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Will nicht jede Streaming-Plattform ihr eigenes „[Bridgerton](/tvshow/bridgerton)“ haben? Beim Blick auf die neue [ARD](/company/ard-gemeinschaftsprogramm-erstes-deutsches-fernsehen)-Prestige-Serie „[Mozart/Mozart](/tvshow/mozartmozart)“ drängen sich jedenfalls Erinnerungen an das Kostümdrama des Konkurrenten Netflix auf. Gleichzeitig bewegt sich die alternative Geschichte der Familie Mozart nah an aktuellen Diskursen.

Der sechsteiligen Serie hilft, dass sie gleich zu Beginn ihre historischen Grundlagen entzaubert. Schon beim Personal wird klar: Wir haben es hier mit einer popmythologisch aufgeladenen Version von Amadeus und seiner Schwester Maria Anna zu tun, die in dieser Serie ins Zentrum rückt. Hinzu kommen als wichtige Figuren natürlich der österreichische Kaiser, dessen Gunst es zu gewinnen gilt, sowie der strenge Vater Leopold Mozart, der seinen Sohn zum Erfolg drillen will. Soweit, so konventionell. Doch dass auch Antonio Salieri als Hofkapellmeister und Konkurrent Mozarts auftritt, macht hellhörig. Man darf wohl annehmen, dass sich das Autorenduo aus Showrunner [Andreas Gutzeit](/person/andreas-gutzeit) und [Swantje Oppermann](/person/swantje-oppermann) stark an [Milos Formans](/person/milos-forman) „[Amadeus](/movie/amadeus)“ orientiert hat, der die Rivalität zwischen Mozart und seinem neidischen Widersacher Salieri tief ins soziokulturelle Gedächtnis eingebrannt hat. Die schrillen Lacher eines Tom Hulce werden in „Mozart/Mozart“ durch eine Drogensucht ersetzt. Irgendwie muss man ja begründen, warum [Even M. Güvercins](/person/eren-m-guevercin) Amadeus erzählerisch in den Hintergrund rückt. Sein spontanes Genie wird von seiner Flucht vor dem Druck des Vaters überschattet. Als die Mozarts wegen Amadeus’ exzentrischen Verhaltens vom Salzburger Hof verbannt werden, bricht er unter der Verantwortung für das finanzielle Überleben der Familie zusammen und gibt sich in Wien seinen Gelüsten hin.

![Eren M. Güvercins Amadeus Mozart eckt an (Credit: ARD)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/698f2e27-520a-4ace-85fe-cd6fcce3b925.png)

An dieser Stelle rückt [Havana Joys](/person/havana-joy-josephine-braun) Maria Anna ins Zentrum. Ihr Fleiß und Pflichtbewusstsein führen dazu, dass sie im entscheidenden Konzert für den Kaiser einspringt, als Amadeus ausfällt. Sie nutzt den Namen Mozart als Maskerade, die ihr eigenen schöpferischen Erfolg ermöglichen soll. Jede Partitur ihres Bruders kennt sie auswendig, da sie stets zum Notieren seiner Melodien herabgesetzt wurde – ohne je selbst kreativ wirken zu dürfen. Zudem profitiert sie davon, dass die Schwester des Kaisers, Marie Antoinette, Gefallen am frischen Stil des vermeintlichen Amadeus findet – was dazu führt, dass sie Maria Anna umgarnt, während Amadeus auf Drängen des Vaters in eine Entzugsanstalt abgeschoben wird. In Abwesenheit des Genies versucht die Königin von Frankreich zudem, Amadeus’ Ehefrau auszustechen.

„Mozart/Mozart“ trägt nicht nur einen Doppelnamen, sondern funktioniert in vielen Facetten als Doppelstruktur. Zum einen versucht die Serie, die Beziehung zwischen Maria Anna und Amadeus neu zu denken: Die beiden werden als unzertrennliches Geschwisterpaar gezeichnet, das immer füreinander einsteht – bis Amadeus neidisch auf den Erfolg seiner Schwester (in seiner Verkleidung) wird und damit die Legacy des Namens Mozart gefährdet. Zum anderen ist da das Rollenspiel Maria Annas: Sie ist gleichzeitig sie selbst und Mozart – weniger Amadeus als vielmehr die „Marke“ Mozart, die hier als Synonym für künstlerisches Genie verstanden wird. Daraus entwickelt die Serie eine Debatte über die Urheberschaft musikalischer Brillanz: Ist sie genetisch veranlagt oder erlernbar? Braucht man – oder in diesem Fall: Frau – nur die richtige Bühne, um das eigene Können zu zeigen?

