bemühungen, die soziale Infrastruktur und die Lebensumstände der Menschen in den Schwarzenvierteln zu verbessern. Und durch O'Neal sieht man auch die Gegenseite, in Person des unverbindlich-freundlichen FBI-Agenten Mitchell, gespielt von %Jesse Plemmons%, der seinen Mann wiederum auf Geheiß des notorisch rassistischen FBI-Chefs J. Edgar Hoover steuert.


So entstehen mehrere kleine Geschichten über Freundschaften und Verrat, im Mittelpunkt jedoch die Geschichte von O'Neal und Hampton, ihre Freundschaft und Hamptons Verrat, mit dem das Schicksal beider Männer besiegelt wird, wenngleich 20 Jahre voneinander getrennt. Im Spannungsfeld von ["Departed - Unter Feinden"](/movie/departed-unter-feinden) und Shakespeare bewegt sich diese Tragödie, die den beiden Darstellern der Hauptfiguren viel Gelegenheit gibt zu glänzen: Daniel Kaluuya ist seit ["Get Out"](/movie/get-out) eine Bank und nutzt seine ganze Strahlkraft, um Hampton als schwierigen, in sich gekehrten, aber doch auch jederzeit sympathischen Typen zu zeigen - ein "Poet" unter den Revoluzzern, wie Hamptons Frau Deborah Johnson ihn beschreibt. Noch besser ist indes LaKeith Stanfield, seit seinem Auftritt als skurriler Sidekick in Donald Glovers Hitserie ["Atlanta"](/tvshow/atlanta) einer der auffälligsten Schauspieler seiner Generation und jetzt endlich auch im Kino mit einer Rolle, die seinem außerordentlichem Talent, in seinen Figuren zu verschwinden, gerecht wird: Dank Stanfield spürt man die Gewissenskonflikte von Bill O'Neal, dem unpolitischen Dieb, der erst durch seine Rolle als Informant überhaupt mit den Black Panthers in Kontakt kommt und nicht anders kann, als politisiert zu werden. Gleichzeitig muss er vor sich rechtfertigen, dass er den Mann, den er am meisten schätzt, verrät und, zumindest impliziert das der Film, auch wenn das historisch nicht belegt ist, sein Schicksal besiegelt. In den intensivsten Momenten liefert Stanfield das Porträt eines jungen Mannes in Flammen, die ihn verzehren. Und gleichzeitig "Judas and the Black Messiah" so sehr lodern lassen, dass er jetzt mit sechs Oscarnominierungen - unter anderem für Kaluuya und Stanfield - der Favorit ist unter den Filmen schwarzer Filmemacher, noch vor zunächst höher gehandelten Titeln wie ["Ma Rainey's Black Bottom"](/movie/ma-raineys-black-bottom) und ["One Night in Miami"](/movie/one-night-in-miami), vielleicht weil man denen ansieht, dass es sich um verfilmtes Theater handelt. Shaka Kings Thriller ist jedoch Kino. Durch und durch.


Thomas Schultze