![Verena Altenberger bringt als Marie Antoinette Prunk an den Wiener Hof (Credit: ARD)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/7a1f878e-ad4d-4300-a8a5-065c27a4a7fc.png)

Die Auflösung lässt mich allerdings zwiegespalten zurück. Hier stößt das Publikum auf eine dritte Doppelstruktur, nämlich die verschiedenen Emanzipationsgeschichten der Frauen. Neben der offensichtlichen Befreiung und Selbstermächtigung Maria Annas erlebt auch Marie Antoinette eine eigene Entwicklung: Als konsumistische Frau, die immer bekommt, was sie will, kommt sie an den Wiener Hof und trifft dort auf Ablehnung durch Mozart – was bei ihr eine der stärksten Figurenentwicklungen der Serie auslöst. Sie löst sich aus ihrem komfortablen Sicherheitszustand und will ihre eigene Selbstwirksamkeit entfesseln.

Ob sich eine ähnliche positive Entwicklung auch bei Maria Anna beobachten lässt, bleibt fraglich. Ja, am Ende der Serie befreit sie sich aus dem Schatten des reinen Markenbildes Mozart. Doch ihre Mittel sind Verlässlichkeit, Eifer und Zielstrebigkeit – nicht ihre eigene schöpferische Kraft. Die musikalischen Ergebnisse bleiben schwer greifbar: moderne Mash-up-Arrangements von Mozarts Originalen. In einem ohnehin vernachlässigten Aspekt der Serie – der Musik, die eher als Vehikel für Figurenentwicklung und Intrigen dient – ist kaum zu erkennen, worin Maria Annas Innovation liegen soll. Amadeus bleibt der Disruptor. Maria Anna erhält zwar Anerkennung, doch wofür genau, bleibt offen. Man stochert im Nebel: Will die Serie lediglich stereotype weibliche Eigenschaften aufwerten und vergisst dabei, dass Maria Anna ebenfalls ein kreatives Genie sein könnte? Oder setzt sie die Musik schlicht nicht effektiv genug ein, um Maria Annas Brillanz zu vermitteln? Hinzu kommt ein recht traditioneller Enemies-to-Lovers-Plot mit Salieri, der ebenfalls Fragen aufwirft, wie revolutionär das Verständnis von Maria Annas Schaffen wirklich gedacht ist.

![Peter Kurth setzt die Mozart-Geschwister als Vater Leopold unter Druck (Credit: ARD)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/c547fbd5-ace7-4d08-8f2c-8372cf19b17c.png)

Viele Entscheidungen wirken wie Kompromisse: zwischen inszenatorischem Aufwand, den die Erfolgsregisseurin von „[Die Zweiflers](/tvshow/die-zweiflers)“ [Clara Zoë My-Linh von Arnim](/person/clara-von-arnim) ansetzt, und Drehbuch, zwischen Amadeus-Geniekult und Maria Annas Selbstermächtigung, zwischen Genretropen und eigenen Ideen. Beispielhaft sei das Color-Blind-Casting genannt, die wohl größte Parallele zur Netflix-Hitserie „Bridgerton“: Zwar wurden einige Figuren unkonventionell besetzt, doch schafft „Mozart/Mozart“ dadurch noch lange keine Welt mit wirklichem egalitärem Potential.

Auf dem Spektrum zwischen dem Pomp eines Historiendramas und dem erfrischenden Neudenken verkrusteter Strukturen – ob patriarchaler oder ästhetischer Natur – kann sich „Mozart/Mozart“ nicht eindeutig positionieren.

![Havana Joy & Eren M. Güvercin als Mozart-Geschwister zwischen Historiendrama und Pop-Stars (Credit: ARD)](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/1d4b3cdf-ac8e-4526-a945-10fc151f1e0a.png)

Die Serie erscheint allerdings in einem günstigen popkulturellen Moment. Wie jüngst die moderne Pop-Ikone Rosalía mit ihrem internationalen Hit „Berghain“, der klassische Opernmusik und Pop-Gegenwart erfolgreich verschmilzt, setzt auch „Mozart/Mozart“ auf die Modernisierung bekannter Muster – vor allem, um ein jüngeres Publikum zu erreichen. Zudem startet mit nur einer Woche Verzögerung auf [Sky](/company/sky-deutschland) eine Neuinterpretation des Bühnenstücks „[Amadeus](/tvshow/amadeus_b)“, auf das auch der Klassiker von Forman basiert. Ob die Serie das Potenzial hat, als deutsche Antwort auf „Bridgerton“ in Erinnerung zu bleiben, und sich gegen die internationale Konkurrenz durchsetzen kann, wird die Zeit zeigen.

*Damian Sprenger*

REVIEW TV: „Mozart/Mozart“